Jil Sander fühlt sich reif
Anspielungen auf das Alter findet Jil Sander sexistisch. Seit bekannt wurde, dass die große Modemacherin in die Designwerkstatt ihres Labels zurückkehrt, ist ihr Alter allerdings ein Thema. Bei einem 72-Jährigen, der deutscher Bundespräsident wird, oder einem Modepapst, der bald seinen 80. Geburtstag feiert, fragt niemand. 1968 eröffnete die norddeutsche Textil-Ingenieurin ihre erste Boutique in Hamburg, ab 1973 verkaufte sie dort ihre eigenen Kollektionen. Die standen von Anfang an für das Frauenbild ihrer Zeit – KURIER-Modeexpertin Brigitte R. Winkler nennt sie "revolutionär": "Sander kleidete Frauen nicht mehr als Aufputz, sondern überlegte, was sie brauchen und wollen." Sander nennt das in einem Interview mit der Welt am Sonntag "meine Ästhetik aus der Bauhaus-Tradition". Ihre Mode war unsexistisch – elegant, erfolgreich und dennoch weiblich. Dazu passt nur, dass sie sich nicht für ihr Alter rechtfertigen will. Auf die Frage danach antwortete die Designerin trotzdem: "Ich stehe in einem Lebensabschnitt, in dem Politiker erst für höhere Aufgaben reifen", sagte sie zur Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Die Branche fragt nun: Was soll Sanders höhere Aufgabe sein? Erfolgslauf Sander hat Modegeschichte geschrieben. 1989 führte sie ihr Unternehmen, bereits um die Kosmetiklinie erweitert, an die Börse. Sie strebte in die Welt, wie schon früher mit ihrem Studium der Formgebung in Los Angeles. So brach sie mit dem Klischee, ihre Mode – puristische Eleganz, kühle Schlichtheit in edlen Stoffen – sei nur Produkt ihrer Deutschheit. Winkler: "Sie verließ in den 1980ern Deutschland, um sich in Mailand mit den Großen zu messen. Das ist ihr hoch anzurechnen." Das Label wurde mit Sätzen wie "Sander is hot, Armani not" umjubelt, Jil stieg zu einer der wichtigsten Modemacherinnen auf. Doch der Umsatz blieb zurück. Winkler: "Sander konnte nie wirklich organisieren. Dadurch kam es zu finanziellen Problemen." 1999 kaufte die italienische Prada-Gruppe das Unternehmen.
Aber während Prada-Vorsitzender Patrizio Bertelli nur eine weitere Marke wollte, ging es für Sander um ihr Lebenswerk. Wegen dieser Diskrepanz hörte sie als Chefdesignerin auf, kam 2003 zurück und ging 2004 wieder. In den Folgejahren wurde das Unternehmen wegen Umsatzproblemen verkauft: zuerst an eine britische Investorengruppe, 2008 an eine japanische Firma. Die Person Sander tauchte erst 2009 als Designerin für das Label Uniqlo wieder auf. 2011 endete diese Arbeit. Für das Label war seit 2005 Raf Simons als Kreativdirektor verantwortlich. Nun beerbt Sander ihren ehemaligen Nachfolger, der als neuer Dior-Chefdesigner gehandelt wird. Er ist mit 44 Jahren in einem Alter, in dem man ungefragt neue Wege gehen darf. Insider wie Winkler halten seine Sander-Jahre für "die Blütezeit des Labels" und sind skeptisch, ob sich die Person Sander noch in der Branche zurechtfinden wird. Sie selbst sagt dazu: "Ich habe eine fast kindliche Vorliebe für die Zukunft." Es ist wohl eine jener höheren Aufgaben. Aber Jil Sanders ist ja auch schon 68 Jahre alt.
Nichts für den vollbusigen Vamp
Jil Sander steht für den tragbaren Clean Chic. Ihren klassischen Blazermantel kann man noch Jahre später ausführen – denn der Sander-Stil steht für zeitlose Eleganz. Das bestätigt auch Jenny Kupfer, die in der gleichnamigen Boutique auf der Kärntnerstraße in Wien das international renommierte Modelabel führt: "Die typische Jil-Sander-Kundin ist selbstbewusst, unabhängig und liebt die schlichte Raffinesse – ohne Firlefanz, aber stets mit dem Touch des neuen Trends. Und sie ist mehr für den zarten und schlanken Frauentyp, als für den vollbusigen Vamp." Die Marke der deutschen Modeschöpferin ist auch in Hollywood gefragt. Oscarpreisträgerin Tilda Swinton ist ein bekennender Fan, Stilikone Kate Bosworth schwört ebenfalls auf die innovativen Designs.
Innovativ war Jil Sander von Anfang an. Sie hat ein Gespür für Materialien und Muster und ist dabei federführend. Der Beweis? Die Peplum-Falte (hüftumspielende große Falte, siehe links) , der Sander-Kollektion Sommer 2011 feierte eben erst auf der Fashionweek in London ein Revival bei internationalen Toplabels – für den Herbst/Winter 2013. Daher lohnt sich ein Blick auf ihre aktuelle Frühjahr/Sommer-Kollektion: Paisleymuster dominieren. Die Schnitte sind schlicht, die Bermudas kurz und das Dekolleté ist tief. Zu den gedeckten Farben gesellen sich knallige Töne einerseits und zarte Eistöne in verschiedenen Pastell-Nuancen andererseits. Jenny Kupfer: "Die neuen Kreationen sind lässig – mit dem gewissen Twist."
Kommentare