"Wir müssen uns eine gesunde Lebenswelt schaffen"

Übermäßiger Konsum von Zucker und Fett erhöht das Risiko für Typ-2-Diabetes.
Baptist Gallwitz, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft, über Therapie und Forschung.

Sie haben 1984 promoviert und beschäftigen sich seither mit Diabetologie. Wieso gerade damit?

Baptist Gallwitz: Weil ich das ein faszinierendes Fach finde, wo man mit jungen und alten Menschen zu tun hat, wo der Patient seine Therapie zum ganz großen Teil auch selber steuern kann.

Was bedeutet eine gute Einstellung eines Patienten?

Ein gut eingestellter Patient ist jemand, der sein Therapieziel erreicht. Man ist davon abgekommen, dass ein bestimmter Blutzuckerkorridor für jeden passt. Man sagt heute, dass jeder Patient ein individuelles Therapieziel hat. Das berücksichtigt das Alter, was der Patient aufgrund seiner Fähigkeiten selber machen kann und Begleit- und Folgeerkrankungen.

Besonders Typ-2-Diabetes wird vermehrt zum Problem. Die einen sagen, versteckter Zucker sei schuld, die anderen sehen in tierischen Produkten oder im Fett das Übel. Was ist wirklich das Problem?

Es gibt sicher nicht nur eine Gefahr, sondern verschiedene. Die Summe von allem erhöht das Risiko deutlich. Ich denke, es ist wichtig, früh und unterschwellig gute Angebote zu machen. Die deutsche "Allianz für nicht übertragbare Erkrankungen" hat vier gute Präventionsforderungen aufgestellt: schon im Kindergarten und in der Schule täglich eine Stunde Bewegung und Qualitätsstandards für die Verpflegung. Eine Umverteilung der Besteuerung von Lebensmitteln in Richtung mehr Besteuerung von Zucker und Fett. Und ein Verbot von Lebensmittelwerbung an Kinder.

Wäre eine Besteuerung von Zucker denkbar?

Man weiß, dass solche Maßnahmen schon erfolgreich waren. Bei Tabaksteuer und Tabakkonsum gibt es eine ganz klare Korrelation. Auch bei den Alkopops, die bei den Jugendlichen sehr beliebt waren, war es eine gute Maßnahme, sie hoch zu besteuern und unattraktiv zu machen.

Wir haben uns einen Lebensstil angeeignet, der anfällig ist für Diabetes. Welches Umdenken muss es geben, um daraus auszubrechen?

Wir müssen uns eine Lebenswelt schaffen, bei der die gesunde Wahl einfach die beste Wahl ist.

Wohin entwickelt sich der therapeutische Ansatz momentan?

Wir haben in den vergangenen Jahren viele neue Therapieprinzipien gesehen, die auf den Markt gekommen sind. Das ist gut, weil es eine individuellere Therapieentscheidung besonders bei Typ-2-Diabetes möglich macht. Bei neuen Medikamenten achtet man jetzt besonders darauf, dass sie kein eigenes Unterzuckerungsrisiko mit sich bringen. Bei Typ-1-Diabetes gibt es neue Entwicklungen bei Insulinen bezüglich ihrer Wirkdauer. Es wird ultrakurz wirksame Insuline geben, die besonders gut geeignet sind für Insulinpumpen und für die gleichzeitige Benutzung mit kontinuierlichen Glukosemesssystemen, die gerade in Entwicklung sind.

Es wird in naher Zukunft aber keinen Ersatz geben?

Man wird Diabetes nicht heilen können, aber man wird ihn besser behandeln können. So, dass auch das alltägliche Leben mit Diabetes einfacher wird.

Was fehlt, um Diabetes heilen zu können?

Es fehlen uns sehr viele Ansätze. Für den Typ-1-Diabetes haben wir im Moment ein zunehmend gutes Verständnis darüber, wie er entsteht – das ist ja eine Autoimmunerkrankung. Beim Typ-2 ist das die allerbeste Prävention, um ihn dadurch gar nicht erst entstehen zu lassen.

Sie betreiben in Tübingen Genforschung. Welche Fortschritte gibt es hier?

