Heidi Klum und Drag: "Kultureller Missbrauch" made in Germany

Heidi Klum und Kandidatinnen beim "GNTM"-Finale 2018.
Dass der deutsche Inbegriff des verzerrten Selbstbildes eine Kunstform bewerten soll, die sich genau dagegen behauptet, grenzt an Satire.

Disclaimer: Dieser Artikel beinhaltet die Meinung der Autorin.

Es ist offiziell: Heidi Klum soll im deutschen Nachahmprodukt der US-Show "RuPaul’s Drag Race" bald gemeinsam mit Bill Kaulitz und Tom Neuwirth Dragqueens casten.

Dabei verhält sich diese, von ProSieben getroffene, Entscheidung diametral zu dem, wofür Drag als Kunstform steht. Es gleicht einem Verrat an den Männern, die sich unter Zuhilfenahme von Kajal, Perücke und Paillette um Vielfalt und ein grenzenloses, weil eben nicht unabänderbar definiertes Schönheitsideal bemühen.

Was ist eigentlich "Drag Race"?

Zum Hintergrund – "RuPaul’s Drag Race" ist eine US-amerikanische Castingshow, in der ein gutes Dutzend gestandene Dragqueens jedes Jahr um den Titel der besten Künstlerin kämpfen. Dabei müssen sie sich in verschiedensten Challenges behaupten, von Design über Lip-Syncing und Comedy, bis hin zu Fotoshootings, Videodrehs und Laufsteg-Performances. Alles unter der Schirmherrschaft von "Drag-Mama" RuPaul Charles, der – ähnlich wie Heidi – seit den 90er Jahren federführend in seinem Metier ist. Soweit ist das Format dem von "Germanys Next Topmodel" natürlich nicht unähnlich.

In den letzten Jahren avancierte die Sendung zum Kultphänomen, weit über die Grenzen der LGBTQ+-Community hinaus.

Was die eine von der anderen Castingshow unterscheidet, ist ihr innerster Kern. Soll heißen die Message, die transportiert wird. "Drag Race" beschäftigt sich fortwährend mit Gleichberechtigung und fungiert als Plattform und Aufmerksamkeitslenker für die queere Community. Eine vergleichbares Format gibt es von und auch für diesen Teil der Gesellschaft ansonsten nicht. Zumindest nicht im deutschsprachigen Raum.

Zudem haben die Teilnehmer keinem Schönheitsideal zu folgen, sondern werden aufgrund der Qualität und insbesondere Originalität ihrer Kunst bewertet. Vor allem aber geht es um Akzeptanz und Anders-Sein und um Selbstliebe. Das, am Ende jeder Folge repetierte, Motto lautet immerhin: "Wenn du dich selbst nicht lieben kannst, wie zur Hölle willst du dann jemand anderen lieben."

Mit Selbstliebe ist es im, seit über einem Jahrzehnt von Klum geführten, Model-Format normalerweise nicht weit her. Da wird nach "Personality" verlangt, die sich aber bitte nicht außerhalb von mindestens 1,75 Körpergröße, Kleidergröße 36 (oder, seien wir ehrlich, 34) und einem Hang zur Selbstaufgabe bewegt, während die Jury die, meist noch sehr jungen, Kandidatinnen nach Lust und Laune auseinandernimmt und neu wieder zusammensetzt.

Es sei gesagt, dass auch "Drag Race" nicht ganz ohne das für Castingshows obligatorische Drama zwischen Kandidaten auskommt, das für "GNTM" ja ebenfalls als Quotengarant fungiert. Dem zur Seite gestellt, wird allerdings die offene Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität und Identität sowie der, der Anderen. Erfahrungen mit Diskriminierung sowie teilweise daraus resultierende Erfolgsgeschichten gehören ebenso zum Konzept der Sendung, wie der allwöchentliche Catwalk. Aber zurück zu Heidi.

