Diabetes Typ-1: Wenn junge Menschen chronisch krank werden
In Österreich hat sich die Zahl der Kinder die an Diabetes Typ-1 erkranken, in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Die genauen Gründe, warum das so ist, sind bis heute nicht bekannt. Zwar gibt es verschiedene Hypothesen dazu. So werden zum Beispiel die steigende Anzahl an Kaiserschnitten oder ein hohes Alter bei den Eltern als mögliche Ursachen angesehen. Doch sie bleiben Hypothesen und schlüssige Beweise gibt es nicht. Typ-1-Diabetes kann bereits im ersten Lebensjahr auftreten, im Teenageralter bis zum ungefähr 40. Lebensjahr. Diabeteserkrankungen im Erwachsenenalter bleiben aber die Seltenheit. Täglich Insulin spritzen, Blutzucker messen und den Kohlenhydratgehalt von Speisen und Getränken berechnen, gehört für die Erkrankten zum Alltag. Die Therapie ist zeitintensiv, außerdem müssen betroffene Heranwachsende und ihre Eltern den Diabetes als lebenslang bestehende Erkrankung akzeptieren lernen.
Auf Symptome achten
Zwischen Ausbruch der Krankheit und tatsächlicher Diagnose können oftmals Wochen vergehen. Bleibt der Diabetes unerkannt, kann es gefährlich werden. Betroffenen drohen Ohnmachtsanfälle, Koma – und im schlimmsten Fall der Tod. Deshalb ist es umso wichtiger, die üblichen Symptome wahrzunehmen und einordnen zu können. Leiden Kinder unter einem unstillbarem Durst und häufigem Wasserlassen, könnte es ein Hinweis auf einen Diabetes sein. "Ebenso gehören Müdigkeit, Leistungsabfall in der Schule, Gewichtsverlust sowie Konzentrationsschwächen zu den typischen Symptomen", weiß Birgit Rami-Merhar von der Universitätsklinik Wien.
Je jünger das Kind ist, desto schwieriger ist es, diese Symptome zu erkennen. Wird die Diagnose Diabetes Typ-1 schließlich gestellt, sitzt der Schock bei fast allen Eltern tief. Wann Patienten und Angehörige die Krankheit schließlich akzeptieren können, bleibt individuell. In einigen Fällen kommt es sogar zu einer lebenslänglichen Leugnung des Diabetes. "Das ist zwar die Ausnahme, gibt es aber auch", sagt Rami-Merhar. Die Konsequenzen sind schwerwiegend.
Gut behandelbar
Dennoch ist Diabetes auch für Kinder eine gut behandelbare Krankheit. Der lebende Beweis dafür: die zehnjährige Annelie Jandl aus Wien. Vor vier Jahren bekam sie die Diagnose Diabetes Typ-1. Eine Schockdiagnose – sowohl für sie selbst, als auch für ihre Eltern. "Annelie war immer ein großes, starkes, gesundes Kind, das bis heute nicht mal Antibiotika nehmen musste. Und dann plötzlich das", erzählt Tina Jandl, Mutter von Annelie. Sie wusste bereits, dass das Leben mit Diabetes kompliziert sein kann. Ihr Großvater erkrankte, als er 40 Jahre alt war. Auch Annelie war sich trotz ihres jungen Alters dem Ernst der Lage bewusst. "Ich wusste nicht, wie es in der Schule sein wird, welche Freunde mir helfen würden und welche nicht. Ich hatte richtig viel Angst", erinnert sich die Zehnjährige.
Angst davor, dass sich das eigene Leben und das der Familie nun maßgeblich ändern würde. In den ersten Wochen nach der Diagnose lagen bei allen die Nerven blank. Die Situation stellte die Familie vor viele Fragen: Wie gehen wir am besten damit um? Wie machen wir alles richtig? Und wie kann Annelies Blutzucker stabil gehalten werden? Bis sich diese Anfangsnervosität gelegt hat, ist ein halbes Jahr vergangen. "Wir haben dann aber einfach gesehen, dass durch die Methoden, die es heute gibt, uns ein völlig normales Leben möglich ist", erzählt Tina Jandl weiter. Diesen Umstand betont sie gerne. Denn für die Eltern war es das Wichtigste, dass Annelie lernt, sich niemals durch den Diabetes in ihren Tätigkeiten und wünschen begrenzen zu lassen. "Ich bin gut in der Schule, ich kann Sport machen, ich kann alles essen. Weil man sagt dazu ja auch Zuckerkrankheit. Viele denken, dass ich keinen Zucker essen darf. Aber dann esse ich eine Tüte Chips. Ich kann alles machen, was ich auch vorher gemacht habe."
