Obdachlos und schwere Schicksalsschläge: Was wurde aus East 17?
In der Adventszeit erinnert man sich gern an frühere Weihnachtshits, die im Radio liefen, als man jung (oder jünger) war und man sich noch mit leuchtenden Augen auf das Christkind freute – oder man zumindest froh war, wenn man es schaffte, rechtzeitig das heiß erwünschte, aber mit mühsamer Anstrengung aufzutreibende Geschenk für den Nachwuchs zu besorgen.
Einer dieser Hits ist, auch wenn er heute zwischen modernen Klassikern von Mariah Carey, Kelly Clarkson oder John Legend gerne vergessen wird, der Song "Stay Another Day" der britischen Boyband East 17. Die Ballade stürmte 1994 nicht nur in Deutschland und Österreich, sondern vor allem in Großbritannien die Charts, wo er zur Weihnachtszeit sogar Platz 1 errang. Heuer feiert der Song somit sein 30. Jubiläum.
Nach einigen wenigen erfolgreichen Jahren war von der Band aber bald nichts mehr zu hören, die Jungs verschwanden in der Versenkung – oder etwa doch nicht? Was ist aus Terry Coldwell (heute 50), Brian Harvey (50) und John Hendy (53) und Tony Mortimer (54) geworden?
Rebellische Anti-Boyband
Die 90er waren das Jahrzehnt der Boybands: Niedliche Jungs mit gerade so viel Sexappeal, dass die Zielgruppe der jungen Mädchen nicht verschreckt wurde, aber trotzdem auch deren Mütter Interesse an der Band zeigten. Man denke an Take That oder die Backstreet Boys: das Image war glatt poliert, die Gesangsbuben entstammten meist der Weißen Oberschicht und mit Gänsehautballaden brach man Herzen von Millionen Fans weltweit. Auch wenn es mindestens einen Rabauken in der Gruppe gab, hieß das Motto trotzdem: Bitte immer Schwiegermutter-tauglich bleiben!
In Großbritannien machte es die Mega-Band Take That (mit Gary Barlow und Robbie Williams) vor, einer der erfolgreichsten Bands dieses Jahrzehnts. Weil jeder Trend aber früher oder später Gegentrends hervorbringt, wurde bald die vierköpfige (selbst das war bereits außergewöhnlich) Band aus dem Londoner East End medienwirksam präsentiert:
East 17 trat im Gegensatz zu Take That und Co. rebellischer, aufmüpfiger und proletarischer auf (zumindest das, was man im damaligen Popbusiness darunter verstand). Sie kamen aus der Arbeiterklasse und zeigten das auch: Flinserl, Tattoos, Glatze, Lederjacke, Baggypants, Karohemden. Die Anti-Boyband. Balladen gab's trotzdem.
Drogenskandal beendete die Karrie über Nacht
Die erste Platte "Walthamstow" (benannt nach dem Viertel, aus dem sie kamen) erreichte in England bereits Platz 1, noch erfolgreicher war aber das Folgealbum "Steam", das auch international ein Bestseller wurde – in Österreich reichte es sogar für Platz 3. Songs wie "House of Love", "Deep", "Around the World" oder eben "Stay Another Day" (ihr größter Hit) hielten sich wochenlang in den Charts und sorgten für ausverkaufte Hallen. Sogar unter Jungs galten East 17 als cool. Insgesamt verkaufte East 17 mehr als 18 Millionen Platten weltweit.
Als der Drogenkonsum von Brian Harvey allerdings öffentlich wurde, konnte sich die Band niemals von diesem Skandal erholen. So bunt und laut die 90er waren, so prüde waren sie doch in ihrem Herzen. East 17 löste sich 1997 aprubt auf, versuchte die Jahre darauf in unterschiedlicher Besetzung mehrere Comebacks, mal mehr, mal weniger erfolgreich. An den anfänglichen Hype konnte allerdings nicht mehr angeschlossen worden.
East 17 ist heute ein (neues) Trio
Heute treten East 17 – Originalmitglied Terry Coldwell, Joe Livermore und Robbie Craig – immer noch auf, allerdings in kleinem Rahmen, beispielsweise bei Retro-90s-Partys oder Freizeitparkfestivals. Die Band managt sich selbst, auch veröffentlichen sie nach wie vor Alben, die allerdings nur mit geringer Aufmerksamkeit belohnt werden.
