Grenzen bewusst überwinden
Der Mensch ist ein neugieriges Wesen. Andere Dinge auszuprobieren, liegt in seiner Natur. Auf der anderen Seite ist der Mensch aber auch ein sesshaftes Wesen. Er bindet sich auf vielfältige Art und Weise an den Ort, an dem er lebt. Heute findet er sich deswegen vielfach in einer Diskrepanz wieder – denn einerseits spielt das Thema Mobilität in der modernen Wirtschaftsordnung zunehmend eine Rolle, andererseits gibt es Bindungen an eine Region wie Familie oder Immobilieneigentum.
Im Wissenschaftstalk „Spontan gefragt“ begrüßt Moderator Markus Hengstschläger Studiogäste, die für ihre Arbeit viel hinter sich gelassen haben. Zunächst übergibt er das Wort an Andrea Weber, die an der Central European University (CEU) lehrt und zu dem Thema auch forscht. „Wie sieht es mit den Österreicher*innen aus“, will Hengstschläger wissen. „Sind sie bereit, für die Arbeit umzuziehen?“ Andrea Weber verneint. „Die Österreicher*innen sind – so wie die meisten Europäer*innen – eher statisch“, sagt sie. „Sie ziehen es vor, in der Region, in der sie aufgewachsen sind oder die Universität besucht haben, zu bleiben, und suchen dort nach den besten Jobs.“
In den USA sei das anders, so die Wirtschaftswissenschafterin: „Dort ist Arbeitsmobilität gelebter Alltag.“ Markus Hengstschläger begrüßt seinen zweiten Studiogast, dieser berichtet, dass es bei ihm ganz anders ausgesehen habe. „Ich habe afghanische Wurzeln und bin in Linz aufgewachsen. Mir war immer wichtig, dass ich als Österreicher alles erledige, was das Land von mir wünscht“, erzählt Rohed Khan. „Aber als ich das Bundesheer abgeschlossen hatte, war mir klar: Ich kann meinen Traum in Österreich nicht leben.“ Khan hatte schon früh den Wunsch, als Filmschauspieler zu arbeiten. Da er mit Bollywood-Filmen aufgewachsen war, entschied er sich für Indien. „Aber ja, ich habe auch das Gefühl, dass die Österreicher*innen nichts riskieren wollen“, fasst der erfolgreiche Schauspieler zusammen.
Wie man Mobilität in der Arbeitswelt denn erforsche, will Markus Hengstschläger wissen. „Für die empirische Sozialforschung ist der Zugang zu sogenannten Registerdaten unumgänglich“, erklärt dazu Andrea Weber. „Wir verwenden vor allem Daten der Österreichischen Sozialversicherungsregister, wo anonymisiert Einkünfte sowie Versicherungszustände, die für die Pensionsversicherung relevant sind, erfasst werden.“ In diesen Daten kann man bei Einzelpersonen über einen längeren Zeitraum hindurch beobachten, an welchen Arbeitsplätzen sie wie lange beschäftigt sind oder ob sie aus beruflichen Gründen die Region wechseln – im Ländervergleich zeigt sich, dass es bei der Arbeitsmobilität in Europa noch Luft nach oben gibt.
Hürden auf dem Weg
Markus Hengstschläger wendet sich mit der nächsten Frage an Rohed Khan: „War es schwierig, nach Indien auszuwandern?“ Ein Touristenvisum zu beantragen, sei überraschend einfach gewesen, so der Schauspieler. „Ich bin nach Mumbai gekommen und habe einen Vertrag mit einer Agentur abgeschlossen, daraufhin habe ich eine Arbeitsbewilligung und Aufenthaltsgenehmigung bekommen“, erzählt er. „Was für mich am Anfang schwierig war, war das Leben dort.“ Linz, so Khan weiter, habe 220.000 Einwohner*innen, Mumbai hingegen 18 Millionen.
„Als ich das erste Mal in der U-Bahn gefahren bin, habe ich fast einen Nervenzusammenbruch bekommen“, sagt er und lacht. „Die Züge haben keine Türen – man wird von den Menschenmassen hineingedrängt und bei irgendeiner Station wieder hinausgeworfen.“ Seiner Erfahrung nach sei es wichtig, die Regeln des Landes, in dem man arbeiten wolle, zu kennen und sich daran zu halten. „Als Beispiel: In dem Gebäude, in dem ich wohne, sind Fleischspeisen nicht erlaubt, wenn ich also ein Hühnchen essen will, muss ich das auswärts tun.“
Markus Hengstschläger wendet sich wieder an Andrea Weber. „Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass es leicht ist, Visa zu bekommen?“ Das muss die Wissenschafterin verneinen. „An der CEU haben wir viele Studierende, die ein Visum benötigen“, sagt sie. „Innerhalb der EU gibt es ja einen freien Arbeitsmarkt, jede*r Bürger*in der Union kann sich also niederlassen und arbeiten, wo sie will.“ Schwieriger sei es aber mit den sogenannten Drittstaaten, denn jedes EU-Land habe eigene bilaterale Visaregelungen mit ihnen. „Als die CEU noch in Budapest beheimatet war, konnten etwa Studierende aus Kasachstan relativ einfach inskribieren und ein Visum für Ungarn bekommen“, erzählt Weber.
„In Österreich ist es allerdings schwieriger – und somit hatten Student*innen aus Kasachstan Probleme mit der Übersiedlung.“ Ob es dann die viel zitierte und gewünschte Arbeitsmobilität überhaupt gebe, will Markus Hengstschläger wissen. Bis zu einem gewissen Grad sehr wohl, sagt Andrea Weber. „Da man die Grenzen nicht beliebig öffnen kann, wird man immer Einschränkungen brauchen.“ Rohed Khan ergänzt: „Man muss sich trotzdem auch was trauen. Nur einen Punkt halte ich für wichtig: Man sollte die Sprache des Landes sprechen oder schnell lernen, wenn man dortbleiben will.“
Hier geht’s zur Sendung „Spontan gefragt“: