Christiane Hörbiger: „Das Publikum ist mit mir gealtert“
Ein schöner Vormittag in Baden bei Wien. Christiane Hörbiger genießt die Herbstsonne und ist glücklich, dass die Dreharbeiten zu ihrem nächsten Film verschoben wurden. Sonst hätte sie wohl auch an ihrem 75. Geburtstag gearbeitet. Wie bitte, 75? War sie denn nicht gerade erst die junge Gräfin Guldenburg, die liebestolle Göring-Nichte in „Schtonk“ und die aparte TV-Richterin Julia? Ist das alles schon so lange her? Ja, es ist. „Aber das Publikum ist mit mir gealtert, und dadurch gehöre ich fast zur Familie“, sagt Christiane Hörbiger im KURIER-Gespräch. Zum Verständnis für die Leser: Wir kennen einander schon so lange, dass wir im Interview beim ehrlichen Du bleiben.
KURIER: Du fühlst dich doch nicht wie eine 75-Jährige?
Christiane Hörbiger: Du hast vollkommen Recht, ich fühle mich wie 50. Mir tut nichts weh und mithilfe von sehr guten Maskenbildnern sehe ich vor der Kamera so gut wie möglich aus.
Viele Schauspielerinnen leiden darunter, dass es in reiferen Jahren kaum gute Rollen gibt. Das Problem kennst du nicht, weil man für dich das Christiane-Hörbiger-Fach geschaffen hat?
Es ist ein großer Glücksfall, dass für mich Rollen geschrieben werden. Das Fernsehpublikum ist mit mir gealtert und findet es recht sympathisch, wenn einem der gleiche Jahrgang entgegenlacht. Nicht, dass man jünger ausschaut als man ist, aber es fällt ganz sicher der Neidfaktor weg, denn eine 75-Jährige nimmt keiner den Mann weg. Und dadurch kann man weiterhin Sympathieträger bleiben.
Wie hast du deine Eltern in Erinnerung, als sie in deinem jetzigen Alter waren?
Wie die Mama die Hoffnung in Ferdinand Raimunds „Diamant des Geisterkönigs“ gespielt hat, hat sie gesagt: „Kinder, ich bin über 70 und mir zittern die Knie“, und sie hat sich ein Geländer bauen lassen, um sich auf der Bühne des Burgtheaters festhalten zu können. Wir sagten: „Aber Mama, 70 ist ja kein Alter“, natürlich um sie zu trösten. Denn wir haben uns schon gedacht, dass sie alt ist, aber seither hat sich viel geändert.
Was denn?
Wir achten heute auf ein gesundes Leben. Es gibt andere Kosmetikprodukte und auch das Film- und Fernsehmaterial ist besser, die können anders beleuchten und weichzeichnen, sodass die Leute nicht gleich den Fernsehapparat abdrehen, wenn sie ein älteres Gesicht sehen. Meine Mutter hat gesagt, ab 40 hat eine Frau auf der Leinwand nichts zu suchen, weil sie nicht mehr den Hauptdarsteller küsst. Heute küsst man auch mit 70 den Hauptdarsteller. Die Zuschauer kennen einen so lange, dass man fast zur Familie gehört.
Wie ist das Phänomen Hörbiger zu erklären – dass alle in dieser Familie mit Theater, Film und Fernsehen zu tun haben?
Ich glaube, genetisch. Ich hab das Komödiantische von meinem Vater. Und das, was die Seele ins Gesicht zaubert, hab ich von meiner Mutter.
War die familiäre Herkunft eher Vorteil oder Belastung?
Eher Belastung. Ein Kritiker schrieb: „Die unbegabte Tochter der Paula Wessely.“
Tut es weh, dass man in unserer schnelllebigen Zeit so bald in Vergessenheit gerät – selbst wenn man so berühmt war wie deine Eltern?
