Frühstück mit Yvonne Weiler
Ganz in Weiß öffnet die elegante Kunstexpertin die schwere Sicherheitstür der Innenstadt-Wohnung, die eher einer Galerie gleicht. Heller Parkettboden ohne Teppiche, hohe Fenster ohne Vorhänge, moderne Designermöbel gemischt mit einigen Antiquitäten. Kein Zierrat lenkt den Blick ab. Der fällt nämlich sofort auf die großen, farbenprächtigen Werke von Max Weiler.
Sie sind ein kleiner Querschnitt seines Schaffens: Von der realistischen über die abstrakte bis zur gegenstandslosen Malerei. Auf 1800 Gemälde, 3600 Zeichnungen, 300 Druckgrafiken und 40 großformatige Werke im öffentlichen Raum wird Weilers Œuvre geschätzt. Erstmals wird nun die Albertina, nach vierjähriger Forschungsarbeit eine Retrospektive der zeichnerischen und grafischen Werke des Künstlers zeigen.
Vor zehn Jahren starb der international geschätzte Künstler im 91. Lebensjahr. Unermüdlich erforscht Yvonne Weiler seit 25 Jahren das Lebenswerk ihres Mannes. "Als ich 1986 begonnen habe, alles zu katalogisieren, gab es kein einziges Foto von den Weiler-Werken. Ich habe von null angefangen, noch ohne Computer. Jetzt haben wir alles digitalisiert", sagt die Witwe und führt ins Speisezimmer. Butterkipferln, Honig und Erdbeeren gibt es. "Nur, wenn ich im Kaffeehaus auf dem Max-Weiler-Platz frühstücke, gönne ich mir ein pochiertes Ei auf Toast mit Sauce Hollandaise."
Linda, das Hausmädchen, serviert Earl- Grey-Tee im Herend-Service. Sie war es, die Max Weiler in seinen letzten Jahren täglich um 7.30 Uhr mit der Straßenbahn ins Atelier in der Neubaugasse begleitete. Dort wartete sie bis zum Einbruch der Dunkelheit in der Küche, während sich der Maler in sein Atelier einschloss.
"Bis zu seinem 85 Lebensjahr ist er jeden Tag zu Fuß in den siebenten Bezirk gegangen. Dann hatte er diesen schrecklichen Unfall, bei dem ihn ein Auto zusammengefahren hat. Seine ganze Hüfte war zertrümmert", erinnert sich Yvonne. Seine gute Konstitution habe ihm das Leben gerettet. "Er hat nicht geraucht, nicht getrunken, ist jeden Tag viel gegangen und hat sehr bescheiden gelebt." In der Früh machte sich der disziplinierte Tiroler ein Butterbrot und ein Gemisch aus geriebenen Karotten und Kohlrabi. "Zu Mittag kochte er im Atelier eine Brennsuppe, eine Art Brotsuppe mit Milch und Kümmel."
Yvonne Weiler studierte in Wien Englisch-Dolmetsch und später in New York Innenarchitektur. Dort entdeckte sie die moderne Kunst. Zurück in Wien begann sie in den 70er-Jahren junge Maler zu fördern und für sie Ausstellungen zu organisieren. "Ich hatte ein Sensorium für gute Künstler, und ich habe ihr Sprache verstanden. Das habe ich in New York gelernt. Es ist wie ein Bazillus, man wird infiziert und kommt nicht mehr los davon."
Mit Bildern ist die Wienerin schon in ihrer Kindheit aufgewachsen. "Meine Mutter war Sammlerin und sehr kunstinteressiert." Noch lange bevor sie Max Weiler 1979 erstmals bei einer Ausstellung getroffen hatte, war er der von ihr "am meisten bewunderte österreichische Maler". Sieben Jahre später, nach dem Tod seiner ersten Frau Gertraud, traf sie ihn wieder, organisierte Ausstellungen - und heiratete ihn 1991. "Ich hab ihn so geliebt. Es war ein neues und ganz anderes Leben." Der Altersunterschied von 33 Jahren habe keine Rolle gespielt. "Wir hatten wundervolle 15 Jahre miteinander", sagt die Mutter eines Sohnes aus erster Ehe und Großmutter von zwei Enkeltöchtern.
Gerne erinnert sie sich an die vielen Wanderungen mit ihrem Mann. "Er hatte Tausende kleine Wanderkarten, mit diesen sind wir stundenlang feldein gegangen." Am Steuer des Autos saß nur sie. "Er war zu eingesponnen in seine Welt. Wenn er eine Wolke gesehen hat, wäre er im Graben gelandet", beschreibt Yvonne liebevoll Max Weiler, der einst sagte: "Ich setze meine Vorstellungen in Farben um. Wie ich ja überhaupt alles, was ich sagen will, in Farbe sage." Yvonne verstand ihn wortlos, denn sie verstand seine Bilder. "Er war ein sehr introvertierter, in seiner Welt versponnener Mensch. Er war kein Mann der großen Worte."
Dafür schrieb er täglich seine philosophischen Gedanken in seine berühmten Tag- und Nachthefte. Sie wurden jetzt auf 3600 Seiten transkribiert. "Es ist ein Logbuch eines Künstlerlebens", sagt Yvonne Weiler. Wie und wann sie es veröffentlichen werde, weiß sie nicht. "Es stehen sehr viele persönliche Sachen über Menschen, die noch leben, drin. Das kann man nicht drucken."
Max Weiler schärfte den Blick seiner Frau. "Bei unseren Spaziergängen und Reisen nach Kenia, Mexiko oder in die USA hat er mich immer auf die Farben von Dingen, Blumen, Bäume oder Hecken aufmerksam gemacht." Weilers zentrales Thema war die Natur und die Schöpfung. "Er konnte schon als Kind nur malen und zeichnen. Er ist mit dieser Begabung und dem Farbsinn auf die Welt gekommen."
Gottgläubig, aber nicht in einem konfessionellen Sinn, sei er gewesen. In seinen Heften schrieb er: "Mein Werk hat nichts mit Religion zu tun, wohl aber mit der Schöpfung." Als Bildermacher, nicht als Pinselschwinger, wollte der Künstler bezeichnet werden. "Bei ihm wurde nicht geschüttet oder die Farbe mit einer gestischen Bewegung aufgetragen. Strich für Strich hat er gezeichnet oder gemalt."
Wie sensibel Max Weiler war, beschreibt eine Erzählung seiner Frau. "Sein bester Freund war Fritz Wotruba, der Bildhauer. Die beiden waren so gegensätzlich, wie es nur sein kann. Er war der einzige Mensch in Wien, mit dem er sprechen konnte. Als Max gehört hat, dass Fritz Wotruba gestorben ist, ist er umgefallen und war bewusstlos."
Von seiner Frau wollte er immer ein Porträt malen. "Ich habe so wenig Zeit gehabt, dann war es zu spät. Das tut mir wirklich leid, das war ein großer Fehler. Ich habe nie gedacht, dass er jemals sterben würde."
Info:
Max Weiler - Der Zeichner, Ausstellung in der Albertina, von 10. Juni bis 16. Oktober 2011
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