Das Auge als Spiegel der Herzgesundheit

Nur an der Netzhaut des Auges lassen sich kleine Blutgefäße beobachten und dadurch Herzprobleme ableiten.
Wird die Netzhautbildgebung bald das gängige Verfahren zur Evaluierung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein?

Vier Buchstaben: OCT-A. Das Kürzel steht für optische Kohärenztomografie-Angiographie, eine Scannermethode, die den Blick in die Netzhautgefäße erlaubt. Diese sind ein Spiegel bestimmter Organe und lassen etwa Rückschlüsse auf die Herzgesundheit des Menschen zu. Ursula Schmidt-Erfurth, Leiterin der Uni-Klinik für Augenheilkunde und Optometrie am AKH, untermauert das mit ihrer Forschung.

Was erzählen die Augen über das Herz?

Ursula Schmidt-Erfurth: Die retinale Gefäßbildgebung, also die Darstellung der Gefäße am Augenhintergrund, gibt es schon vier Jahrzehnte. Bis vor einigen Jahren war sie analog und mühsam für Patienten, denen man Farbstoff in den Arm injizierte, um via Kamera die mikroskopischen Gefäße zu sehen. Heute machen wir das mit dem Laserscanner, der die Netzhaut durch die Pupille abrastert. Eine Software erfasst geringste Bewegungen, d.h. den Fluss der roten Blutkörperchen. Das Gerät heißt OCT-A, das steht für optische Kohärenztomographie-Angiographie. Das geht irre schnell, ist hoch präzise, ohne Farbstoff und andere invasive Maßnahme. Am Augenhintergrund sehen wir so, ob Gefäße intakt oder geschädigt sind. Mehr noch, wir können damit auch Schicht für Schicht in die Tiefe, in kleinste Kapillare, zoomen. Das ist die genaueste Gefäßanalyse, die man am lebenden Menschen ohne medizinische Eingriffe derzeit hat.

Wie erklärt sich der Konnex zu Kardio-Problemen genau?

Die Gefäße am Augenhintergrund verändern sich während des Lebens nicht. Sie sind charakteristisch und identisch mit jenen im Gehirn, in der Niere, im Herz. Das sind jene Organe, bei denen sich diese stabilen Gefäße im Körper nur unter Erkrankung verändern. Das kann Diabetes, eine Nieren- oder Gehirnerkrankung sein. All das kann man am Augenhintergrund ablesen. Wir beschäftigen uns konkret mit Herzerkrankungen, auf die man mit Digitalbildern des Scanners gut schließen kann. Vielleicht wird die Methode bald Herzkatheter- und ähnliche Untersuchungen ersetzen.

Das Auge als Spiegel der Herzgesundheit

Der Sehnerv des linken Auges im digitalen Scan. 

Augen- und Herzspezialisten in neuer Symbiose?

Exakt. Wir testen das Gerät derzeit an Patienten der Herzabteilung der Rudolfstiftung. Gleichwohl bekommen sie alle Untersuchungen nach den üblichen Richtlinien. So können wir vergleichen, welche Herzprobleme jemand hat und wie sich das an den Gefäßen der Netzhaut spiegelt. Wir haben schon 700 Patienten so getestet. Das gibt es nirgendwo auf der Welt. Da sind wir Vorreiter.

Braucht es herkömmliche Untersuchungen dann noch?

Das ist genau die Frage, die wir mit unserer Forschung beantworten wollen, nämlich ob man mit OCT-A belastende, aufwendige Untersuchungen teils oder ganz ersetzen kann. Darüber hinaus wäre es eine fantastische Vorsorgemethode, da wir mit hoher Treffsicherheit voraussagen können, ob ein Mensch etwa einen Infarkt entwickeln wird. Wir wissen das aufgrund des Gefäßstatus sehr genau. Schließlich können wir Gefäßstrukturen bis auf drei Mikrometer genau anschauen. Das ist fast wie unter dem Mikroskop, dennoch spürt der Patient bei der Untersuchung gar nichts.

Das Auge als Spiegel der Herzgesundheit

OCT-A – das ist die genaueste Gefäßanalyse, die wir am lebenden Menschen ohne jeglichen medizinischen Eingriff derzeit zur Verfügung haben

von Prof. Ursula Schmidt-Erfurth, MedUni Wien

Ein Markstein der Vorsorge?

Absolut. Darin liegt auch der dritte Reiz der Untersuchung, dass man jeden Menschen ab einem gewissen Alter unkompliziert screenen kann. In wenigen Minuten weiß jeder, ob er ein gesundes Herz hat oder ob es Achtung heißt, weil es einen Hinweis auf eine Herzerkrankung gibt. In Apotheken und anderen medizinischen Einrichtungen ließe sich diese Präventivuntersuchung leicht durchführen, das Gerät arbeitet ja vollautomatisch.

Könnte man andere Organe auch auf diese Art checken?

Auch da ist die Forschung auf dem Weg, etwa hinsichtlich Morbus Alzheimer oder Multipler Sklerose, allerdings gibt es dazu noch keine eindeutigen Ergebnisse. Die Augenabteilung des Wiener AKH beschäftigt sich mit der Kardiologie nicht zuletzt deshalb, weil Herzerkrankungen zu den häufigsten Todesursachen in Österreich zählen.

Wann gibt es Ergebnisse?

Etwa in zwei Jahren. Ich darf aber sagen, dass wir schon jetzt aufgrund aussagekräftiger Ergebnisse definitiv wissen, dass man Herzerkrankungen am Auge erkennen kann, interessanterweise am linken besser als am rechten, vermutlich weil der zentrale Gefäßabgang zum linken Auge dem Herzen näher ist.