Der Mount Everest über die Direttissima
Die internationale Himalaya-Expedition 1971 unter der Leitung des damals 53-jährigen Bergsteigers und Filmemachers Norman Dyhrenfurth ist eine Mammut-Unternehmung: 22 Bergsteiger aus 13 Nationen, darunter ein Schweizer Ehepaar, nehmen teil, dazu ein achtköpfiges Team der britischen BBC.
Seit seiner letzten großen Everest-Expedition vor acht Jahren war keine neue Route begangen worden. Nun sollte – parallel zur Westgrat-Route – der direkte Weg über die 2500 Meter hoch über dem Khumbu-Eisbruch aufragende Südwestwand geklettert werden. „Es gilt nicht mehr, den Berg an sich zu erreichen“, schreibt Dyhrenfurth in seinen Erinnerungen, „sondern die ideale Route, die ,Direttissima’ in der Fall-Linie des Gipfels.“
Nachdem der gefährliche Khumbu-Eisbruch überwunden ist, werden die ersten Zelte in 6100 Meter Höhe aufgestellt. Zweier-Teams arbeiten sich weiter hinauf. Doch bei einem der Vorstöße kommt es zu einem Todesfall.
Der indische Bergsteiger Harsh Bahaguna stirbt auf 6800 Metern an Erschöpfung. Sein Partner am Seil, der Österreicher Wolfgang Axt, war abgestiegen, ohne von den Schwierigkeiten des Inders etwas mitzubekommen. Das sorgt für heftige Diskussionen unter den Kameraden, die Axt sogar des Mordes bezichtigen. „Ich hatte keine Ahnung, wie schlecht es ihm ging“, rechtfertigt der sich.
Der Teamgeist bricht Mit dem zuvor blendenden Teamspirit war es damit vorbei. Wenig später brechen zwischen Amerikanern, Briten und Japanern auf der einen Seite und Franzosen, Italienern, Schweizern auf der anderen unüberwindbare Konflikte auf. Erstere wollen um jeden Preis die Südwestwand versuchen. Die anderen wollen nur mehr über die schon mehrfach begangene Hauptroute auf den Gipfel. Immerhin wären sie damit der erste Franzose, der erste Italiener und die erste Frau auf dem Everest. Selbst Werbeverträge wurden im Vorhinein abgeschlossen – Rasiercreme und Zigaretten für den höchsten Punkt der Welt.
Expeditionsleiter Dyhrenfurth verbietet nach langen Beratungen den Normalweg zum Gipfel, weil die Kapazitäten nur für eine Route reichen. Franzosen, Italiener und Schweizer verlassen wutentbrannt die Expedition.
Die erhofften Erfolge bleiben nun aus. Die Briten Don Whillans und Dougal Haston kämpfen drei Wochen auf über 7500 Metern und schaffen es in der Steilwand bis auf 8350 Meter – doch der Gipfel bleibt ihnen verwehrt. „Der Wunschtraum einer Welt-Seilschaft hat sich nicht verwirklichen lassen“, schreibt Dyhrenfurth, „noch nicht!“
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