"Mit 100 habe ich mein Ziel erreicht"

Goerg Markus im Gespräch mit Elisabeth Heller, der Mutter von André Heller.
Der ORF zeigt heute Abend eine Dokumentation über das aufregende Leben der Elisabeth Heller.

Als sie letztens in Dubai landete, wurde sie am Flughafen festgehalten, weil man ihren Pass für eine Fälschung hielt. Es sei nicht möglich, dass diese Frau, die nach einer langen Reise kerzengerade, ohne Stock und ohne Brille, am Schalter stand, 98 Jahre alt ist. Es dauerte einige Zeit, bis Elisabeth Heller glaubhaft machen konnte, dass sie tatsächlich am 9. August 1914 in Wien zur Welt gekommen ist, wie’s im Pass steht. Heute Abend zeigt ORF 2 ein Porträt dieser außergewöhnlichen Frau, die André Hellers Mutter ist, ein Jahrhundert erlebt hat, wie es aufregender nicht sein könnte und dabei unglaublich jung geblieben ist. Ich besuchte sie vor Ausstrahlung der Sendung.

Und war ebenso verblüfft wie die Beamten von der Passkontrolle. Eine große, schlanke, elegante Dame öffnet die Tür ihrer Wohnung in Wien-Hietzing und bittet in den Salon. Ja, natürlich sorge sie selbst für den Haushalt und natürlich gehe sie selbst einkaufen und in die Stadt fährt sie mit der U-Bahn. Seit 90 Jahren besucht sie das Burgtheater, dessen älteste Abonnentin sie ist, wie sie auch regelmäßig in die Oper und in die Philharmonischen Konzerte geht. „Leider“, sagt Elisabeth Heller, „muss ich das jetzt alles allein machen, weil meine gleichaltrigen Freundinnen nicht mehr leben. Und für meine jungen Freundinnen (die so um die 90 sind, Anm.) wäre das schon zu anstrengend.“

Ein Hietzinger Wahrzeichen

André Heller ist sichtlich stolz auf seine Mutter, „die in Hietzing ein Wahrzeichen ist“. Sie selbst stehe „nicht so gern im Mittelpunkt“, sagt sie, „aber mein Leben war doch recht ungewöhnlich“, und der Franzi habe sie ermutigt, sich den Dreharbeiten des Films „Elisabeth Heller – Die Jahrhundertfrau“ zu stellen.

Franz, das ist der erste Vorname ihres jüngeren Sohnes, und sie nennt ihn immer noch so, obwohl ihn jeder als André Heller kennt.

Österreichs Thronfolger Franz Ferdinand war soeben ermordet worden und der Erste Weltkrieg ausgebrochen, als Elisabeth im Sommer 1914 zur Welt kam. Hinter der bürgerlichen Fassade der wohlhabenden Familie taten sich Abgründe auf, denn Elisabeths Mutter hatte ihre Hochzeitsreise abgebrochen, als sie in Venedig Hermann Bahr und Peter Altenberg traf, deren Gesellschaft sie der des Ehemannes vorzog und den sie dann allein weiterfahren ließ. Insgesamt war Elisabeths Mutter vier Mal verheiratet, in ihrem Haus ging die geistige Elite ihrer Zeit ein und aus. „Den Karl Kraus und den Adolf Loos hab ich noch durch meine Mutter kennen gelernt, den Lehár erst später.“ Wer außer Elisabeth Heller kann heutzutage Ähnliches berichten?

Mit 19 heiratete Elisabeth geb. Wenig, die ebenso schön wie ihre Mutter war, den Mitinhaber der Heller-Schokoladefabrik, die 2000 Arbeiter beschäftigte. Stephan Heller, fast 20 Jahre älter als sie, „war ein Mann von Welt, das hat mir sehr imponiert“, und doch wusste sie bald, dass sie sich falsch entschieden hatte. „Erst behandelte er mich wie ein Kind, das ich ja im Grunde auch noch war, und später war er autoritär.“ Doch der erste Sohn war bereits unterwegs: Fritz, heute 78, der um 13 Jahre ältere Bruder André Hellers.

