Stefan Jürgens: Der gezähmte Widerspenstige
Einen Ausflug ins „Haus des Meeres“ schlägt der Soko-Donau-Kieberer vor. Wenn er nicht als Ermittler Carl Ribarski vor der Kamera steht oder als Singer-Songwriter mit seiner Band auf Tournee ist, erkundet er als Taucher die Meereswelt. Oder gibt sich den Kick im freien Fall. Auf der Terrasse im 11. Stock, mit Blick über Wien, erzählt Stefan Jürgens von seiner neuen Leidenschaft.
„Vor einigen Monaten habe ich etwas getan, was ich schon seit langer Zeit vor mir hergeschoben habe – ich bin Fallschirm gesprungen.“ Jetzt macht er in Berlin die Fallschirmspringer-Ausbildung. Das Gefühl des freien Falls, der Moment, über die Kante zu springen, der Punkt, sich einmal komplett loszulassen, sei tatsächlich bewusstseinserweiternd gewesen. „Das Loslassen als Metapher kann man besser nicht beschreiben, ich weiß, dass alles möglich ist“, sagt der 48-Jährige während er die Meeresschildkröten streichelt.
„Alles immer möglich“ heißt auch das neue Album des Musikers, der seine Songs selbst komponiert und textet. Den Titelsong widmete er seinem jüngsten Sohn zum 18. Geburtstag. „Er geht jetzt ins Leben raus, will Mediziner werden. Sei zuversichtlich und vor allem mach das, was du für richtig hältst. Wenn man Zuversicht beschreibt, wird man feststellen, dass ein großes Maß an Geduld und Gelassenheit dazugehört.“
Gelassenheit, die der Deutsche erst lernen musste. Wutausbrüche kommen bei dem Mann mit der grau melierten Mähne und dem Dreitagebart nur noch selten vor. Dietrich Siegl, sein Serienkollege und Freund, beschreibt ihn als introvertiert und zugleich extrovertiert. „Wenn er einen Rappel kriegt, was wesentlich besser geworden ist, dann sehe ich dahinter und orte eine Unsicherheit. Gleichzeitig, wenn er nichts redet, empfinde ich das nicht als abweisend, sondern ich weiß, es arbeitet etwas in ihm.“ Beide sind im Sternzeichen Fisch geboren und verstehen einander wortlos. Siegl: „Ich kann ihn lesen und er mich.“
Im Teenager-Alter schrieb er die ersten „sehr triefenden, melancholischen Gedichte“, die er auf dem Klavier vertonte. In seinen 30er-Jahren war Jürgens, Sohn eines Arbeiters aus Unna im Ruhrgebiet, der sich hochgearbeitet hat, mit einigen Krisen beschäftigt. In seinen 40ern musste er Verantwortung für seine Familie übernehmen. Damals pendelte er zwischen Deutschland und Ibiza, wo er mit seiner Familie lebte. Von wie vielen Frauen die vier Kinder (18, 20, 22, 28) stammen, „spielt hier überhaupt keine Rolle“. Punkt. Privates soll privat bleiben. Siegl beschreibt ihn als Vater so: „Ich würde ihn ins klassische Patriarchentum einordnen. Er kommandiert sie nicht herum, aber er fühlt sich wahnsinnig zuständig für ihr Wohlergehen.“
Glückspilz
Jetzt, kurz vor seinem 50er, ist Jürgens zuversichtlich. Er weiß, dass im Leben einiges schiefgelaufen ist, ohne dass das ganze Schiff untergegangen ist. „Es gibt immer einen Weg“, ist der deutsche Schauspieler und Musiker überzeugt.
Er ist ein Glückspilz, der sein Glück heute zu schätzen weiß. Am Anfang seiner Karriere war er „chronisch unzufrieden“. Mit den Großen des Theaters wie Gert Voss stand er auf der Bühne – in Berlin, Dortmund, Bochum, Köln. So richtig glücklich war er trotzdem nicht. 1992 saß er schwer betrunken in der Kantine und dachte: „Was bist denn du für ein scheiß nörgelnder Kantinenschauspieler geworden.“ Am nächsten Tag kündigte er – ohne Netz und Boden.
Nach drei Monaten Hungerzeit startete er durch. Zwei Filmangebote, das Engagement als Comedian in der „RTL Samstag Nacht“-Show und zwei Jahre als Tatort-Kommissar folgten. Und da war immer auch seine Musik. „Selbst auf die Bühne zu springen, mit den Leuten über die Musik in Kontakt zu kommen. Was besseres kann man sich ja gar nicht vorstellen.“
Nichts ist unmöglich, das weiß er jetzt. Vorbei sind die Zeiten, in denen er sich selbst im Weg stand. Er liebt seine zwei Berufe und seine Grazer Freundin, mit der er in Wien lebt. Jürgens streicht sich die Haare aus dem Gesicht und zeigt Richtung Innenstadt: „Wien ist so unglaublich schön.“
CD
„Alles immer möglich“
(Valicon) heißt das zweite Studioalbum von Stefan Jürgens. Als Musiker und Pianist schreibt und komponiert er seine Stücke selbst.
Zu einer guten Beziehung gehören Geduld und die Fähigkeit, den anderen loslassen zu können.
Peinlich ist mir Geiz.
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