"Ich habe East 17 immer als einen Job gesehen – den besten Job der Welt, versteh mich nicht falsch – aber es ist ein Job", so Terry Coldwell im Gespräch mit Daily Mail. "Ich bin nicht größer als der Typ, der die Straße fegt. Wir haben denselben Job, nur eben einen anderen."
Nicht immer konnte Coldwell nach der Hoch-Zeit von East 17 von der Musik leben. "Es gab eine Zeit, in der ich für Volvo arbeitete", erzählt er der Zeitung. "Es waren lange Arbeitszeiten, aber wirklich beschissenes Geld – ungefähr 45 Pfund pro Tag für 14 Stunden. Aber man muss tun, was man tun muss, um die Kinder zu ernähren.“
Über seine ehemaligen Bandkollegen sagte er in der BBC-Doku "Boybands Forever": "Wir reden nicht. Aber ich hege keinen Groll. Es gab gute und schlechte Zeiten, aber das ist wie in jedem Job.“
Tony Mortimer: Immer noch im Musikbusiness tätig
Tony Mortimer gründete nicht nur East 17, sondern war auch Hauptverantwortlicher für das Songwriting. Nach der Auflösung der Band 1997 kehrte er noch zweimal zu East 17 zurück, bevor er das Projekt 2013 endgültig hinter sich ließ.
Seit East 17 ist Mortimer hauptsächlich hinter den Kulissen als Songwriter und Produzent für andere Künstler beschäftigt. Kurzzeitig war er Mitglied der Band Subzero, eine weitere Band, die er mit Freunden gründete. 2013 erschien sein bis dato einziges Soloalbum "Songs from the Suitcase", das trotz hervorragender Kritikern aber kein Erfolg wurde. 2024 veröffentlichte er eine neue Version von "Stay Another Day" (der Song handelt vom Selbstmord seines Bruders), der Erlös kommt einem musiktherapeutischen Verein für Kinder zugute.
Privat lebt er mit seiner Partnerin Tracey und seinen zwei Töchtern auf einem Bauernhof.
John Hendy: Obdachlos, dann Dachdecker
Auch John Hendy kehrte nach 1997 mehrmals zu East 17 zurück, 2018 stieg er aus "privaten Gründen" aber endgültig aus.
Der Ausbrechen aus der Musikbranche traf Hendy besonders hart, er hatte mit großen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. "[Meine Familie und ich] hatten kein Geld", gibt er gegenüber der Daily Mail zu. Sie ließen England hinter sich und zogen nach Spanien, wo Hendy sich selbstständig machen wollte. Doch dann kam die Pandemie, die Familie war gezwungen, wieder nach England zurückzukehren. "Ich musste mir Geld von meinem Cousin leihen, um den Rückflug zu bezahlen", so Hendy. "Dann hatten wir keine Bleibe, niemand wollte mich unterbringen."
Schließlich musste die Familie in ein schäbiges Hostel ziehen, wo sie anderthalb Jahre lang wohnte. Hendy zu Daily Mail: "Es war schlimm. Wenn man den Korridor entlangging, waren dort Crack-Süchtige." Die gesamte Familie teilte sich ein Zimmer. "Das wünsche ich niemandem."
Heute arbeitet der Ex-Popstar als Dachdecker. "Als ich anfing, als Dachdecker zu arbeiten, dachte ich, ich würde wirklich schlecht behandelt werden", gibt er im Interview mit der Daily Mail zu. "Aber die Leute zollten mir Respekt, weil sie es gut fanden, dass du nach dem, was du durchgemacht und getan hast, wieder auf das Dach gehst.“
Brian Harvey: Harte Schicksalsschläge
Brian Harvey, der ehemalige Frontman von East 17, wurde 2001 Opfer einer Messerattacke, 2005 erlitt er einen schweren Autounfall, bei dem er beinahe starb. Auch bereits zwei Selbstmordversuche hat Harvey hinter sich. 2021 wurde er aufgrund von "böswilliger Kommunikation" verhaftet.
Nach mehreren Comebacks mit East 17 versuchte sich Harvey als Solokünstler, sowohl Singles als auch Album floppten jedoch. 2004 trat er in der britischen Version der TV-Show "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" auf. 2007 scheiterte er beim britischen Vorentscheid des ESC.
Auf seinen zwei YouTube-Kanälen veröffentlicht Harvey regelmäßig Videos, teils mit fragwürdigen (sprich: verschwörungstheoretischen) Inhalten.
Kommentare