Die nämlich mag Drag-Kultur zwar "bewundern", Erfahrungen oder gar Qualifikationen, sich über professionelle Dragqueens zu erheben, hat sie allerdings keine. Das immerhin kann man ihr beim Modeln nicht vorwerfen, lässt allerdings die Entscheidung für ihre Persona noch eigenartiger aussehen.

Heidi Klum und Drag: "Kultureller Missbrauch" made in Germany

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Heidi Klum und Drag: "Kultureller Missbrauch" made in Germany

Petition nach wenigen Stunden

Bereits im Vorfeld wurde aus der Community Kritik laut, die sich nun zu einer handfesten Petition entwickelt hat. Iniziiert von der Berliner Dragqueen Margot Schlönzke: "Heidi Klum hat von Drag, der dazugehörigen Historie, der Lebenseinstellung, der Identität, der Drag-Kultur, der Szene und der gesamten Branche absolut keine Ahnung", äußert Schlönzke auf queer.de zu der Entscheidung.

In der Tat startete Schlönzke nur wenige Stunden nachdem die Entscheidung publik wurde, die Petition die sich gegen die von ProSieben produzierte Sendung ausspricht. In dieser Szene eine "heteronormative weiße Frau" als Moderatorin zu besetzen, die in Deutschland ansonsten dafür sorgt, dass sich reihenweise junge Frauen und Mädchen eine Essstörung sowie Minderwertigkeitskomplexe (hier geht’s zur Studie) aus dem Fernsehen abschauen, grenzt an Satire. Ist es aber nicht. Zumal es einfach rein fachlich geeignetere Menschen für den Posten gäbe.

Heidi Klum und Drag: "Kultureller Missbrauch" made in Germany

Schlönzke ihrerseits ortet einen "kulturellen Missbrauch" und befürchtet ganz "GNTM"-gemäß die "Zurschaustellung übelster und erwarteter Klischees." Tom Neuwirth und mittlerweile-auch-Modedesigner Bill Kaulitz hin oder her. Dass die beiden Herren Klum zur Seite gestellt werden, um deren krude Beförderung zur Drag-Moderatorin zu rechtfertigen, die über die Leistung (zumindest semi-)professioneller Künstler entscheidet, mutet nicht unlogisch an. Aber Klum macht eben Quote und Quoten bedeuten jede Menge Werbeeinnahmen.

Wiener Dragqueens enttäuscht

Die Wiener Dragqueen Erika Empire ist "vor allem enttäuscht". Drag könne alles sein, so Empire, vor allem biete es Menschen freien Raum zur Gestaltung. Auch sie befürchtet, dass die Kunstform durch die Verarbeitung in einem kommerziellen Format "zu einem schlichten Vorführen" verkommt. Eine Reduktion auf "erfolgreiche Abendgestaltung" gehe einfach nicht mit dem zusammen, wofür Drag steht.

Ausreichend Möglichkeiten, auch abseits von Drag

Dabei gäbe es "ausreichend großartige Künstler_innen" die eine passende Jury abgeben würden: "Spontan würden mir hier Lilo Wanders oder Olivia Jones einfallen, die jetzt schon jüngere Talente fördern. […] Aber auch abseits von Dragqueens gäbe es spannende Persönlichkeiten. Ich hätte jemanden wie zum Beispiel Nina Hagen sehr spannend gefunden."

Am Ende befürchtet Empire, wie auch andere österreichische Queens, in dem geplanten Format eine vertane Chance. "Wenn das Format floppt oder gar zum Trash-Hit wird, wird es schwer etwas auf die Beine zu stellen, das wirklich darauf bedacht ist eine vielfältige Community abzubilden."

Die Hoffnung, dass es trotz der umstrittenen Jury-Besetzung eine tolle Sendung mit Mehrwert für die LGBTQ+-Community wird, sterbe natürlich zuletzt. Aber ob diese Hoffnung sowie die Kritik an der Entscheidung Früchte tragen, bleibt abzuwarten.

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