Krebskranke Ex-Ministerin: "Natürlich habe ich oft einen Zorn auf die Situation"

46-218094841
Andrea Kdolsky will als Krebskranke nicht in Watte gepackt werden. Warum sie sich nicht vor dem Tod fürchtet und wieso Humor so wichtig ist.

Andrea Kdolsky hat vor genau einem Jahr eine Krebsdiagnose erhalten: zuerst Darmkrebs, dann Gehirntumor.

KURIER: Wie geht es Ihnen?

Andrea Kdolsky: Vom Darmkrebs bin ich nach 30 Bestrahlungen geheilt. Es war ein Zufallsbefund. Ich bin von der Gynäkologin wegen einer Zyste zur Computertomografie geschickt worden. „Die Zyste ist nicht das Problem, Sie haben Darmkrebs“, sagte der Arzt. Ein Schock. Ich bin aus allen Wolken gefallen. Auch meine Mutter ist an Darmkrebs verstorben, ich hatte sofort Hunderte Bilder im Kopf. Als Ärztin ist man ja auf die Diagnose fokussiert.

Und als Patientin auf die Therapie.

Ja, und das so schnell wie möglich. Man will nichts anderes, als diesen Fremdkörper im Körper bekämpfen. Ich habe jetzt vier Zyklen Chemotherapie durchgestanden. Der Hirntumor ist durch ein Zweitkarzinom entstanden, das weitere Metastasen gebildet hat. Jetzt bin ich in einer sogenannten Teilremission: Alle Metastasen sind deutlich zurückgegangen, haben also gut auf die Chemotherapie angesprochen. Mein behandelnder Onkologe möchte noch zwei Zyklen Chemotherapien anschließen in der Hoffnung, dass die Metastasen dann ganz weg sind. Das nennt man Vollremission. Danach gibt es weiterhin Kontrollen.

Andrea Kdolsky

„Humor behalten ist besonders wichtig“, sagen Sie in Videos dazu. Aber der vergeht einem dazwischen schon einmal, oder?

Ich versuche, Mut zu machen und auch Dinge zu erklären. Sehr oft gehen ja Patientinnen und Patienten aus einer ärztlichen Besprechung hinaus und wissen noch immer nicht, was sie haben. Ja natürlich habe ich schon ein Wochenende durchgeheult. Und wenn mir da jemand gesagt hätte: „Soll ich dich erwürgen“, hätte ich „Ja bitte“ gesagt. Man hat extreme Ups and Downs. Da ist es wichtig, Ziele zu haben und sich an das Positive zu erinnern.

Was ist Ihr Ziel?

Ich schreibe ein Buch mit Informationen für Betroffene und Angehörige – sowie für Menschen, die nicht Krebs haben. Weil die sind oft der schwierigste Part.

Wieso?

Weil ganz wenige Leute mit dem Krebs umgehen können. Die einen reden mit dir, als ob du morgen sterben würdest. Die anderen ziehen sich ganz zurück. Die Dritten weisen darauf hin, dass sie auch eine Verkühlung haben, also auch krank sind. Laut Studien ist 2050 jeder zweite Österreicher von Krebs betroffen. Die Umwelt wird also damit umgehen lernen müssen. Der Krebskranke will ganz normal behandelt werden.

Sie wollen nicht in Watte gepackt werden?

Richtig! Das ist ganz schlecht! Dadurch fällt man in das Leidende. Man muss aufstehen und kämpfen!

Todesangst hat man dennoch?

Das hatte ich weniger, weil ich mich vor dem Tod nicht fürchte. Vielleicht ist das total lustig und geil, es ist ja noch keiner zurückgekommen! Auch vor Schmerzen fürchte ich mich nicht so, weil ich als Schmerztherapeutin die Behandlungsmöglichkeiten kenne. Ich fürchte mich am allermeisten vor Abhängigkeit.

Andrea Kdolsky

Sie sind Single.

Ich lebe seit zehn Jahren als glücklicher Single. Was aber schon schwierig sein kann, wenn man die Kraft durch die Chemo verliert. Daher bin ich jetzt in eine barrierefreie Wohnung übersiedelt.

