Baumgartner: „Die Mehrheit interessiert mich nicht“
Extremsportler Felix Baumgartner hat es nicht leicht. Seit seinem Stratos-Sprung wird er oft befragt. Zu allem. Viele Super-Prominente lernen deshalb zu schweigen. Der 44-jährige Salzburger jedoch antwortet mit der Freiheit eines Mannes, der die Welt von ganz oben gesehen hat. Und der seit Langem die finanzielle Unabhängigkeit eines Gönners genießt – Dietrich Mateschitz.
So kam Baumgartner, nachdem er Gesprächsthema war, auch ins Gerede. Er wünsche sich eine gemäßigte Diktatur und hält die Ohrfeige für ein probates Erziehungsmittel. Der öffentliche Aufschrei nach solchen Sagern scheint absehbar, Baumgartner fühlt sich jedoch missverstanden. Der KURIER bat ihn daher zur ausführlichen Erklärung seiner Philosophie.
KURIER: Haben Sie genug von Interviews?
Felix Baumgartner: Ich habe die Schnauze voll von dummen, sogenannten Journalisten. Ich habe in diesen Interviews so vieles gesagt, über Kinder und Jugend. Ich habe ja nicht gesagt, Kinder gehören Tag und Nacht gedroschen. Ich habe in diesen Gesprächen auch für mehr Respekt vor den Älteren plädiert. Aber das interessiert keinen.
So wie nicht jeder Fallschirmsprung im Hauptabendprogramm übertragen wird. Menschen interessieren sich eben für das Außergewöhnliche. Zum Beispiel, wenn ein Prominenter für die Ohrfeige plädiert, die gegen das Gesetz ist.
Sie meinen, die Mehrheit ist also Ihrer Meinung, schweigt aber.
Mich interessiert nicht, was die Mehrheit sagt. Der Mensch ist so vorsichtig geworden, er muss wieder aus der Komfortzone. Es wird einem heute alles abgenommen. Vor allem auch unseren Kindern. Keiner will und darf mehr etwas riskieren, alle müssen ständig Helme aufsetzen. Wir betten uns komplett in Sicherheit. Wir brauchen die Bereitschaft, etwas zu machen. Und durch die heutige Erziehung, dass man alle in Ruhe lassen muss, lernen Kinder keine Grenzen mehr kennen. So war mein Satz über die Ohrfeige zu verstehen. Der Mensch braucht Grenzen, innerhalb derer er sich bewegen kann. Gerade hat mich eine Sonderschullehrerin angesprochen, ob ich in ihre Schule komme. Weil ihre Schüler eben auch wieder eine Richtung brauchen.
Und die geben Sie den Menschen? Sehen Sie sich als einer, der die Welt entwickelt und weiterbringt?
Solche Leute wurde immer belächelt. Zum Beispiel die Gebrüder Wright. Heute sind wir froh, dass wir fliegen, dass wir zwischen den Kontinenten unterwegs sind. Warten wir zehn Jahre, dann werden wir unsere Kinder in die Schule bringen, beim Hineingehen werden sie einen Drogentest und Sicherheitscheck machen müssen. Und Facebook-Psychologe wird ein hoch bezahlter Job sein. Früher hatten die Kinder wenigstens daheim in der Familie ihre Ruhe. Heute werden manche im Internet weiter gemobbt, weil Kinder alles ohne Rücksicht posten. Der richtige Umgang mit Social Media wird ein eigenes Unterrichtsfach werden. Das Internet ist eines unserer größten Probleme. In dem Dorf, wo ich wohne, in Arbon in der Schweiz, haben vorige Woche zwei 13-Jährige ein fünfjähriges Mädchen vergewaltigt. Weil du im Internet alles anschauen kannst. Die Hemmschwelle geht runter. Aber das greift keiner an. Ich höre immer: Internetzugang beschränken sei so schwierig, dabei kannst du in Dubai im Hotel auf keine einzige Sexseite gehen. Das kann nicht so schwierig sein.
Haben Sie auch eine Erklärung, wieso alles so den Bach runtergegangen ist?
Die Familie ist die kleinste Zelle im Staat. Aber heute müssen alle arbeiten gehen, weil wir im Luxus leben und ihn erhalten wollen. Wir brauchen zwei Autos, fünf Urlaube im Jahr, das neueste Handy. Und für Kinder ist keine Zeit. Da gibt es eine Nanny, den Skilehrer, oder die Kinder sind den ganzen Tag unbeaufsichtigt. Das ist schlecht.
„Der reiche Baumgartner sagt, wir ersticken alle im Luxus“ wäre eine verlockende Schlagzeile.
„Baumgartner fordert Schusstraining für 12-Jährige“ hätte auch was. Manövrieren Sie sich nicht vielleicht selbst ständig in missverständliche Headlines?
Die Menschen haben ein großes Empörungsbedürfnis und das weiß die Presse. Wenn sich die Leute empören, kaufen sie die Zeitung. Die Realität gibt mir ja recht, das können alle kritisieren. Schauen wir es uns in zehn Jahren an.
Bei Ihren Prophezeiungen und Expertisen mutmaßen manche, der mediale Erfolg des Stratos-Sprungs wäre Ihnen zu Kopf gestiegen. Können Sie mit der Berühmtheit umgehen?
Ich lebe immer in der Zukunft. Ich bin froh, dass es funktioniert hat, das umzusetzen. Und, dass der Erfolg viel größer war als angenommen. Wir haben schon davor gewusst, dass das groß wird, aber sind eher davon ausgegangen, dass die Leute beim Durchzappen hängen bleiben und sagen: Das schaue ich mir jetzt an. Aber, dass sie wie bei einer Fußball-WM planen, zu Hause zu sein und sich das anzuschauen, hätten wir nicht gedacht. Jetzt ist das für mich durch, es war ein Superabschluss meiner Karriere als Extremsportler.
Und jetzt erklären Sie vor allem die Welt.
Ich sage, was ich mir zu öffentlichen Themen denke. Wir diskutieren zum Beispiel über eine zweite Turnstunde. Wo jeder krank ist und unter Bewegungsarmut leidet. Wo die Kinder so patschert sind, dass sie nicht einmal einen Ball fangen können. Das größte Gut ist nun einmal die Gesundheit. Es ist die Basis, Kindern Bewegung, Motorik und Ernährung beizubringen. Wir brauchen vier oder fünf Turnstunden. Da schaffe ich lieber den Religionsunterricht ab, das machen die Eltern daheim. In einer Stunde kann ich eh keinen Glauben vermitteln.
Noch einmal: Sie haben die Spitze der Popularität erreicht. Fühlen Sie sich wohl da oben?
Ich bin ein völlig zufriedener Mensch. Ich bin froh, dass ich keine Schäden davongetragen habe. Ich habe meine sportlichen Visionen verwirklicht. Ich bin angekommen.
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