Ich hab neulich mit jungen Leuten aus dem Produktionsteam gesprochen und Curd Jürgens erwähnt. Die wussten nicht, wer das war. Bei meiner Familie tut’s nicht weh. Ich habe im Gegenteil das Gefühl, wenn sich keiner an die Kunst meiner Eltern erinnert, gehören sie mir ganz. Sie sind nicht die Wessely und der Hörbiger, sondern meine Mutter und mein Vater.
Deine Mutter hat bis 80 Theater gespielt, dein Vater bis 87. Hast du dir eine Grenze gesetzt?Sobald ich unter Schmerzen spielen müsste, würde ich aufhören.
Hast du dir bei Dreharbeiten oder beim Lernen schwieriger Texte nicht schon gedacht, eigentlich wär’s schön, wie andere in meinem Alter auf Reisen zu gehen, viel zu lesen, das Leben einer Pensionistin zu führen?
Oh ja, ich hab das in diesem herrlichen Sommer gedacht, als ich mit Gerhard am Wolfgangsee war. Ich habe zu meiner Agentin gesagt, dass ich auf meinen Sommer nur noch dann verzichten würde, wenn George Clooney will, dass ich seine Mutter spiele. Wirklich ganz aufhören würde ich, wenn ich das Publikum nicht mehr interessiere.
Du warst und bist dein Leben lang Schauspielerin – hattest du je den Wunsch, etwas anderes zu sein?
Manchmal lese ich Todesanzeigen und sehe, dass das eine Frau mit vier Kindern und acht Enkeln war, dann denk ich mir, das hätte ich eigentlich auch ganz gern.
War ein anderer Beruf denkbar?
Ich bin nicht Schauspielerin geworden, weil meine Eltern so glücklich in diesem Beruf waren. Wir haben ja zu Hause die Aufregungen vor Premieren, die Schattenseiten miterlebt. Aber mit zwölf Jahren dachte ich mir, dass ich in meinem Leben viele Personen sein möchte: Prinzessin, Königin, reiche Dame, armes Mädchen. Es gibt nur einen Beruf, in dem man all das sein kann. Deshalb bin ich Schauspielerin geworden.
Was sagst du zur Politik in Österreich, kurz nach den Wahlen?
Ich bin entsetzt, dass die FPÖ so viele Stimmen erhielt. Als Regierung sehe ich nur Rot-Schwarz.
Vor ein paar Tagen wurde im ORF „Meine Schwester“ mit dir und Maresa wiederholt. Warum gab es nie ein gemeinsames Projekt mit allen drei Schwestern?
Ich hätte das sehr gerne. Es müsste nur jemandem etwas dazu einfallen und der ORF den Auftrag geben.
Deine Eltern hatten, weil sie so viel gespielt haben, wenig Zeit für euch Töchter. Hast du es als Mutter besser gemacht?
Ich glaube, ja. Ich habe meinen Sohn nach dem Tod seines Vaters nicht ins Internat gegeben, obwohl ich damals in Zürich viel gespielt habe. Ich hab jedenfalls versucht, es besser zu machen.
Bist du gläubig und dem Schicksal dankbar für dein Leben?
Ich bin keine große Kirchgeherin, aber ich empfinde jeden Morgen Demut und bin Gott dankbar für dieses Leben, das ich führen darf, und dass mir nichts wehtut.
Und was tust du, damit dir nichts wehtut?
Zwölf Minuten Morgenübungen, wenn auch nicht gerne. Aber ich würde mich schlechter fühlen, wenn ich das nicht machen würde. Und die täglichen Spaziergänge mit meinem Hund Loriot. Ich trinke keinen Alkohol und rauche seit 25 Jahren nicht. So kommt es, dass ich mich heute besser fühle als je zuvor. Ich brauche auch, wie das früher der Fall war, keine Angst mehr zu haben, dass mein Theatervertrag nicht verlängert wird, weil ich von meiner Rente und meinen Ersparnissen leben könnte.
