"Ich will nicht gleich vergessen sein"
Die Fotos in der Salzburger Wohnung mögen vergilbt sein, doch sein Blick ist klar. Es sind die Augen des 94-Jährigen, die sein Leben erzählen – zwischen Himalaja und Hollywood: Marilyn Monroe saß bei ihm ungeschminkt und im Pulli in der Vorlesung; Clint Eastwood holte er mit seinem Cabrio vom Bahnhof ab. 100 Filme drehte er auf den spektakulärsten Bergen der Welt.
Norman Dyhrenfurth, Sohn des Himalajaforschers Günter Oskar Dyhrenfurth, wurde 1918 auf Schloss Carlowitz bei Breslau (heute Polen) geboren. Mutter Hettie, mit jüdischen Vorfahren Jüdin, wanderte vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in die USA aus, die Kinder folgten ihr. Norman arbeitete in den USA als Skilehrer, Bergführer und Filmemacher, trat in die Army ein, wurde Professor für Film in Los Angeles und kam 1952 als Kameramann erstmals zum Everest. Er initiierte, organisierte und leitete die historische US-Everest-Expedition von 1963, bei der sechs Männer den Gipfel erreichten, zwei davon über eine neue Route. Seit mehr als 30 Jahren lebt Dyhrenfurth mit seiner Lebensgefährtin Maria Sernetz, 93, in Salzburg. Er fährt mit dem Auto zum Golfplatz und schreibt eifrig eMails.
KURIER: Sie wurden am 7. Mai 94 Jahre alt. Verraten Sie uns, wie bleibt man geistig und körperlich so fit wie Sie?
Norman G. Dyhrenfurth: Ich habe Glück gehabt. Ich bin zwar einmal unter eine Lawine geraten, aber hatte nie einen schweren Bergunfall. Wahrscheinlich habe ich gute Gene: Mein Vater wurde 89, mein Bruder und meine Schwester starben mit 92.
Haben Sie ein sehr gesundes Leben geführt?
Nicht besonders. Ich habe aber nie geraucht. Meine Ex-Frau hat viel geraucht und getrunken.
Ging deshalb die Ehe schief?
Wir haben uns verliebt, bevor ich in die US-Armee ging. Da haben wir einen Pakt geschlossen: Wenn ich den Krieg überlebe, heiraten wir. Eine Woche nach der Hochzeit habe ich gewusst, es war ein Fehler. Sie war vollkommen unsportlich. Aber es hat 20 Jahre lang gehalten. 1965 habe ich meine jetzige Freundin kennen gelernt. Ein Jahr danach habe ich mich scheiden lassen.
Der Film war mein Beruf. Meine Leidenschaft waren die Berge. Wenn man keine Leidenschaft für die Berge hat, soll man auch nicht auf die Berge gehen. Die Menschen, die 85.000 Dollar zahlen, dass sie auf den Mount Everest getragen werden, haben keine Leidenschaft.
Waren Sie ein Abenteurer?
Nein. Meine American-Everest-Expedition ’63 habe ich drei Jahre lang geplant. Ein Expeditionsleiter, der sich als Abenteurer betrachtet, ist fehl am Platz.
Sie haben von Ihrem Vater die Liebe und Leidenschaft für die Berge geerbt. Wie schwer war es für Sie, sich von diesem erfolgreichen Vater zu lösen?
Bevor ich in die USA ging, habe ich mit meinem Vater noch sehr schöne Bergtouren im Montblanc-Gebiet gemacht. Er war schon 51 und ein bissl schwer. An der Dent du Geant habe ich zum ersten Mal die Führung übernommen. Das war ein schönes Gefühl.
Sie sind Ihrer Mutter 1937 als 19-Jähriger in die USA gefolgt, wo Sie Karriere machten. Was war für Sie das Faszinierende am American way of life?
Ich war gar nicht so fasziniert. Aber mein Vater hat immer gestaunt. Er hat gesagt: „Du hast nur die Matura und bist Professor an der Uni von Kalifornien – wie ist das möglich?“ In den USA ist das möglich.
Gibt es ein Motto, nach dem Sie gelebt haben?
Friedrich Schiller hat einmal aus dem Fenster geschaut und einen schönen Berg gesehen. Es ist ihm gelungen, ihn zu besteigen. Doch als er oben war, sah er weitere Berge – schöner und höher. Das ist das Leben.
Worauf sind Sie in Ihren 94 Jahren besonders stolz?
Auf die Expedition 1963, wir haben nicht nur einen 8000er überschritten, sondern den höchsten. Das war sicher der Höhepunkt meines Lebens.
Gar nicht. Bei der amerikanischen Everest-Expedition 1963 war ich knapp 45 Jahre alt.
Aber wären Sie nicht gerne oben gestanden?
Nicht als Expeditionsleiter. Und nicht auf der Micky-Mouse-Route hinauf, die heute alle gehen. Ich würde als junger Bergsteiger auf keinen 8000er mehr gehen. Ich würde lieber schwere Routen auf 6000er und 7000er versuchen.
Was hat sie angetrieben? Das Bergsteigen hat Sie nicht reich gemacht.
Nein, weiß Gott nicht. Ich musste immer schauen, das Geld für die nächste Expedition aufzutreiben. Und jetzt bin ich auch nicht reich.
Nach all Ihren Expeditionen und Reisen leben Sie nun in Salzburg. Wird es Ihnen hier nicht auf Dauer zu eng?
Nein. Mir gefallen die Berge und das Leben hier. In den USA hat mich nichts mehr gehalten. Von den 30 Freunden, mit denen ich früher zwei Mal pro Woche Tennis gespielt habe, lebt nur noch einer. Das ist das Schlimme, wenn man alt wird: Alle sind weg.
Sie haben keine Kinder.
Meine erste Frau war sieben Jahre älter als ich. Wir haben uns entscheiden müssen: Kinder oder Expeditionen. Und ich war ohnehin nie scharf drauf, einen Haufen Kinder zu haben.
Es heißt, Sie waren ein Frauenheld...
Kein Held, aber ich kannte bis zu 100 Frauen. Nicht alle waren wichtig, und viele habe ich vergessen.
Der Dalai Lama. Die Chinesen haben mehr als eine Million Tibeter umgebracht, und trotzdem hasst der Dalai Lama die Chinesen nicht. Das ist erstaunlich.
Konnte Sie der Dalai Lama auch vom buddhistischen Glauben überzeugen?
Das war ich vorher schon. Ich bin zwar daheim evangelisch erzogen worden, aber der Buddhismus ist mir näher.
Sie glauben auch an eine Wiedergeburt?
Ja.
Ihr Lebenslauf liest sich wie ein Filmdrehbuch. Wie hätten Sie gerne, dass dieser Film endet? Was wäre die Schlusssequenz?
Sie stellen schwierige Fragen (denkt lange nicht). Ich will nicht gleich vergessen sein.
Bergsteigerin Gerlinde Kalten-brunner hat gesagt, sie möchte in einer Gletscherspalte begraben werden. Wo wollen Sie Ihre letzte Ruhe finden?
Nicht in einer Gletscherspalte. Ich würde gerne bei dem Kloster Tengboche in Nepal, auf der Südseite des Everest, verbrannt werden, wo bereits drei meiner Kameraden begraben sind.
Was soll nach Ihrem Tod über Sie gesagt werden?
Dass ich ein demokratischer Expeditionsleiter war und mich nie auf den Gipfel vorgedrängt habe.
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