Frühstück mit Martin Brambach

Frühstück mit Martin Brambach
Der Bescheidene. In Wien spricht der 43-jährige Dresdner über Peymanns Worte, Tarantinos Lockerheit, seinen Brief an Franz Josef Strauß - und womit er derzeit seine Süße nervt.

Er kommt gerade von einem Drehtag bei "Vier Frauen und ein Todesfall" und ist ein ganz eigener Fall. Kaum jemand, der ihn nicht wenigstens einmal im Fernsehen oder Kino gesehen hat. Als Täter, Opfer oder Ermittler. In Krimi-Reihen wie "Soko Wismar", "Unter anderen Umständen", dem ein oder anderen "Tatort" und "Kriminaldauerdienst" oder als SS-Hauptscharführer in "Die Fälscher", als Stasi-Mann in "Das Leben der anderen".
Für die anderen im Wiener Café Prückel wird er gänzlich unerkannt bleiben, sich im Gespräch als jemand zu erkennen geben, der sein Leben und jede Rolle gleichsam inhaliert wie eine der Zigaretten, die er rauchen wird, nachdem er mit seiner unverkennbaren Stimme mit leicht ostdeutschem Idiom "Ich hätte bitte gerne eine Melange, sonst nichts." geordert hat. Brambach wirkt besonders, ist besonders, wie sich nach den ersten paar Sätzen herausstellt.

"Ich bin harmoniebedürftig"

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Nicht, weil er in den letzten zehn Jahren in hundert Filmen mitgespielt hat. Besonders, weil er seine oft erschreckend authentischen Rollen, seine Präsenz am Bildschirm am Kaffeehaustisch sofort und stetig relativiert. "Da waren auch nur Ein-Tages-Rollen dabei wie jetzt." "Ich habe mich auch schon wahnsinnig schlecht und peinlich gesehen, vor allem am Anfang!", und: "Man kann in diesem Beruf nie sicher sein! Es kann sein, dass es morgen vorbei ist und man nie wieder gebucht wird. Umgekehrt kann es sein, dass man zu oft im Fernsehen läuft, die Leute sagen: ,Nicht der schon wieder!'" Als Visavis kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der 43-Jährige meint, was er sagt. Dass es echte Bescheidenheit ist, die aus dem gebürtigen Dresdner spricht - auch und insbesondere, da seine blaugrauen Augen unablässig Blickkontakt halten. Der Eindruck wird stärker, zu vermeintlichem Wissen, als sein Blick durch die Fensterscheiben nach draußen wandert, verharrt, er über seine Zeit in Wien spricht.

"Ich bin mit Anfang 20 ans Burgtheater gekommen. Als junger Mensch findet man erst mal: Alles sollte anders, radikaler sein.Theater ist aber ein sehr feudales Medium, das heißt: Da sitzt einer und entscheidet." In seinem Fall saß da auch der Intendant. "Ich habe Peymann viel zu verdanken, viel gelernt, aber er ist ein Feudalherr gewesen. Das muss ich so sagen. Ich bin harmoniebedürftig und war oft einer großen Willkür ausgesetzt"; und einer Situation während der Proben zu "Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten", die er so eindrücklich zum Ausdruck bringt, als sei man als Zuhörer Zeuge dessen gewesen.

Chuzpe

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"Bei Handke stand: ,Einer geht über den Platz.' Und dieser eine war ich. Peymann schreit: ,Stopp! Sie sind ja kein Mensch! So geht kein Mensch über die Bühne!'" Brambach blieb. Zehn Jahre lang. "Ich hatte damals nicht die Chuzpe zu sagen: 'Pass mal auf: Ich bin ein Mensch, und ich gehe jetzt nach Hause!'"

Zu Hause, das war in Wien anfangs ein Leben auf großem Fuß und irgendwann mit Schulden. Ein Familienleben mit Frau und Fotografin Lalo Jodlbauer und Sohn Paul, der heute 16 ist und der Grund, warum er so oft wie möglich in Wien ist. "Er hat die Schönheit von der Mutter und die emotionale Intelligenz!" Jetzt strahlt er über das ganze Gesicht, ehe er fortfährt, um über sein Leben nach der Burg, den Beginn in Berlin zu sprechen. 1999. Schaubühne. Einheitsgagen.

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Und erstmals "wirklich das Gefühl angstfrei zu sein, zu wissen: 'Hey, ich kann über die Bühne gehen.'" Das - wie seine Stimme - unnachahmliche Lachen, das folgt, ist ansteckend. Sein Wesen ist faszinierend. Der Mensch in Lederjacke und T-Shirt, der beiläufig an der Melange nippt, an der Zigarette zieht, wirkt hart und weich zugleich. Er macht große, sichtbare Gesten ebenso wie kleine, nur hörbare. Mit seinen auf den Tisch tippenden Fingerspitzen erzeugt er während des Erzählens, ob bewusst oder unbewusst, eine Art von Spannung, einem Soundtrack gleich. "Man muss als Schauspieler in Bildern denken." Die erzeugt Brambach beim Zuhörer unaufhörlich.