Wenn du dich in einem Film siehst, bist du zufrieden mit dir?
Eigentlich, ja. Es sei denn, ich wurde nicht gut ausgeleuchtet. Es geht mehr ums Aussehen, mit meinem Spiel bin ich im Großen und Ganzen einverstanden.
Lieber Komödie oder Tragödie?
Komödie! In dem Film „Stiller Abschied“, der jetzt zu meinem Geburtstag gezeigt wird, spiele ich eine Alzheimerkranke. Da muss man sehr in sich hineinhorchen, es ist eine unangenehme Arbeit, wie eine Psychotherapie. Komischsein ist das Herrlichste. Ich sehe viele Typen, wo ich gern zu meiner Kostümbildnerin sagen würde: Schau’n Sie, so sind die angezogen und es ist nicht übertrieben.
Wie hat sich euer Leben durch Gerhards Schicksalsschlag verändert?
In unserer Beziehung hat sich durch die Amputation seines Fußes nichts geändert, außer dass man noch mehr zusammenhält. Lieben und geliebt werden, ist wunderbar. Im Alter gehört aber auch dazu, gebraucht zu werden, das ist genauso wichtig.
Gerhard ist auch Berater und wichtiger Gesprächspartner?
Er ist enorm gebildet, Gespräche und Lachen gehen uns nie aus, und es ist seine Güte, die an meiner Seite ist.
Ins Altersheim gehen wie in deinem neuen Film „Zurück ins Leben“ kommt wohl nicht infrage?
Nein, aber es ist ein sehr hübscher Film. Wenn ich einmal tot bin, hätte ich gern, dass man ihn zeigt.
Geboren am 13. Oktober 1938 in Wien als Tochter von Paula Wessely und Attila Hörbiger. Sie drehte mit 17 ihren ersten Film, war 1959 erstmals am Burgtheater, später an deutschen Bühnen. Bei den Salzburger Festspielen war sie von 1969 bis 1972 die Buhlschaft.
Nach ihrer ersten Ehe mit dem Regisseur Wolfgang Glück heiratete sie den Schweizer Journalisten Rolf Bigler, mit dem sie einen Sohn hat: den Regisseur Sascha Bigler. 1967 bis 1985 am Schauspielhaus Zürich, konzentriert sich ihre Arbeit seither auf Film und Fernsehen. Heute ist sie eine der beliebtesten Schauspielerinnen im deutschen Sprachraum. Vom KURIER erhielt sie sechs ROMYS sowie eine für das Lebenswerk. Seit mehr als 20 Jahren ist der Regisseur und Schriftsteller Gerhard Tötschinger ihr Lebenspartner.
Sonntag, 6. Oktober, 10.00 Uhr ORF 2 (und Sonntag, 13. Oktober 12.10 Uhr 3sat): „matinee: Christiane Hörbiger – Ein Porträt aus der Nähe“ von Gerhard Tötschinger.
Mittwoch, 9. Oktober, 20.15 Uhr ORF 2: „Schon wieder Henriette“, Kriminalkomödie mit Christiane Hörbiger (als eine Art „Miss Marple“), Erwin Steinhauer, Manuel Witting, Lilian Klebow u. a. Regie: Nikolaus Leytner.
Montag, 14. Oktober, 20.15 Uhr ORF 2: „Stiller Abschied“ mit Christiane Hörbiger (als eine an Alzheimer erkrankte Frau), Jeanette Hain, Oliver Mommsen u. a. Regie: Florian Baxmeyer.
Freitag, 18. Oktober, 20.15 Uhr ARD: „Zurück ins Leben“ mit Christiane Hörbiger (als eine Frau, die etwas zu früh ins Altersheim geht und mit einem der dort wohnenden Herrn durchbrennt), Michael Mendl, Hans-Michael Rehberg u. a. Regie: Nikolaus Leytner.
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