Schulung ist wichtig
Den Grundstein für den Erfolg hat die Diabetikerschulung gelegt. Hier wurde Annelie beigebracht, wie sie ihren Blutzucker richtig misst, was Einfluss auf diesen haben kann und wie sie ihre Insulinpumpe richtig bedient. Doch neben den theoretischen Aspekten spielten auch die Erfahrungswerte außerhalb der Schulung eine ungemein wichtige Rolle. Denn jeder Diabetes ist anders. So kann es etwa sein, dass ein Kind Nüsse isst, ohne dass sich der Blutzucker verändert. Bei einem anderen kann er dadurch in die Höhe schießen.
Eine hilfreiche Unterstützung für viele Eltern kann dabei die MySugr-App sein. Das digitale Tagebuch unterstützt spielerisch dabei, bei der Therapie dauerhaft motiviert zu bleiben und alle wichtigen Daten aus dem Diabetes-Alltag zu dokumentieren. Der Account eines Kindes kann direkt mit dem Smartphone der Eltern verbunden und auch alle Einträge synchronisiert werden. So können diese ihren Kindern auch von unterwegs bei der Überwindung der täglichen Diabetes-Alltagshürden helfen. Das ergibt mehr Sicherheit für die Eltern und gleichzeitig mehr Unabhängigkeit für das Kind.
Schule muss mitspielen
Ein wichtiger Faktor für Annelie war auch die schulische Betreuung. "Meine Lehrerin hat mir in der Anfangsphase sehr viel geholfen. Sie hat immer geschaut, dass ich mein Blutzuckermessgerät mit habe und dass mein Katheter richtig sitzt", erinnert sich die Gymnasiastin.
Doch nicht jedes Kind hat das Glück, so sehr auf die Unterstützung von Pädagogen zählen zu können. "Im Volksschulalter ist es natürlich noch so, dass Kinder Hilfe brauchen, diese aber unterschiedlich gegeben ist. Manche Pädagogen sind extrem engagiert und manche wollen absolut nichts damit zu tun haben", weiß Birgit Rami-Merhar. Für Kindergartenkinder mit einem Typ-1-Diabetes kann es mitunter noch schwieriger werden. Zwar würde sich die Lage verbessern, dennoch scheuen sich viele Pädagogen davor, die Betreuung im medizinischen Bereich zu übernehmen. Die Folge: Viele Eltern mit einem diabetischen Kind haben Schwierigkeiten, einen Kindergartenplatz zu finden. Die Jandls sind sich ihrer privilegierten Lage bewusst. Dennoch sind sie überzeugt davon, dass für jedes Kind ein normales Leben möglich ist. Dafür sei es für Eltern aber besonders wichtig, sich umfassend mit dem Thema zu beschäftigen. Denn nur wer alles über die Krankheit wisse, könne diese auch meistern.
Im Vordergrund der Therapie für junge Typ-1-Diabetiker stehen die Vermeidung von Akutkomplikationen wie Unterzuckerung, die Prävention von Diabetes bedingten Spätkomplikationen auch im Frühstadium, die normale körperliche Entwicklung sowie eine normale psychosoziale Entwicklung. Viel Neues kommt für Betroffene wieder in der Phase zwischen Kindheit und Erwachsensein: Jugendliche fordern zunehmend Eigenverantwortung und Selbstbestimmung, machen erste Erfahrungen in der Liebe und mit Alkohol. "Dies kann zur Folge haben, dass Jugendliche die kontinuierliche Therapie vernachlässigen", sagt Eva-Maria Fach, Diabetologin der Deutschen Diabetes Gesellschaft: "Weil sich außerdem der Körper verändert, kommt es bei ihnen zu starken Blutzuckerschwankungen."
Schwierige Phase
In der Pubertät werden vermehrt und ungleichmäßig Hormone ausgeschüttet, die die Wirkung und den Bedarf des injizierten Insulins ständig verändern. In dieser Zeit ist deshalb eine regelmäßige Betreuung und Beratung durch erfahrene Spezialisten besonders wichtig. "Der Übergang von der pädiatrischen Versorgung in die Erwachsenenmedizin ist der nächste schwierige Schritt", erläutert Eva-Maria Fach. Die Suche nach neuen Ärzten, das Koordinieren und Einhalten von Terminen und die geringere Betreuung und Fürsorge als beim Kinderarzt überfordern in dieser Lebensphase so manchen Heranwachsenden mit Diabetes Typ-1.
Humor hilft
Für Annelies Erfolg im guten Umgang mit dem Diabetes haben die Jandls ein kleines Geheimrezept: Humor. Dieser helfe besonders, die Angst vor der Krankheit zu nehmen. Denn die Lage zu dramatisieren, bringe niemandem etwas. Wie die Lage mit Humor genommen werden kann, erklärt Annelies Mutter: "Wir verarschen den Diabetes gemeinsam. Wir sagen, dass Annelie jetzt nicht mehr Einzelkind ist, sondern ungeladen einen hässlichen Bruder bekommen hat, um den wir uns kümmern müssen. Wir nehmen uns der Sache an, aber vergessen niemals dabei zu lachen."
- Christopher Ferner
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