Schulden

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Da ist das Bild des jungen Vaters, der 2001 in Berlin vor das Ensemble tritt. "Ich muss meine Schulden in den Griff kriegen. Meine Beziehung ist kaputt, ich habe Verantwortung für ein Kind, muss drehen, mehr Geld verdienen."

Da ist das Bild von Berlin, der Stadt, die ihm nach der Scheidung als freier Schauspieler nicht gut tut. "Ich wusste: 'Es ist Zeit, erwachsen zu werden.'" Er, der als Kind in Ost-Berlin aufwuchs, Sowjetsoldat werden wollte -, "aber das war wohl mehr die Indoktrination im Kindergarten" - oder zur Handelsmarine gehen -, "weil es eine Möglichkeit war, die Welt zu sehen" - will die die Welt des Films entdecken. Und der Film entdeckt ihn. "Ich habe erst spät begriffen, dass Film und Theater ganz unterschiedliche Bereiche des Berufs sind." Inwiefern?

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"Man kann drei, vier Versionen im Kopf haben, sich noch so viel vornehmen - ich weiß nie, wie das Set aussieht, welche Fantasie der Regisseur, Partner, Kameramann hat. Das A und O in diesem Beruf ist locker sein! Wach sein! Entspannt sein! Wenn ich nicht locker bin, dann geht bei mir gar nichts." So erging es ihm, wenn auch nur kurz, mit Quentin Tarantino, der ihn eineinhalb Stunden für "Inglorious Basterds" castete. "Tarantino war so locker!" Das ging auf mich über. Er sagte: ,Wir sehen uns wieder.' Mensch, da habe ich mir was ausgerechnet! Aber: Wir sahen uns nicht wieder."

Heute kann der Grimme-Preis-Nominierte darob lächeln, auch, weil er viel dabei gelernt habe. Lernen, "Wissen, Input", das war und ist ihm wichtig und lässt auf Nachfrage die nächsten Bilder entstehen.

Verweigerung

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Das Bild des Schülers Martin, der in der DDR einen Notendurchschnitt von 1,2 hat und dank politischer Verbindungen seiner Mutter, Kostümbildnerin Heidi Brambach, 1984 zu ihr nach Hamburg zieht. "Ich musste kurioserweise Franz Josef Strauß, der hatte ja Ost-Kontakte, einen Brief schreiben. Also, meine Mutter hat ihn ge- und ich unterschrieben", führt er Gesagtes ohne Stift virtuell vor. "Im Gegensatz zu anderen war es relativ problemlos, dass ich in den Westen kam." Bis er dort ankommt, dauert es aber. "Ich hatte eine wahnsinnige Arroganz gegenüber den Westlern, suchte das jahrelang Verbotene, das Besondere, das man natürlich nicht findet." Statt Abitur zu machen spielt der Wissbegierige Arbeitertheater. Statt den Wehrdienst zu absolvieren - "Ich wollte total verweigern, hätte nicht gewusst, auf welche Seite ich die Granate schmeiße" - schreibt er nun selbst Briefe. Er wird befreit, geht an die Schauspielschule Bochum, bricht ab, geht fix ans Schauspielhaus Köln ehe er 1989 - "ein unglaubliches Privileg als junger Schauspieler mit 22" - ans Burgtheater engagiert wird.

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Heute ist er 43, ein gefragter Schauspieler, der das Wort "Nebenrolle" nicht mag, weil es sich "abwertend anhört" und Worte wie "Familie, Liebe, Kinder ganz toll" findet. Martin Brambach, der erst spät herausfand, dass sein Vater nicht sein leiblicher ist - "mein erziehender Vater hat einen sehr berühmten Sohn. Jan Josef Liefers. Aber wir sind nicht blutsverwandt. Wir haben keine großen Erlebnisse miteinander, weil wir uns nie sehen durften." - lebt und liebt Familie.

Geschenk

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In Recklinghausen, Nordrhein-Westfalen. Mit der gebürtigen Wienerin und Schauspielerin Christine Sommer, die er "meine Liebste", "meine Süße" nennt. Mit deren zwei Töchtern und dem 16 Monate alten gemeinsamen Sohn Anton. "Das ist so ein Geschenk! Mit Anfang 40 nochmal Vater zu werden!" Es folgt ein Bild aus dem Patchwork-Familienleben. "Früher habe ich nur auf der Gitarre rumgeschrubbt. Seit einem halben Jahr nehme ich Gitarrenunterricht, übe zu Hause und nerve meine Familie wahnsinnig bis auf den Kleinen. Der findet das toll. Er hat 'ne Holzgitarre, die schleppt er immer mit und setzt sich zu mir."

Aufbruch. Verabschiedung. Ein letztes Bild. Martin Brambach geht über die Straße. Ein Gedanke. "Da geht ein Mensch. Und was für einer."

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