Jürgen Vogel über seine Kindheit: Alkohol und körperliche Gewalt

Jürgen Vogel über seine Kindheit: Alkohol und körperliche Gewalt
In einem Podcast-Interview gibt der deutsche Schauspieler Einblicke in seine Kindheit, die von zahlreichen Traumata bestimmt war.

"Kleine Haie", "Die Welle", "Keinohrhasen", "Männersache" oder "Jenseits der Spree": Jürgen Vogel (56) gehört zu den erfolgreichsten, beliebtesten und profiliertesten Schauspieler Deutschlands. Egal ob Drama, Krimi, Komödie oder Kinderfilm: Vogel stürzt sich mit bemerkenswertem Engagement in seine Rollen und schafft es, auch nach vielen Jahrzehnten neue Facetten von sich zu zeigen. Davon zeugen auch seine zahlreichen Auszeichnungen.

Wie so oft aber begann der Traum mit einem Albtraum: Denn Vogel hatte eine schwierige Kindheit, die geprägt war von häuslicher Gewalt und Alkohol. Darüber sprach er nun ausführlich im Podcast "Alles anders – Was mein Leben verändert hat" von Journalistin Jana Simon. Der Titel der Episode: "Jürgen Vogel – Vom Ghettokid zum gefeierten Schauspieler".

"Grundstimmung der Angst und des Traumas"

Wenn Vogel über seine schwierige Kindheit spricht, findet er klare, aber auch beängstigende Worte: Seine Geschwister – Vogel hat zwei Schwestern und einen Bruder, den Künstler Nico Vogel – erlebten stets eine "Grundstimmung der Angst und des Traumas von Gewalt und Bildern, die du als Kind eigentlich nicht erleben solltest". So spielte körperliche Gewalt "sowieso 'ne große Rolle in der Familie", erzählt er weiter, alle hatten "Angst vor meinem Vater". Dieser sei gewalttätig gewesen, ausgelöst durch seine Alkoholsucht, so Vogel, der seine Kindheit als "eigentlich traumatisierend" zusammenfasst.

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Sein Vater war Kellner, "aber eigentlich aus dem [Rotlichtmilieu]", seine Mutter war Hausfrau. Streit gab es täglich. "Wir waren super oft auf der Reeperbahn, haben irgendwelche Leute besucht, irgendwelche Streits von meinen Eltern", erzählt Vogel. Nicht mal an Feiertagen herrschte der von den Kindern so sehr ersehnte Frieden, bedauert der Schauspieler. "Jedes Fest war verkackt. Jedes Weihnachten war ein Albtraum." 

Das habe ihn bis heute geprägt, denn nach wie vor fiele es ihm schwer, Weihnachten zu feiern, gibt Vogel an. "Weil immer das, wo wir uns als Kinder am meisten drauf gefreut haben, in einem gewaltigen Desaster endete."

Mit 15 allein nach München

Vogel zog früh die Konsequenzen: Ab dem Alter von 13 Jahren lebte er zwei Jahre mit einer Sozialarbeiterin. Er absolvierte einen Hauptschulabschluss. Danach aber brach er den Kontakt zu seinen Eltern für viele Jahre ab, zog mit 15 nach München und danach nach Berlin, wo er mit dem Schauspieler Richy Müller zwei Jahre in einer Wohngemeinschaft lebte.

Schon mit neun Jahren posierte Vogel für Kindermoden-Fotos, in München besuchte er eine Schauspielschule – für einen Tag. Er tat sich schwer, sich dort einzugewöhnen. "Ich war aber auch gar nicht in der Lage, diese Art des Arbeitens zu verstehen. Ich war null kulturell geprägt", sagt er im Interview rückblickend. Zur Schauspielerei inspirierte ihn der Film "Taxi Driver" mit Robert De Niro - und tatsächlich gelang ihm der Durchbruch mit dem 1992er-Film "Kleine Haie" von Sönke Wortmann. Davor hielt sich Vogel mit Jobs bei der Post, bei einem Partyservice und als Großküchen-Koch über Wasser.

Die Schauspielerei war seine Rettung, ist Vogel überzeugt. Andere Persönlichkeiten anzunehmen, in fremde Realitäten einzutauchen war für ihn "eine Flucht, eine Möglichkeit, aus dieser Welt auszusteigen". Tanzen hätte ihn auch interessiert, aufgrund seiner O-Beine gab er diesen Traum allerdings auf, lacht er im Podcast-Gespräch. Mit 15 Jahren begann er mit Kampfsport, den er auch heute noch betreibt, erzählt Vogel. 

Der Mutter verziehen, dem Vater  nicht

Vogels Vater starb, als er "Mitte 20" war, seine Mutter starb 2020. Mit seinem Vater konnte er sich nicht mehr versöhnen, da er damals keinen Kontakt zu den Eltern hatte. "Meinem Vater konnte ich nicht verzeihen", sagt der Schauspieler im Interview. 

Bei seiner Mutter sei die Sache eine andere: Er nahm wieder Kontakt zu ihr auf und "ich hatte alles, was ich mit meiner Mutter hatte, geklärt. Und ihr auch verziehen", betont Vogel. Doch gesprochen habe er mit ihr über die Traumata in der Kindheit nicht. Sie habe sich in den letzten Jahrzehnten eine neue Realität aufgebaut, schildert er, die er nicht zerstören wollte. Auch öffentlich habe er deswegen über dieses Thema zu ihren Lebzeiten nie gesprochen. "Das hätte ich einfach nicht antun wollen."

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