Man weiß, dass beim Typ-2-Diabetes neben den Umweltbedingungen die Vererbung eine große Rolle spielt. Diese genetischen Veränderungen betreffen entweder die Insulinwirkung im Körper oder das Schicksal der insulinproduzierenden Zellen oder auch das Appetitverhalten. Wir wissen, dass das einzelne Gen relativ wenig Einfluss hat, aber die 40 bis 60 Gene, die wir mittlerweile identifiziert haben, können zusammen einiges ausmachen. Ganz verstanden haben wir es noch nicht. Übergewicht ist ein großes Risiko für Diabetes. Auf der anderen Seite wissen wir, dass nicht alle übergewichtigen Menschen Diabetes bekommen. Es ist ein Ziel zu charakterisieren, was das Spiel zwischen Genen, Umwelt und individuellem Verhalten ist und wie es sich möglichst günstig beeinflussen lässt.

Ist es denkbar, diesen "Fehler" mittels Gentechnik auszubessern?

Da sind wir weit entfernt und ich glaube auch nicht, dass es da wirklich zielführende Therapieansätze gibt, weil es so viele Gene sind, die betroffen sein können. Wir sind insgesamt mit der Gentherapie noch arg in den Kinderschuhen.

Parallel mit der aktuellen Flüchtlingsbewegung steigt auch die Anzahl der Diabetes-Patienten mit Migrationshintergrund. Denn im Nahen Osten und in Nordafrika ist die Diabetesprävalenz laut Statistiken der International Diabetes Federation relativ hoch. In der Praxis stellen Sprachbarrieren und kulturelle Besonderheiten das medizinische Fachpersonal vor besondere Herausforderungen.

Wie Ärzte und Diabetes-Berater Menschen mit Diabetes und Migrationshintergrund beraten und schulen können, diskutierten zurzeit Experten und Expertinnen rund um die Deutsche Diabetes Gesellschaft ( DDG). „In den Flüchtlingsunterkünften sind viele Patienten nicht ausreichend mit Medikamenten versorgt und haben oft keinen Zugang zu guter ärztlicher Betreuung. Dazu kommen sprachliche Barrieren. Es wäre eine Überlegung wert, wie man Flüchtlinge, die selber Ärzte oder Krankenpfleger sind, in die Betreuung und Versorgung von Diabetikern einbinden kann“, so Baptist Gallwitz, DDG-Präsident, zum KURIER.

In Österreich ist Diabetes ein Schwerpunkt des gerade anlaufenden Projekts „Migration und Gesundheit“, eine Kooperation zwischen dem Gesundheitsministerium, der Arbeiterkammer, der Stadt Wien und der GÖG. „Aus einer im Rahmen des ersten Teils des Projekts durchgeführten Studie geht hervor, dass Menschen mit Migrationshintergrund im Wesentlichen die gleichen Gesundheitsprobleme haben wie die Gesamtbevölkerung, das Gesundheitswesen im niedergelassenen Bereich aber seltener in Anspruch nehmen. Die zentrale Herausforderung ist somit, bestehende Barrieren abzubauen“, heißt es aus dem Bundesministerium für Gesundheit auf Anfrage. Wie das passieren kann? „Durch Förderung der interkulturellen Kompetenz in der Aus- und Weiterbildung des medizinischen Personals, das Projekt Videodolmetsch oder etwa die zahlreichen mehrsprachigen Infobroschüren des Gesundheitsministeriums.“ Der Mensch müsse im Mittelpunkt stehen, appelliert Hermann Toplak, Internist und Vizepräsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft: „Nur wenn ich den Menschen mit seinen Gewohnheiten und Bräuchen besser verstehe, kann ich ihn auch so beraten, dass etwas Positives dabei rauskommt.“ Toplak warnt davor, dass das Risiko für Migranten höher sei, an Typ-2-Diabetes zu erkranken. „Bei uns ist das Essen oft doppelt groß und doppelt so süß wie in manchen Herkunftsländern. Es ist für viele schwierig, damit umzugehen“, so Toplak.

Wenn Sie mehr zu Fachbegriffen, zum Krankheitsverlauf oder zu den neuesten Behandlungsmethoden wissen wollen, einfach Ihre Fragen hier absenden. Unsere Diabetes-Expertinnen und –Experten werden sie umgehend beantworten. Die Antworten werden gesammelt einmal pro Woche hier veröffentlicht.

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