Frühstück mit Bejun Mehta
Dick vermummt kommt er ins Café Diglas in der Wollzeile, nimmt die Haube ab und lässt seine grünblauen Augen blitzen. "Hier fühle ich mich ganz zu Hause. Als Student konnte ich mir da jeden Tag eine Frittatensuppe und einen Schinken-Käse-Toast leisten", erzählt Bejun Mehta, setzt sich zum Fenster in eine Nische und bestellt Grünen Tee, Semmeln, Butter und Marillenmarmelade. "Außerdem haben meine Eltern gleich um die Ecke auch noch ihre Wohnung. Sie haben sich als Studenten der Musikhochschule in Wien verliebt." Fließend Hochdeutsch spricht der Amerikaner, der sich auch als Europäer fühlt. Kein Wunder, hat er doch Germanistik in Yale studiert. Seine Abschlussprüfung machte er über Heinrich Heine. Die Verbindung zwischen Poesie und Musik. "Die Musik ist die erste Interpretation von einem Gedicht. Wie es betont wird, gibt ihm die Bedeutung."
Wie kommt ein begnadeter Musiker darauf, Deutsche Literatur zu studieren? "Erstens, weil meine Eltern viele Jahre in Wien gelebt haben und mit mir und meinem älteren Bruder auch in Amerika Deutsch und Englisch gesprochen haben. Und zweitens wäre es reine Zeitverschwendung gewesen, Musik zu studieren. Nicht weil ich ein Genie bin, sondern weil meine Eltern mir als Kind schon so viel beigebracht haben. Ich stamme aus einer musikalischen Familie", sagt der Neffe des Stardirigenten Zubin Mehta und Sohn des Pianisten Dady Mehta und der amerikanischen Sopranistin Martha Ritchey Mehta. "Meine Eltern haben gleich bemerkt, dass der Junge alles nachsingen kann", sagt der 43-Jährige lachend.
Stimme
Mit zehn Jahren war der in North Carolina geborene und in Ann Arbor (Michigan) aufgewachsene Sängerknabe Sopransolist bei Konzerten und Einspielungen, unter anderen mit Leonard Bernstein. Nach dem Stimmbruch, er war 15, spielte er Cello und lernte bei Bernstein dirigieren. "Sieben Jahre habe ich nicht gesungen. Es war schlimm. Mit der Stimme hatte ich einen Weg gehabt, mich direkt und unmittelbar auszudrücken." Schließlich versuchte er es als Bariton. "Es war eine Qual, nichts ist gelungen, vier Jahre hat die Katastrophe gedauert, bis ich über Countertenöre und David Daniels einen Artikel gelesen habe. Drei Monate hab’ ich es ganz privat probiert, dann bin ich zu Marilyn Horne gegangen. Sie hat mich gefördert. Damals kam keiner auf die Idee, gleich als Countertenor anzufangen."
Heute ist Mehta einer der ganz wenigen, die eine natürliche, echte Countertenorstimme besitzen. Kritiker schreiben über ihn in Superlativen. "Er gilt als der beeindruckendste, stimmlich und darstellerisch überzeugendste Countertenor weltweit", schreibt die Süddeutsche Zeitung . Als das "Nonplusultra unter den Countertenören" bezeichnet ihn auch die FAZ.
Zurzeit probt er im Theater an der Wien die Titelpartie der Oper "Telemaco" (Premiere: 19. 2. 2012). "Wir alle haben das Stück ein bisschen unterschätzt. Als ich die Partitur gelernt habe, wurde mir schnell klar, dass das etwas ganz, ganz Besonders ist. Ich bin jeden Tag nach der Probe erschöpft. Aber nicht körperlich oder stimmlich, sondern emotional. Es berührt mich und alle anderen auch. Das wird das Publikum spüren." Er liebt seine Arbeit, ohne die er nicht leben könnte. "So einen Spaß wie jetzt habe ich seit Langem nicht mehr gehabt."
