Ex-Chefermittler Ernst Geiger: "Es gibt keine schönen Morde mehr"
Die Abgründe der menschlichen Seele faszinieren viele, nicht umsonst gibt es massenhaft Krimis und Polizeiserien im TV. Ernst Geiger (69) hat sich sein ganzes berufliches Leben damit beschäftigt, er hat große Fälle wie Jack Unterweger (wurde wegen 9-fachen Frauenmordes verurteilt und erhängte sich 1994 in seiner Zelle) und den Saliera-Raub federführend bearbeitet.
"Ich war 12 Jahre lang Leiter der Wiener Mordkommission und da hatten wir 40 bis 50 Tötungsdelikte in Wien im Jahr. Das ist mehr als doppelt so viel wie heute. Also, es ist nicht alles schlechter geworden. Wir hatten sehr viele Mordfälle und da kommt dann auch eine gewisse Routine dazu. Man kann nicht mit jedem Opfer mittrauern und muss sie professionell abhandeln, aber so ganz lassen einen die Bilder, die man da sieht, nie los", erzählt er in der Sendung "Herrlich ehrlich – Menschen hautnah".
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In den Schlaf verfolgt den ehemaligen Chefermittler heute aber nichts mehr. "Jetzt nach der langen Zeit lösen sich die Bilder und ich träume heute nicht mehr davon", sagt er.
Wiener Kripo in der Nazizeit
"Man sieht tief in die menschliche Seele und in die menschlichen Abgründe hinein. Und da legt man sich dann doch einen anderen Blick auf den Menschen zu als jemand anderer, der nicht so intensiv mit den schlechten Seiten des Menschen befasst ist."
Intensiv befasst hat er sich jetzt auch mit der Wiener Kripo in der Nazizeit und das in seinem 4. Buch "Berggasse 41" zusammengefasst. "Das hat drei Jahre gedauert und der Großteil war Arbeit in Archiven. Es hat noch niemand zuvor ein Buch über die Kriminalpolizei in der Zeit geschrieben. Über die Gestapo gibt es schon einige Informationen, aber da musste ich Pionierarbeit leisten, von der Pike auf die Quellen erforschen und das ist wirklich viel, viel Arbeit."
Täter, Opfer, Mitläufer
Auch Fakten, wie zum Beispiel, dass die Wiener Polizei in den 1920er und 1930er-Jahren als die weltbeste galt und auch die Interpol (feiert heuer 100. Jubiläum) in Wien gegründet wurde, findet man darin. Geigers Intention zu dem Buch war auch die Frage, wie er sich damals nach dem Anschluss verhalten hätte.
"Das habe ich mich immer gefragt und deswegen habe ich auch dieses Buch geschrieben. Auch ich bin in der Berggasse 41 25 Jahre gesessen und war in fast allen Verwendungen im Laufe der Zeit, wie die Beamten, die ich in meinem Buch beschrieben habe. Und da waren Täter, Opfer, aber der Großteil waren Mitläufer, Opportunisten. Sie standen plötzlich vor der Entscheidung, wollen sie ihren Beruf, ihr Einkommen retten oder Widerstand leisten. Und da hat man festgestellt, die Leute, die Widerstand geleistet haben, auch in der Polizei, das waren ganz wenige. Aus heutiger Sicht ist es sehr schwer, zu sagen, wie man sich damals verhalten hätte."
Die Schicksale seien sehr verschieden gewesen und Gerechtigkeit habe es nicht immer gegeben.
Sein Fazit: "Jede Zeit hat ihre eigenen Probleme. Und der Mensch an sich ist nicht gut. Es gibt aber auch nur wenige ganz böse Menschen. Die meisten versuchen zu überleben und ihre Existenz zu retten."
Ob’s noch weitere Bücher geben wird, ist noch ungewiss, denn "meine Frau sagt, ich soll endlich aufhören mit dem Schreiben und Pensionist sein."
Polizeiarbeit reizt ihn nicht mehr
Und obwohl er nach wie vor guten Kontakt zu den noch aktiven Kollegen hat und sich regelmäßig mit ihnen austauscht, die Polizeiarbeit reizt ihn heute nicht mehr wirklich, denn: "Es gibt in letzter Zeit auch gar nicht mehr so viele interessante und komplexe Fälle, wie es sie früher gab. Es gibt keine schönen Morde mehr."
Mehr über Jack Unterweger, warum Frauen zu Giftmörderinnen wurden, Femizide in der heutigen Zeit und das Buch gibt’s im Video oben.
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