Schwanger und frei: Gypsy Rose Blanchard über ihr neues Leben
Der Fall sorgte weltweit für Schlagzeilen: Gypsy Rose Blanchard wurde von ihrer Mutter über Jahre isoliert und gequält. Clauddine "Dee Dee" Blanchard gab sich als liebevolle Mutter, täuschte in Wirklichkeit jedoch schwere Krankheiten ihrer Tochter vor. Dee Dee Blanchard setzte Gypsy unter Medikamente, rasierte ihr die Haare ab, um sie krank aussehen zu lassen, und zwang sie in einen Rollstuhl. Der Missbrauch endete im Jahr 2015, als Gypsy, damals 23 Jahre alt, die Mutter ermorden ließ. Die junge Frau saß deshalb seit 2016 in Haft und kam Ende 2023 auf Bewährung frei.
Ihre Geschichte steht im Mittelpunkt der Doku-Serie "Der Fall Gypsy Rose Blanchard", die Anfang dieses Jahres startete und nun mit der zweiten Staffel fortgesetzt wird (immer sonntags um 20:15 Uhr auf Crime + Investigation und jederzeit auf Abruf über Crime + Investigation Play). Diese befasst sich mit Gypsys Leben in Freiheit: von den freudigen Momenten, in denen sie erstmals Entscheidungen treffen kann, bis zu den Herausforderungen, die das Leben mit sich bringen, während sie sich ihrer Vergangenheit stellt. So muss Gypsy mit sich selbst und ihrer Prominenz zurechtkommen, während sie versucht, sich in einer "normalen" Welt zu orientieren - als Ehefrau, Schwester, Tochter und als Frau in Freiheit.
Erste Male
Gypsy hatte sich 2016 schuldig bekannt, gemeinsam mit ihrem damaligen Freund die Ermordung ihrer Mutter geplant zu haben. Der Freund, der die Mutter 2015 erstach, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Sie dagegen kam mit einer vergleichsweise kurzen Haftstrafe davon, weil sie zuvor über viele Jahre von ihrer Mutter gequält worden war.
Ihr neues Leben fühle sich wie eine Wiedergeburt an, sagt Gypsy in einem Interview zum Start der neuen Staffel ihrer Doku. "Ich mache manche Erfahrungen jetzt tatsächlich zum ersten Mal. Vielleicht spät, aber besser jetzt als nie. Autofahren und Kochen zum Beispiel. Die meisten Personen lernen all diese unterschiedlichen Dinge, wenn sie Teenager sind, ich nun erst als Erwachsene, also ein bisschen später im Leben."
Kann man sagen, dass sie jetzt ein normales Leben führt? "Dabei ist es natürlich eine Definitionssache, was 'normal' überhaupt bedeutet. Da sind Aspekte in meinem Leben, die man sicher nicht einfach als 'normal' bezeichnen kann. Ich stehe, obwohl ich auf Bewährung aus der Haft entlassen wurde, in gewisser Hinsicht immer noch unter Beobachtung. Aber wenn man diese Einschränkungen außer Acht lässt, ist mein Leben ziemlich normal", sagt Blanchard. Sehen Sie das ganze Interview hier:
Baby unterwegs
Auf Gypsy Rose Blanchard wartet wieder ein neues Kapitel im Leben, sie ist schwanger. "Das ist sehr aufregend, und mein jetziger Partner und ich schauen, was die Zukunft uns zu dritt bringen wird." Ihre Familie stehe ihr nun bei. "Als ich feststellte, dass ich schwanger bin, kam das wirklich total unerwartet für mich. Erst schoss mir durch den Kopf: Dafür bin ich noch nicht bereit. Ich bin doch gerade erst aus der Haft entlassen worden. Ich muss mich erst in meinem eigenen, neuen Leben zurechtfinden. Doch nach einer kurzen Zeit dachte ich: Okay, ich bin vielleicht noch nicht bereit dafür, ein Baby zu haben, aber ich gebe mein Bestes. Ich habe wirklich nicht die richtige mütterliche Fürsorge genossen, deswegen bin ich sehr viel mehr motiviert, es anders, ja, viel besser zu machen als meine Mama. Und wenn ich mal nicht weiß, wie ich etwas machen soll, habe ich tolle Menschen um mich herum. Das ist meine Großmutter, da ist meine Stiefmutter und natürlich mein Vater. Die können mir helfen, wenn ich Fragen habe, wie es ist, sich um ein Kind zu kümmern.