Wie geht der Opernstar, der auf großen Bühnen wie dem Royal Opera House Covent Garden, der Bayerischen Staatsoper oder der Metropolitan Opera auftritt, mit dem großen Erfolg um? "Ganz leicht. Manchmal fühle ich mich zu meinem Ego hingezogen, dann sehe ich, dass das die falsche Welt ist und besinne mich wieder ganz auf die Musik. Ich bleibe auf dem Boden und kann den Verlockungen widerstehen."
Als er 1988 ein Jahr in Wien Deutsche Philologie studierte, gab ihm Claudio Abbado das Privileg, jederzeit in die Oper und zu den Proben zu gehen. "Die vielen Freunde meines Vaters in Wien waren natürlich ein Vorteil für mich. Und ich habe das total ausgenützt. Ich war jeden, wirklich jeden Tag in der Oper, immer auf dem gleichen Stehplatz. Damals war ich ein armer Bub in Cargohosen", erinnert sich der Star ohne Starallüren. Auch im Probesaal war Mehta oft anzutreffen. "Ich lernte, wie man Oper macht", sagt der Künstler, der auch Jazz (Billy Holiday oder Ela Fitzgerald) und gute Rockmusik (Whitney Houstons "How will I know") mag.
Stille
Nur zu Hause hört er fast keine Musik. "Ich habe den ganzen Tag Musik im Kopf. Da brauch’ ich auch mal die Ruhe." Wenn er Stille sucht, geht er "überall und regelmäßig" in Museen. "Weil ich dort nicht reden muss. In der Freizeit will ich meine Stimme auch ein bissl schonen." Sport ist ihm zu langweilig. Sein Hobby ist das Kochen. "Ich bin ein Feinschmecker. Manchmal esse ich zu viel und dann wieder ein paar Tage gar nicht. Die Balance muss stimmen", sagt der Weinliebhaber, der gerade die österreichischen Rotweine erforscht. Gekocht wird in seinen Domizilen in New York und Berlin. Dort kann er sich mit seinem deutschen Freund Sami kulinarisch austoben. Bejun ist für die feine französische Küche und das Backen zuständig, Sami für Asiatisches. "Ich habe einen tollen Partner", schwärmt Mehta über den Gesanglehrer mit türkischen Wurzeln.
Frei und liberal ist Mehta aufgewachsen. "Individualität war meinen Eltern ganz wichtig." Sein Bruder Navroj, ein Geiger, und er konnten immer machen, worauf sie Lust hatten. "Ich habe viel allein gemacht, Musik angehört, Bücher gelesen oder bin ins Museum gegangen. Wenn ich nicht in die Schule gehen wollte, um zu Hause ein gutes Buch zu lesen, war das für sie ok." An eine schöne Kindheit erinnert sich der Musiker. "Meine Eltern haben mich auf ein sehr selbstständiges Leben vorbereitet. Mit 15 war ich weg, bin nach Connecticut gegangen, um dort Cello zu studieren."
Als "super ordentlich und organisiert" bezeichnet er sich. Um das zu dokumentieren, zückt er stolz sein iPhone. "Ich kann die Fotos meiner Wohnungen in New York und Berlin zeigen." Jedes Möbel, jedes Accessoire hat seinen Platz, stilsicher bis ins Detail geplant. Offene Wohnküchen, Kamine, Parkettböden und liebevolle Dekorationen. "Auf diesen Hochglanzsessel von Philippe Starck hab’ ich vier Monate warten müssen." Bejun Mehta ist ein Ästhet mit einem großen Herz – und großen Emotionen. "Zu Tränen gerührt bin ich fast jeden Tag. Wenn etwas echt ist und ein Künstler seine Tätigkeit wunderbar ausübt, bringt mich das jedes Mal sofort zum Weinen. Egal ob in der Oper, im Theater oder im Kino."
Und was bringt den leidenschaftlichen Sänger zum Lachen? "Sami. Immer. Er ist einfach witzig, er macht das Leben schön."
INFO
"Telemaco", Theater an der Wien, Premiere am 12.2.2012. Fünf weitere Vorstellungen bis 2.3.
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