Nie ernsthaft krank gewesen

"Mit 100 habe ich mein Ziel erreicht"
Goerg Markus im Gespräch mit Elisabeth Heller, der Mutter von André Heller.
Dass sie in ihrem 99. Lebensjahr stehend, nie ernsthaft krank war, verdankt sie wohl ihren Genen, Mutter und Vater wurden 90. Aber das allein hätte nicht genügt, Elisabeth Heller hat nie geraucht, wenig Alkohol getrunken, Sport betrieben, sie reist, geht viel spazieren, hat „immer positiv gedacht“. Und sie ist bis heute geistig rege: In ihrer Bibliothek findet man neben Schnitzler und Hofmannsthal auch Bücher von Elfriede Jelinek, Handke und Thomas Bernhard. „Ich interessiere mich sehr fürs Moderne, ich wollte nie stehen bleiben.“ Sie liebt die Beatles, die Rolling Stones und besuchte ein Michael-Jackson-Konzert. „Vielleicht hat mich das alles jung gehalten.“

Ganz sicher sogar. Doch ihr Leben ist auch voller dramatischer Stationen: „Im März 1938 brachen SA-Männer unsere Wohnungstür auf, verhafteten meinen Mann, der katholisch getauft, aber für die Nazis Jude war, und die Fabrik wurde arisiert.“

Stephan Heller, „Austrofaschist und in engem Kontakt mit Mussolini“ (André Heller), kam dank der Hilfe des „Duce“ frei und flüchtete nach Paris. Seine mit ihrem Sohn zurückgelassene Frau galt trotz eilig erfolgter Scheidung als „jüdisch versippt“. Sie musste sich zwei Mal vor dem Standgericht rechtfertigen, das täglich Todesurteile verhängte, weil sie „Feindsender gehört“ und fälschlich als Kommunistin denunziert wurde.
Nach dem Krieg heirateten Elisabeth und Stephan Heller wieder, „obwohl die Ehe schon beim ersten Mal nicht funktioniert hat. Aber ich fürchtete, er würde mir das Kind wegnehmen, denn er war vermögend und ich hatte gar nichts.“

Das Erdbeben

1947 kam „Franzi“, der heutige André Heller, in Wien zur Welt. Bei ihm muss alles spektakulär sein, und das von Anfang an: „Mein Mann und ich waren in Montreux, und in dem Moment, als der Franzi gezeugt wurde, gab’s dort ein fürchterliches Erdbeben.“

Später machte ihr der jüngere Sohn große Sorgen, Franzi flog aus Schulen „und wartete einfach darauf, berühmt zu werden. Aber ich hab gewusst, dass etwas Besonderes aus ihm wird, ich hab immer an ihn geglaubt“.

Und das hat sie unter Beweis gestellt. So einträglich André Hellers Attraktionen heute sein mögen, so hoffnungslos verschuldet war er in seinen Anfängen. Als er in Lissabon ein gigantisches Feuerwerk inszenierte, „hab ich eine Hypothek aufs Haus aufgenommen und der Bankdirektor hat gesagt, dass ich wahnsinnig bin und bald kein Dach mehr über dem Kopf haben werde, aber ich hab gesagt, einmal mach ich’s noch – es war ja nicht das erste Mal. Gott sei Dank kamen dann die Erfolge.“

Mit allen Frauen mitgelebt

Was für seinen älteren Bruder nicht ganz leicht zu verkraften war. Erstaunlich offen sagt Fritz Heller in der TV-Dokumentation über seine Mutter: „Sie spricht immer nur vom Franzi, ich hab sie nie interessiert, weil ich nichts Spektakuläres gemacht hab, ich bin seit über 50 Jahren mit der selben Frau verheiratet, das ist ja auch spießig, mein Bruder war da ganz anders, sie hat mitgelebt mit allen seinen Freundinnen und allen seinen Frauen.“

Als ich sie auf diese Passage anspreche, erwidert Elisabeth Heller: „Ja, ich habe einen Fehler gemacht, ich habe jetzt erst erkannt, dass sich der Fritz kränkt, dass er so sensibel ist. Ich habe zu ihm, als man mir den Film vorführte, auch gesagt, dass es mir leid tut, und dass ich ihn genauso liebe wie den Franzi.“

Fritz Heller hat nach dem Tod des Vaters, 1958, in der Fabrik gearbeitet, die mittlerweile längst nicht mehr im Familienbesitz ist.

Ihre glücklichsten Tage erlebte Elisabeth Heller, als sie bereits Witwe war, „da war ich in einem Modesalon tätig und hatte eine sehr schöne Beziehung mit einem Mann, nach dessen Tod ich dann sehr verzweifelt war“.

Wenn sie Bilanz zieht, sagt Elisabeth Heller, dass es „ein aufregendes und interessantes Leben gewesen ist“. Manchmal, wenn sie abends zu Bett geht, denkt sie daran, ob die Zeit nicht gekommen sei, einfach nicht mehr aufzuwachen. „Aber dann fallen mir meine Söhne ein, die drei Enkel und die drei Urenkel. Und dann sag ich mir: Wenn ich 100 werde, habe ich mein Ziel erreicht.“

 

Das neue Buch von Georg Markus

"Mit 100 habe ich mein Ziel erreicht"
buch
Soeben erschienen: „Wenn man trotzdem lacht, Geschichten und Geschichte des österreichischen Humors, 352 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Amalthea Verlag, € 24,95. Erhältlich im Buchhandel oder – handsigniert vom Autor – imkurierclub.at

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