Diagnose Diabetes – nur keine Panik

Diagnose Diabetes – nur keine Panik
Gourmetkritiker Florian Holzer zeigt, dass einem trotz Diabetes beruflich keine Grenzen gesetzt sind.

Es ist 45 Jahre her, dass man bei Ihnen Diabetes Typ-1 diagnostiziert hat. Wie wurde damals mit der Erkrankung umgegangen?

Florian Holzer: Daran, was von offizieller Seite gekommen ist, kann ich mich nicht erinnern. Vielleicht auch, weil es so traumatisch war. Aber ich kann mich daran erinnern, wie meine Mutter mit mir umgegangen ist. Ich habe eine neue Strenge kennengelernt, die vorher in meinem Leben keine Rolle gespielt hat. Mir ist sehr subtil aber eindeutig klar gemacht worden, dass Disziplin von nun an notwendig ist, um zu überleben. Das ist so auch heute noch Teil meines Bewusstseins. Dieser Wunsch, mich zu kontrollieren, ist Teil von mir. Ich kann mich nicht wirklich gehen lassen.

Würden Sie sagen, dass Sie eine eingeschränkte Kindheit gehabt haben?

Ja. Eine Kindheit ohne Schokolade und ohne Eis. Das war eine absolute Katastrophe. Aber die damalige Therapie war noch nicht so weit, dass das möglich gewesen wäre. Ich bin meiner Mutter unendlich dankbar, denn sie hat dann selbst Eis gemacht und gebacken. Sie hat wahnsinnig gut gekocht und sich extrem bemüht, mir Normalität zu bieten. Sie hat um mich eine Atmosphäre geschaffen, in der mir meine Krankheit gar nicht bewusst wurde.

Was hat Ihnen den Umgang mit der Krankheit erleichtert?

Mein Vater hatte damals die Radiosendung "Kulinarium" auf Ö1. Durch den Beruf meines Vaters war Essen und Trinken immer schon ein großes Thema in der Familie. Ich habe sehr früh gelernt, bewusst mit Genuss umzugehen. Mein Diabetes hat das nicht verhindert.

Sah Ihr Ernährungsplan vor allem die Vermeidung von Zucker vor?

Ja, Fett war damals noch kein Thema und ist es bei mir nach wie vor nicht. Mein Leben lang habe ich für einen Mitteleuropäer verhältnismäßig wenige Kohlenhydrate gegessen. Das hat mich aber auch vor gröberen Kariesproblemen und Fettleibigkeit bewahrt. Die Diät war früher Priorität Nummer eins. In meiner gesamten Kindheit ist es daher auch nur zu zwei bis drei "Hypos" gekommen.

Und in der Pubertät?

Da ist der "Hypo" mehr oder weniger an der Tagesordnung gestanden (lacht). Die Disziplin ließ nach und der Körper ist in dieser Zeit unberechenbar. Ich habe auch selbst den Wunsch zur Rebellion verspürt, wollte an die Grenzen gehen und habe auch diese permanente Kontrolle abgelehnt.

Wieso entschieden Sie sich, Gourmetkritiker zu werden?

Diese Möglichkeit hat sich mir durch einen glücklichen Zufall geboten. Ich sollte als Student, im Auftrag meines Vaters, ein Interview mit Armin Thurnher, dem damaligen Chefredakteur des Stadtmagazin Falter, machen. Der hat mich dann gefragt, ob ich mitarbeiten wolle und was mich interessieren würde. Da sagte ich "Essen und Trinken". Und er meinte nur: "Bring mir nächste Woche eine Lokalkritik." Das tat ich, und von da an war ich Lokalkritiker.

Also ging es von Ihnen aus. Sie hätten ja Kultur oder Politik sagen können.

Völlig richtig. Das habe ich noch nie so bedacht, muss ich ganz ehrlich sagen. Der Impuls kam schon von mir. Sicher aus einem Wunsch heraus, mich meiner Krankheit gegenüber zu emanzipieren und mich nicht unterdrücken zu lassen, eben souverän zu sein. Ich wollte nicht mein Leben durch Diabetes determinieren lassen.

Inwiefern hat Diabetes Ihr berufliches Leben beeinflusst?

