Im Fegefeuer der Talente

Im Fegefeuer der Talente
Schauspieler und Autor Michael Dangl im Porträt.

Sich entzücken, erweitern, darin aufgehen, sich darin verlieren. Mit dem Kopf an die Wand rennen, aufstehen, um Klarheit ringen, die Einzelteile neu zusammensetzen. Zu Glück und Erfolg. Wie Schauspieler und Autor Michael Dangl.

„Ein Tag ist sehr, sehr lang. Ich gehe spät schlafen und stehe früh auf. Arbeite sofort. Konkret. Text lernen, schreiben oder Text auffrischen.“ Außendangl. Reich an Tun. Reichte, seine Homepage abzudrucken. 24 Stunden vor der Premiere von Ibsens „Hedda Gabler“ im Theater in der Josefstadt gab er „7 minutes before Christmas“, einen literarisch-musikalischen Abend mit seiner Frau der russischen Flötistin Maria Fedotova im Turm der Wiener Städtischen. Froh, dass er sie grad nicht mit der ganzen Welt teilen muss. „Durststrecken oft“, sagt er, und: „Wenn wir viel miteinander kommunizieren, ist es besser für mich.“

Selbst, wenn die Handwerkskiste des 44-Jährigen überquillt: Da liegen Stotterer „Bertie“, König George VI., in David Seidlers „The King’s Speech“ im Repertoire und im Hinterkopf und der verzweifelt wütende Edmund in Eugene O’Neill’s autobiografischer Abrechnung „Eines langen Tages Reise in die Nacht“.

„Schöne Aussicht Nr. 16“

Lesungen seines zweiten Buchs, des RomansSchöne Aussicht Nr. 16“ – über einen Menschenflüchtling hinter Schopenhauer verschanzt, den eine lebhaft-liebes-lebens-gierig alternde Lady wortreich erschreckt, bis sie einander doch in Sehnsucht nahe kommen. Der französische Theaterverlag „L’Arche Editeur“ prüft, ob Dangls Erstling „Rampenflucht“, ein radikaler Kehraus lebenslügnerischer Verlogenheiten im Schauspielerberuf, auch für Frankreich gilt. Dann wird das Buch übersetzt. „Paul Kemp“, eine ORF/ARD-Serie mit Harald Krassnitzer, in der Dangl durchgehend Hauptrollen-aktiv ist, kommt demnächst. Auch Rupert Hennings Comedyserie „Die Steintaler“, für die er sich „drei Monate hundertprozentig im Freien“ aufhielt, sollte 2013 im ORF starten.

„Er ist einer von den belesenen, fleißigen, genauen, hochprofessionellen, sehr disziplinierten, ernsthaften Schauspielern“, erklärt die Josefstädter Marketingchefin Christiane Huemer-Strobele. Fasziniert, „wie er sich von Cliquen und Klüngeln fernhält. Nie hab ich ihn tratschen gehört. Bei abfälligen oder ironischen Bemerkungen über jemanden, den er kennt, tut er so, als würde er’s nicht hören.“

Innendangl. Bei sich. Wunderbar gesprächig, wenn’s um Dichtung geht, Religion, Musik, wenn Codes genügen, um Hofmannsthal-Ping-Pong zu spielen, die Genialität von Grigory Sokolov am Klavier zu verklären, Dangls widerstrebende Sehnsucht, „Kafka in sich zu erlösen“. Ansonsten, sagt er, halte er oft lieber den Mund. Schiebe Schweigetage ein, schalte das Handy ab. Zur Seelenhygiene. Nach der Morgenarbeit brauche er bissl „Nachmittagsruh“. „Dann geh ich einkaufen und koch mir was, wenn ich allein zu Haus bin.“

Innentheater

Dangl ordnet das „Innentheater“. Aktuell zu „Hedda Gabler“. Sagte vor der Premiere: „Tesman ist vielschichtig, abgründig, uneinordenbar. Menschen sind Schafe wie Wölfe, oft auch die Wölfe ihrem eigenen Schaf. Ibsen schrieb ja keine ,Bühnenfiguren’.“ Nein, beschrieb Menschen seiner Zeit. Wie Tesman, subjektiv eher unsexy denkbar, mit Filzpantoffeln, Waschzwängen, mehr Eifer als Genie, mehr Vernunft als Gefühl. (Dangl wird ihn nicht denunzieren, wie er dem Stotterer Bertie die Würde ließ).