Nun wünsche sie sich, anderem ein Vorbild zu sein: "Ich hoffe, dass, wenn ich meine Lebensgeschichte erzähle, die Menschen, die ebenfalls mental oder emotional traumatisiert sind, daraus etwas lernen können, wenn sie sehen, durch wie viele Dinge ich hindurchgehen musste, um jetzt hier angelangt zu sein. Auch, wenn ich traumatisiert bin, ließ ich es letztendlich nicht zu, mich völlig von meiner Mama runterziehen zu lassen. Eine bessere Zukunft für mich wollte sie nicht, ich aber. Leute, die diese Serie ansehen, können aus dieser Story lernen - nicht das zu tun, was ich tat, aber auch nicht aufzugeben, was ich ebenfalls niemals machte."
Isolation
Ihre Mutter hatte vorgetäuscht, dass Gypsy unter Leukämie, Muskeldystrophie und anderen schweren Krankheiten litt. Gypsy Rose Blanchard saß im Rollstuhl, wurde künstlich ernährt und musste verschiedene Eingriffe und Behandlungen über sich ergehen lassen - was sich später alles als vollkommen unnötig herausstellte. Sie war unterernährt, lebte komplett isoliert und weitgehend ohne Schulbildung. Ihren Freund, den sie später zur Tötung der Mutter überredete, lernte sie als junge Frau im Internet kennen.
Die Ermittler gingen davon aus, dass die Mutter unter dem seltenen Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom litt und systematisch ein Netz aus Lügen über den Zustand ihrer Tochter aufbaute. Betroffene des Syndroms fügen anderen - meistens Kindern - absichtlich gesundheitliche Schäden zu, um die Fürsorge von Ärzten und Zuwendung für sich selbst zu erschleichen und sich als scheinbar aufopferungsvolle Pflegende zu inszenieren. Der ungewöhnliche Fall zog in den USA nationale Aufmerksamkeit auf sich und wurde zu mehreren TV-Formaten verarbeitet.
Heute spreche sie in Therapie über die Vergangenheit und Gegenwart. "Es ist eine Reise, bei der ich durch die verschiedenen Emotionen gehe. Ich fühle mich manchmal noch so verletzt, und der Schmerz ist so groß, dass ich denke, er wird für immer anhalten. Dass sich das ändert, daran arbeite ich intensiv in der Therapie. Und wenn der Schmerz dann wieder da ist, habe ich gelernt, was ich für Hilfsmittel habe, wie ich mit ihm umgehen kann. Es ist eine Reise in mich selbst hinein, bei der ich außerdem lerne, meiner Mama zu verzeihen, für das, was sie mir angetan hat", so Gypsie im Interview. Künftig wolle sie "öffentlich über meine Geschichte sprechen und sie mit anderen zu teilen, damit wir daraus gemeinsam lernen können".
Die Auseinandersetzung mit ihrer Lebensgeschichte betrachte sie "ein bisschen zwiespältig". "Manchmal ist es mental erschöpfend, so viel über einen selbst mitzuteilen. Eingefangen von den Kameras wird das, was ich preisgebe, in der ganzen Welt ausgestrahlt. Doch es ist für mich auch ein inneres Wachsen, und der Lohn ist die Akzeptanz der anderen. Insofern ist die Doku-Serie auch eine Form der Therapie für mich."
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