Damals hatte ich es noch mit einer Diät zu tun, die mir eine fixe Menge von Kohlenhydraten zu einer fixen Zeit vorgegeben hat, die war nicht sehr flexibel. Hin und wieder passiert es, dass man keinen Platz im Lokal bekommt, das Essen dauert lange oder man weiß einfach nicht wie viele Kohlenhydrate dieses verdammte Bami Goreng hat. Das war die Hölle! Da musste ich viel lernen und improvisieren. Retrospektiv gesehen, bin ich ein ziemliches Risiko eingegangen. Meine Diabetologen haben mir nachträglich gesagt, dass ich da einen extrem harten Weg gegangen bin. Denn aus Angst vor ständiger Überzuckerung durch meine Arbeit, habe ich mich dann eher im niedrigen Bereich angesiedelt.

Welches Essen ist besonders schwierig einzuschätzen?

Asiatische Küche, vor allem bei Nudelgerichten mit Soßen. Aber es wird generell immer schwieriger, weil immer mehr mit Zucker gearbeitet wird. Es schummeln alle! Es kommt Zucker in jede Soße, ins Gebäck, sogar auf Fleisch, damit es karamellisiert und besonders crispy ist. Zucker von Convenience Food ist sowieso haarsträubend. Das greift auch schon auf die Gastronomie über.

Würden Sie es befürworten, dass Broteinheiten in der Gastronomie angegeben werden?

Nein, das wäre ein Schreckensgedanke. Es gibt sicher mehr Diabetiker als Allergiekranke, aber ich hoffe trotzdem nicht, dass die Anzahl der Broteinheiten angegeben werden muss.

Was wünschen Sie sich von zukünftigen Therapien?

Der Wunsch eines jeden Diabetikers wäre die künstliche Erschaffung und Transplantation von Inselzellen. Aber das werde ich wohl nicht mehr erleben. Durch die Entwicklung der Basis-Bolus-Therapie ist einem aber ohnehin ein normales Leben ermöglicht worden, von dem ich nie zu träumen gewagt hätte. Ich muss bewusst leben, aber Diabetes schränkt mich überhaupt nicht mehr ein. Der springende Punkt bei Basis-Bolus wäre noch eine permanente Blutzuckermessung, sodass man sich nicht mehr in den Finger stechen und kein Messgerät mehr mittragen muss.

Haben Sie Angst vor Spätfolgen?

Ja, natürlich. Ich bin in einem Bereich, wo das Thema sein könnte, habe aber noch nichts. Augen, Füße und Nerven – alles ist super.

Gibt es etwas, das Sie Menschen, die gerade von der Diagnose erfahren haben, mit auf den Weg geben möchten?

Erstens: Don’t panic! Zweitens: Es ist einem nichts verwehrt. Wenn man will, kann man die Diagnose dazu nutzen, sich nur mehr fein und gut zu ernähren. Das ist keine Kostenfrage, sondern eine Frage der Information und des Willens. Auf der anderen Seite: Die Zeit der Muse ist vorbei. Ohne Kontrolle und Disziplin riskiert man seine Gesundheit.

- Magdalena Meergraf

Florian Holzer zählt zu den bekanntesten heimischen Gourmetkritikern. Doch der Weg dahin war kein einfacher. Im Alter von vier Jahren wurde bei dem heute 49-Jährigen die autoimmune Stoffwechselkrankheit Diabetes Typ-1 diagnostiziert. Es waren die üblichen Symptome, die ihn damals zu seinem Hausarzt in Niederösterreich geführt haben: Gewichtsverlust, Schwäche, verstärkter Harndrang. Von nun an stand ein strenger Ernährungsplan an der Tagesordnung. So musste Holzer eine fixe Anzahl an Kohlenhydraten zu vorgegebenen Zeiten zu sich nehmen – ohne Wenn und Aber.

Retrospektiv gesehen sei er durch seine Berufswahl ein Risiko eingegangen, so Holzer selbst. Unzählige Lokalkritiken und noch mehr Erfahrung später hat der Wahlwiener heute keine Probleme mehr, seinen Blutzuckerspiegel unter Kontrolle zu halten. Das haben auch neue Therapieformen erleichtert. Der freischaffende Autor schreibt regelmäßig für das Stadtmagazin Falter, für die Tageszeitung KURIER, den Wein-Guide À la Carte und den Gourmet-Guide Gault Millau.

Für dieses Interview trafen wir Florian Holzer im RestaurantKussmaul“ in der Spittelberggasse, in 1070 Wien.

Wenn Sie mehr zu Fachbegriffen, zum Krankheitsverlauf oder zu den neuesten Behandlungsmethoden wissen wollen, einfach Ihre Fragen hier absenden. Unsere Diabetes-Expertinnen und –Experten werden sie umgehend beantworten. Die Antworten werden gesammelt einmal pro Woche hier veröffentlicht.

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