Frühstück mit Elisabeth-Joe Harriet
Als Intendantin haucht sie dem Kurhaus am Semmering neues Leben ein. Als Multitalent hat sie sich ihre Freiheit hart erkämpft.hannes uhl (text) rene wallentin (fotos)die Fledermaus auf dem Frühstückstisch. Das hätte zu gut ins schön-morbide Bild gepasst. Doch das Tier, das Achterbahnen durch den Grand Salon des alten Kurhauses zieht, verkriecht sich in einer Fensternische.
Elisabeth-Joe Harriet freut sich über den Überraschungsgast und erzählt weiter vom über 100 Jahre alten Monumentalgebäude, das einst Max Reinhardt, Franz Werfel und Arthur Schnitzler zur Erholung diente. Und sie erzählt vom Sommerfestival, das nun den alten Mauern neues Leben einhaucht
Die künstlerische Intendantin des "Sommertraum Festivals am Semmering" kennt jeden Winkel hier, hat jedes der 120 Zimmer durchstöbert, um für die Jugendstil-Räumlichkeiten die passenden Möbel und Stoffe zusammenzutragen. Gemeinsam mit dem Kulturverein des Ortes hat sie im vergangenen Jahr das alte Kurhaus aus einem 20 Jahre währenden Dornröschenschlaf erweckt. Dabei musste die Spielstätte erst einmal saniert werden. Die Räume waren heruntergekommen, das Dach undicht. Wasser ist in den Stahlbetonbau eingesickert. Der Kulturverein und halb Semmering haben mitgeholfen, das Haus fit für den Spielbetrieb zu machen. Mit den kasachischen Eigentümern, die den ganzen Hügel 2007 erstanden haben, wurde eine Einigung erzielt: Der Kulturverein saniert im Groben, dafür darf das Kurhaus ohne Miete bespielt werden.
Vorbild Oma
"Als Kind war ich in den Weihnachts- und Osterferien immer hier", erzählt sie, während ihr Blick über das Semmering-Panorama streift. "Ich kann mich noch genau erinnern, wie wir am Kurhaus vorbeispaziert sind, und welche Märchen ich mir für das so riesige Haus ersonnen hab’." Nach 50 Jahren kehrt die 57-Jährige nun zurück. "You wanna do it? Do it!" (Du willst es tun? Tu es!) lautet ihr Lebensmotto. Und ein zweites gibt es noch: "Das geht nicht gibt es nicht." Innerhalb von nur drei Monaten hat sie das Festival aus dem Boden gestampft.
Ihre Schaffenskraft und die Freiheit, zu tun, was sie will, hat sich die in Wien geborenen Tochter US-amerikanischer Eltern erst erkämpfen müssen. Textilkauffrau und Schauspiel hat sie gelernt. Schon mit 18 Jahren kriegt sie erste, kleinere Rollen am Wiener Volkstheater. Dort lernt sie auch ihren ersten Mann kennen, den sie vom Stand weg heiratet, der ihr aber das Schauspielen verbietet. Harriet wird Hauptschullehrerin und Mutter zweier Kinder. Mitte der 1980er-Jahre lässt sie sich "glücklichst scheiden", wie sie sagt. Es beginnt eine schwierige Zeit der Selbstfindung, in der ihr Freiheitsdrang, der lange unterdrückt war, sich wieder Bahn bricht.
Immer im Hinterkopf als Vorbild und Faszinosum: Ihre Großmutter, die sie leider nie kennengelernt hat. Die war 1898 von Mähren in die USA ausgewandert, und hat es dort zu viel Geld gebracht – mit 18 Jahren, ganz auf sich alleine gestellt.
Nach der Scheidung arbeitet Harriet vorerst weiter als Lehrerin und ist abends stets aktiv: Lesungen, Liederabende und ein Kabarettprogramm sind die ersten Gehversuche als "dritter Zwerg von links", nach Jahren der Abwesenheit von der Bühne. Bis sich eines Tages der Bezirksschulinspektor bei ihr meldet, um ihr mitzuteilen, dass sich die dauernden Abendveranstaltungen mit dem Berufsethos einer Lehrerin nicht vereinbaren lassen. "Gut", denkt sich Harriet, und kündigt noch im selben Gespräch. "Das war absolut verrückt, aber ich hab’s getan."
Spätestens jetzt manifestiert sich ihr unbedingter Wille, etwas zu schaffen. Sie schlägt Kapital aus ihrer Schauspielausbildung, indem sie als Verkaufstrainerin arbeitet und verdient damit genug, um künstlerisch unabhängig zu sein. Die Jahre danach macht sie sich als Schauspielerin, Kulturmanagerin und Event-Organisatorin einen Namen, schreibt Theaterstücke, Bücher, übersetzt Wienerlieder und Torberg ins Englische: "What a man is more beautiful than a monkey, is luxurious" (aus Friedrich Torbergs "Tante Jolesch") . Bis heute zehrt sie von den Erfahrungen dieser Zeit, nur dass sie heute Topmanager statt Vertreter coacht.
1998 lernt sie in Puchberg am Schneeberg ihren jetzigen Mann kennen, Friedhelm Boschert, Vorstandsvorsitzenderder Sberbank/ Volksbank . "Er ist das Traumbild eines Mannes, der niemals auf die Idee käme, mir etwas in den Weg zu legen." 2006 wird geheiratet und das gemeinsame Haus in Klosterneuburg bezogen. Dort ist der Ruhepol für die Ruhelose, die stets mit den Vögeln aufsteht.
Der Morgen bietet ihr auch jene Rituale, die ihr Energie und Gelassenheit im täglichen Organisationstrubel geben. Rosenblätter-Meditation heißt das im Hause Harriet: Mit einer Tasse Kräutertee in der Hand spaziert sie zu ihren 25 Rosensträuchern und pflückt jene Blätter, die sich zu Rosenwasser verarbeiten lassen – leicht zu zupfen, aber nicht welk. "Hier schöpfe ich Kraft. Die jungfräuliche Energie des Morgens ist das Beste."
Info
Premiere beim "Sommertraum Festival am Semmering" (29. Juni bis 2. September) feiert heuer die Kammeropernfassung von Mozarts "Entführung aus dem Serail". Dazu kommen "Don Giovanni" aus dem Vorjahr, Konzerte, Theater und szenische Lesungen mit Musikbegleitung. Karten unter 02664–200 25,
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