Virtuelle Politiker: KI-Revolution oder Risiko für die Demokratie?

Experte: Chance, dass KI Menschen ausrottet, liegt bei 20 Prozent
Dr. Theodore Lechterman, der den UNESCO-Lehrstuhl für KI-Ethik und -Governance an der IE University innehat, gibt Einblick auf mögliche Szenarien, die eintreten können, sobald künstliche Intelligenz in der Politik eingesetzt wird. Virtuelle Politiker könnten also bald unsere Zukunft werden, doch zu welchem Preis?
Mehrheit der Europäer für KI-Politiker
Bereits im Jahr 2021 befragte die IE Universität für eine Studie mehr als 2.700 Menschen zum Einsatz von KI in der Politik. Mehr als die Hälfte der Befragten aus Europa (51 Prozent) gab an, dass sie dafür wären, wenn Artificial Intelligence (AI) vermehrt angewendet wird. Außerhalb Europas befürworten etwa 75 Prozent der in China befragten Personen die Idee, Parlamentarier durch KI zu ersetzen. 60 Prozent der US-Amerikaner lehnten dies jedoch ab.
Lechterman zählt in einem Beitrag drei Szenarien auf, die beim Einsatz von AI auftreten können:
Szenario 1: KI als korruptionsfreie Politiker?
Werden in Zukunft Chatbots in der Regierung eingesetzt, wird vor allem die Bewertung der menschlichen Beteiligung in der Politik hinterfragt. Im Gegensatz zum Menschen würde sich die Künstliche Intelligenz nicht zur Korruption durch Gier nach Geld, Macht oder Ruhm verführen lassen. Zudem bräuchte sie keine Pausen und könnte effizienter vorgehen sowie mit mehreren Menschen gleichzeitig kommunizieren. Auch die Tatsache, dass die AI über enzyklopädisches Wissen und übermenschliche analytische Fähigkeiten besitzt, könnte von Vorteil sein.
- Es wäre nicht das erste Mal, dass künstliche Intelligenz den Einzug in politische Sphären findet, denn bereits 2017 forderte ein Chatbot namens Alice das Staatsoberhaupt Wladimir Putin als Präsidentschaftskandidat in Russland heraus.
- In Neuseeland wurde im selben Jahr der "erste virtuelle Politiker" namens SAM vorgestellt, der ebenfalls für das Amt des Präsidenten kandidierte.
Virtuelle Politiker würden Erwartungen nicht erfüllen
Dennoch warnt Lechterman auch vor den virtuellen Politiker, die die "Schwächen" des heutigen KI-Systems geerbt haben: "Diese Chatbots, die von großen Sprachmodellen angetrieben werden, sind oft Blackboxen, die unseren Einblick in ihre Gedankengänge einschränken. Sie erzeugen häufig ungenaue oder erfundene Antworten." Demnach wären diese Beamten ein leichteres Opfer für Cyber-Haker und -Angriffe.
Zudem können sie nur von bestimmten Trainingsdaten, gesellschaftlichen Ungleichheiten und den Annahmen der Programmierer beeinflusst werden. "Unsere Institutionen wurden für Politiker mit menschlichen Körpern und moralischem Handeln geschaffen. Wir erwarten von unseren Politikern mehr als nur die Beantwortung von Aufforderungen – wir erwarten von ihnen auch, dass sie Mitarbeiter beaufsichtigen, mit Kollegen verhandeln, sich aufrichtig um ihre Wähler kümmern und die Verantwortung für ihre Entscheidungen und Handlungen übernehmen", schreibt Lechterman weiter. KI-Politiker würden unseren Erwartungen daher nicht gerecht werden.
Szenario 2: KI-gestützte direkte Demokratie
Im zweiten Ansatz geht der Experte auf die Annahme von Physiker César Hidalgo, der in einem TED-Talk seinen radikalen Vorschlag, um unser "kaputtes politisches System" zu reparieren, erklärte. Hidalgo möchte menschliche Politiker "abschaffen" und auf Artificial Intelligence setzen, um personalisierte "Agenten" für die Wähler zu stellen. Diese kann man mit seinen eigenen politischen Präferenzen programmieren, die anschließend direkt an demokratischen Entscheidungen teilnehmen sollen. Diese Agenten können dann automatisch miteinander verhandeln, um eine gemeinsame Basis zu finden, Meinungsverschiedenheiten zu lösen und Gesetze zu verfassen.
- Laut Hidalgo würde dies vor allem den Bürgern die Chance bieten, die direkte Demokratie zu entfesseln und einen größeren Einfluss auf politische Entscheidungskraft im Land zu ermöglichen.
- Gleichzeitig werden aber auch die traditionellen Hürden des Zeitaufwands und der legislativen Expertise überwunden.
"Der Vorschlag scheint angesichts der weit verbreiteten Unzufriedenheit mit den herkömmlichen repräsentativen Institutionen besonders attraktiv", schreibt Lechterman weiter. "Die Abschaffung der Repräsentation könnte sich jedoch als schwieriger erweisen, als es scheint. In Hidalgos 'Avatar-Demokratie' wären die Experten, die die Algorithmen entwerfen, de facto die Königsmacher. Da die einzige Möglichkeit, ihre Macht zu legitimieren, wahrscheinlich eine Abstimmung wäre, könnten wir lediglich eine Form der Vertretung durch eine andere ersetzen."
Szenario 3: Eine Politik ohne Menschen?
Durch den Einsatz der Künstlicher Intelligenz in der Regierung steht auch noch ein weiterer Aspekt im Raum: Menschen vollkommen aus der Politik zu verbannen. "Die Logik ist ganz einfach: Wenn die KI-Technologie so weit fortgeschritten ist, dass sie zuverlässig bessere Entscheidungen trifft als der Mensch, wozu dann noch die menschliche Mitwirkung?", fragt der Experte und geht damit auf eine Algokratie ein.
Darunter versteht man ein politisches System, das von Algorithmen gesteuert wird. Dieses "Schreckgespenst", wie Lechterman es beschreibt, würde uns vor allem dazu zwingen, kritisch darüber nachzudenken, "warum menschliche Beteiligung an der Politik wichtig ist."
In seinem Resümee erklärt Lechterman, dass man die Integration von AI in der Politik nicht zu "vorschnell" entscheiden sollte: "Wir können uns heute auf Werkzeuge konzentrieren, die das menschliche politische Urteilsvermögen verbessern und demokratische Defizite ausgleichen. Werkzeuge wie die Habermas-Maschine, ein KI-Diskussionsvermittler, haben erfolgreich dazu beigetragen, dass Versuchsgruppen bei Abstimmungen über spaltende, polarisierende Themen einen Konsens erzielen. Es werden mehr Innovationen dieser Art benötigt."
Laut Experten würde die Zukunft von Künstlicher Intelligenz in der Politik "nicht im vollständigen Ersatz menschlicher Entscheidungsträger" liegen, sondern in einer "durchdachten Integration, die die menschlichen Fähigkeiten erweitert und die demokratischen Institutionen stärkt."
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