Aber klar, dass Tesman übrig bleibt wie die erdige Thea Elvsted, während die genialisch Maßlosen umkommen. Lövberg, der süchtelnde Superstar, im Bordell. Hedda, eine Unangepasste mehr aus Ibsens Jahrhundertwende-Puppenheim (und als Hysterikerin vermutlich auf Freuds Couch bestens aufgehoben) erschießt sich. Lieber tot als fades, schales häusliches Glück mit Kindchen – da nix wird aus dem wilden freien großen Leben mit Weinlaub im Haar.

Maria Köstlinger ist Michael DanglsHedda“. Schön, schlank, dunkellockig wie als Mädel. Die Salzburger Dangl und Köstlinge r haben einander Briefe geschrieben, als er 18 und sie 14 war. Vier Jahre lang. „Damals hat man noch auf den Briefträger gewartet, sagt er nebenbei ... als er gegen den Internet-Wahnsinn brandredet; zynisch vom Chip im geklonten Menschen fantasiert, der alle mit allen anderen Twitter- und Facebook-Freunden vernetzt; den Tag herbeisehnt, an dem man ums Wetter wieder aus dem Fenster schaut statt aufs iPhone. Zurück. Konkret. Biografie.

Michael war ein Theaterkind, die Eltern betreiben die Wanderbühne „Karawane Salzburg“, „vollkommen ineinander verwoben“. Vaterkind, Mutterkind? Die falsche Frage für ihn: „Eine Symbiose. Wir drei.“ Richtiger, vom Ausschöpfen aller Talente zu reden: Für sich selber schrieb er Gedichte, mit Mutter Christa und Vater Agilo das Stück „Winterrose“, das eben am Düsseldorfer „Theater am Kö“ mit Heidelinde Weis läuft. Auch Musik hat er für die „Karawane“ produziert: Fürs Nestroystück „Der gutmütige Teufel“ aus der Originalpartitur eine Stimme für Keyboard gemacht, den Teufel gespielt und sich selber musikalisch begleitet. Klavier gelernt, seit er sechs war, die Lehrerin aber mit Rockballaden und Jazz entsetzt, nie der Illusion verfangen, Pianist zu werden. Mit 16 wollte er Chopins Preludes nicht mehr üben. Nach der Matura mit Auszeichnung erschien dem Achtzehnjährigen ein Engagement am Salzburger Landestheater „normal“.

Kirche

Darüber hinaus trat er aus der Kirche aus, und lief als klassischer Literatur-Revoluzzer (nicht nur) in seinen Rollen Sturm gegen die Welt. Nach Salzburg in Koblenz und Köln und im Hamburger „Theater im Zimmer“. Wo er sich erstmals freiberuflich von Stückvertrag zu Stückvertrag hantelte. Gute Verträge, doch er kapierte, dass Kontinuität NICHT selbstverständlich ist. Eine Beziehung ging zu Ende, ein Figurenleben begann, aus dem Reservoir an Zweifeln gespeist, bis zum Verzweifeln. Vieles ist in „Rampenflucht“ nachzulesen. Das Entleiben und sich Zerfleischen und sich Verbeißen in die Rollen: „Ich hab alles Private zurückgestellt, keine Leute mehr eingeladen, keine Zeit erübrigt, mich um Engagements in Film & Fernsehen zu kümmern.

Alles wär mir als Verrat an der Rolle vorgekommen“, so Dangl. „Hatte keine Kraft mehr für irgendwas anderes. Ungesund gelebt, sehr flüssig ernährt, Frischluft gemieden. Irrwege. War so erschöpft vom Alleinsein mit einer Rolle, dass ich nach der Premiere wieder allein sein musste.“ Der „Jimmy Porter“ aus John Osbornes „Blick zurück im Zorn“ war so eine gefährliche Figur. „Selbst, wenn Jimmy mir sehr entgegengesetzt, expressiv revoltiert, sich tosend beschwert, hab ich viel übernommen. Wenn auch mehr innerlich.“ Sich in den Figuren zu verlieren, den Boden unter den Füßen, sich von der Außenwelt abzuschotten, diese Gefahr wurde ziemlich groß.