Sind Sie manchmal wütend, nach dem Motto: „Warum gerade ich?“

Natürlich habe ich oft einen Zorn auf die Situation, weil es mir mein Leben weggenommen hat: meinen Sport, meinen ärztlichen Beruf. Ich war in der Privatklinik Hausärztin und erreichbar, wenn der Belegarzt nicht da ist. Das habe ich wahnsinnig gerne gemacht. Mit dem Darmkrebs habe ich noch gearbeitet, doch mit der Hirnmetastase wurde mir nahegelegt, es nicht mehr zu tun, was mich sehr getroffen hat. Auf einmal bin ich daheimgesessen. Dabei bin ich jemand, der immer was tun muss.

Sie waren Gesundheitsministerin, wie ändert sich der Blick auf notwendige Reformen im Gesundheitswesen, wenn man Patient ist?

Komplementärmedizinische Behandlungen werden von den Kassen nicht finanziert, obwohl man weiß, dass es vor allem in der Chemotherapie unterstützend ist. Da wird es jetzt heißen: Das sind zusätzliche Ausgaben, die Krankenkassen haben doch eh kein Geld. Aber ich glaube, die haben nur deshalb kein Geld, weil sie in ihren eigenen internen Prozessen nicht sparen. Wenn man sich allein die IT-Struktur anschaut, wird einem übel.

War die Krankenkassenfusion von 21 auf fünf richtig?

Es wurden ja nur Schilder ausgetauscht. Prinzipiell wäre eine Reduktion auf zwei – Krankenkasse und Pensionskasse – richtig gewesen. Und ich bin auch für Versicherungspflicht, statt Pflichtversicherung. Dann wäre der Konsument wirklich Kunde.

Zum ausführlichen KURIER TV-Gespräch mit Andrea Kdolsky

Sie sind als Politikerin oft kritisiert und als „Schweinsbratenministerin“ denunziert worden. Worauf Sie ein Schweinsbratenbuch herausgegeben haben. Hat Sie manches damals verletzt?

Es hat mich vieles verletzt, was untergriffig war. Frauen werden noch immer anders beobachtet, und leider sind es oft Frauen, die am härtesten gegen Frauen losgehen.

Sie waren eine extrovertierte Ministerin, haben Csardas auf einer Bühne getanzt. Bereuen Sie etwas?

Ich bereue gar nichts und stehe auch weiterhin zur Aussage, dass es kein Verbrechen ist, ab und zu einen Schweinsbraten zu essen. Den Csardas habe ich für die Kinderkrebshilfe getanzt. Dort engagiere ich mich, weil meine Schwester an Krebs gestorben ist.

Haben Sie ein Krebs-Gen in der Familie?

Das könnte sein, aber ich habe es nicht testen lassen.

Sie sind aus Protest gegen Schwarz-Blau in Niederösterreich aus der ÖVP ausgetreten und haben sich den Neos angeschlossen, für die Sie das Kapitel Gesundheit in den Regierungsgesprächen verhandelt haben. Wie sind Sie mit der jetzigen Bundesregierung zufrieden?

(seufzt) Ich versuche, nicht Muppet zu spielen. Wen ich im Moment sehr schätze in seiner ruhigen Art, ist der Herr Stocker. Aber mir fehlen steuerliche Anreize. Und der Mietpreisdeckel könnte ein Streitpunkt werden – ich war ja nie ein Babler-Freund. Nicht ganz glücklich bin ich auch mit den vielen Ukraine-Reisen der Außenministerin.

Ist „Keep Smiling“ Ihr Motto?

Ja. Wenn man an Krebs erkrankt ist, ist Humor neben der Therapie der einzige wirkliche Verbündete, den man hat. Ich habe in Italien so gerne gelebt, weil es humorvoll war. Wenn man hingegen in Wien in eine U-Bahn steigt, glaubt man, die Welt ist gerade zusammengebrochen. Das Leben ist gut, und wir müssen jede Minute genießen!

Kommentare