Fritz Muliar, den Dangl bei einem „Sibirien“-Gastspiel in Hamburg besuchte, holte ihn über die Direktion Lohner an die Josefstadt. Ein Mentor mit Herz: „Sehr ernst bei der Arbeit, sehr im Moment, aber pragmatisch. Schon schauen: Wie wirkt das auf die Leut?“ Dangl sagt, er habe viel
von ihm gelernt: „Sich nicht in Hirngespinsten zu verlieren, die Dinge klar zu sehen, mit Bitternis und viel Humor. Im Beruf mehr, als ich damals wusste. Wenn mir ein Auftritt richtig gelingt, denk ich an Fritz.“ Zuletzt spielten sie „Besuch bei Mr. Green“ und bekamen den Europäischen Kulturpreis, aber wichtiger: Zwei Tage vor Muliars Tod hat ihn Dangl noch besucht.

Wendepunkt

Der Wendepunkt kam 2006 in Lockenhaus. Bei Gidon Kremers Festival, wo Dangl Briefe, Biografien, Texte zu Musikstücken liest, etwa Schostakowitsch von A bis Z. Heilig die Erinnerung an den Beginn einer neuen Zeitrechnung. Dort fand er Maria Fedotova, Russin aus St. Petersburg. Als Vierjährige war sie flötenblasend im Mariinsky Theatre unterwegs gewesen. Jetzt mit den Wiener Philharmonikern, mit Valery Gergiev, mit Gidon Kremer. Der Kirchenflüchtling lernte wieder glauben, „an die Wärme, die Geborgenheit bei den Russisch-Orthodoxen. An Gott zu Anfang und am Ende, nicht als Instanz, die richtet, aber mitgeschaffen, mitgebaut werden muss. Dazwischen gibt es sehr großen Spielraum für den freien Willen: Mit jeder Tat baue oder zerstöre ich etwas Göttliches“. Hatte auch sein Schlüsselerlebnis mit Kremer: „Bevor die eine Seite nicht sitzt, wird nicht umgeblättert“, sagt der.

Familie

Tochter Anfisa kam vor zwei Jahren auf die Welt. Seither wird alles reicher und größer: 2010 wurde „Rampenflucht“ veröffentlicht, fabelhaft kritisiert; Film und Fernsehen riefen, von Percy Adlons „Mahler auf der Couch“ über David Schalkos „Wie man leben soll“ bis zur noch ruhenden „Steintaler“-Serie. In der spielt Dangl den (Herren zugeneigten) Retila aus der Gruppe der Bodenschläfer, die den Baumschläfern gegenüber den Vorteil haben, dass sie im Traum nicht runterkrachen, er revolutioniert die Höhlenmalerei, erfindet die Stöckelschuhe und den Tanz, und hat eine zart romantische Szene mit Michael Niavarani als Kameltreiber aus dem Morgenland.

Beglückend und nervenzerfetzend zugleich: 2010 führte „Noch einmal“, das Jubiläumsstück zu Otto Schenks Achtziger, den Musikgebildeten ans Klavier zurück. Die Rollenvorgabe: Der Sohn der berühmten Sängerin, sie war einst „Dirigent“ Schenks Techtelmechtel, sollte Klavier spielen können. Dangl fing ernsthaft mit dem Üben an – Tristanvorspiel, Coriolan Ouvertüre, Lohengrinvorspiel – wand sich grausam über der Fingertechnik. Bis zur Probe. Dann: „Otti spricht seinen Monolog, ich setz mich ans Klavier, spiel los – und bin erlöst!“

Jede Vorstellung natürlich eine neue Herausforderung zu Reproduzierbarkeit, zu Verlässlichkeit. Und erst diese Zweifel, dieses Zaudern und Sich-selber-gut-zureden, als Ruth Brauer-Kvam wegen „Judy“ (Garland) auf ihn zukam: „Kein Schummeln und Verstecken mehr. Nur der Wunsch, man sollte ein Profi sein. Ging um Cole Porter und George Gershwin.“ Quasi nebenbei stellt Schauspieler Dangl die acht Charaktere von Judys Männern her. Lebensgewinn. Noch näher hin zu seiner Frau, die mit Kremer sänftigt: „Nicht zu viel zu schnell wollen.“

Ja, und jetzt der erste richtige Roman „Schöne Aussicht Nr. 16“, mit Wut und Herzblut behutsam geschrieben, ohne landläufiges Happy End. Kein Kuss zum Schluss. Stattdessen eine Dangl-SMS: „Am 23. und 24. 12. spiele ich den Frosch in der Fledermaus in Moskau – auf Russisch.“

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