Adel Tawil: Interview mit Hindernissen
Es ist ein regnerischer Tag in der Wachau und Adel Tawil, 39, Popstar aus Deutschland, ist gekommen, um bei der „Starnacht in der Wachau“ aufzutreten. Bekannt wurde er vor allem durch seine Hits, die ins Ohr gehen, egal ob sie „Vom selben Stern“ oder „Ist da jemand“ heißen. Tawil kommt gerade von einer Tonprobe, bestellt sich ein Glas Weißwein und beginnt sofort zu plaudern. Er spricht über viele Themen, die ihn berühren, auch über seine Exfrau Jasmin, mit der er 13 Jahre lang zusammen war. Adel Tawil spricht offen über den Schock der Scheidung und wie er danach endlich wieder Mut gefasst hat. Über seinen Wunsch, dass es seiner Ex-Frau, die zuletzt mit einer Alkoholbeichte aufhorchen ließ und zu der er keinen Kontakt mehr hat, wieder gut gehen möge. Es sind sehr persönliche Gedanken, die Adel Tawil zuvor auch schon in verschiedenen anderen Medien mit der Öffentlichkeit geteilt hat.
Und Adel Tawil versichert während des Gesprächs auch, dass dieser Abschnitt seines Lebens zu ihm gehöre und er zu seinen Gedanken und Aussagen stehe. Sein Management sieht das schlussendlich anders und streicht bei der Autorisierung des Interviews alle Passagen, die mit der Exfrau des Popstars und seiner Scheidung zu tun haben. Aber auch ohne diesen Aspekt ist dem Sohn nordafrikanischer Einwanderer beim Interview mit der der Gesprächsstoff bei weitem nicht ausgegangen ...
Herr Tawil, Kompliment! Egal, welches Lied man sich auf Ihrem Album „So schön anders“ anhört: Es geht ins Ohr! Adel verpflichtet offenbar zu Qualität ...
Danke, das freut mich! Ich bin in erster Linie Komponist und versuche natürlich, eingängige Lieder zu machen. Die sogenannten Ohrwürmer liegen mir ein bisschen im Blut. Ich überlege, was man sich von der Melodie her gut merken kann. So fängt es meistens an. Und dann bastle ich eine Geschichte dazu, die – mal mehr, mal weniger – mit meinem Leben zu tun hat.
Die Flüchtlingskrise treibt, wie die meisten, auch Sie um. In einem Ihrer neuen Lieder „Gott steh mir bei“, haben Sie Angela Merkels „Wir schaffen das“ reingeschnitten. Viele Menschen haben ihr den Satz übel genommen. Ist es nicht kontraproduktiv, ihn zu verwenden?
Das kann schon sein, aber ich habe den Satz schon zwei Jahre vor Merkel im Song „Zuhause ist, wo deine Freunde sind“ verwendet. Ich bin überzeugt, dass man alles schaffen kann und bin selbst ein gutes Beispiel für gelungene Integration. Meine Eltern sind unabhängig voneinander in jungen Jahren aus Tunesien und Ägypten nach Deutschland gekommen. Natürlich sind sie vom Ursprung her islamisch, aber sie sind auch sehr liberal und haben uns zu guten Menschen erzogen (Anm.: Tawil ist das älteste von drei Kindern).
Haben Ihre Eltern bei Ihrer Ankunft damals eine Willkommenskultur erlebt?
Willkommen würde ich nicht sagen, es war schon anstrengend für sie in diesem Land. Man muss sich vorstellen, sie haben ihre Familien verlassen, das vertraute Umfeld, und waren auf sich alleine gestellt. Aber sie haben eine Chance bekommen. Meine Mutter hat früh bei Siemens begonnen und konnte sich etwas erarbeiten. Mein Vater hat in Deutschland wirklich als Tellerwäscher angefangen und jede Stelle im Gastgewerbe durchgemacht – bis er seinen eigenen Laden hatte. Eine Erfolgsgeschichte.
Sie selbst wurden in Deutschland geboren. Haben Sie sich dennoch jemals gefragt: Wo gehöre ich eigentlich hin?
Es gab in den 1990er-Jahren diese Anschläge auf Ausländer- und Flüchtlingsheime in Rostock und Solingen. Da hab ich schon gedacht: Was bin ich denn jetzt? Ausländer? Deutscher? Ich denke Deutsch, rede Deutsch und kann viel besser Deutsch als Arabisch. Wenn ich in Ägypten oder Tunesien bei Verwandten war, haben die sofort gesagt: „Du bist ja gar kein Ägypter.“ Das hat bei mir gerade in der Pubertät zu einer Identitätssuche geführt. Und das ist genau das, was derzeit passiert. Suchende sind offen für jene Menschen, die versprechen, dir den wahren Weg zu zeigen. Deshalb muss man ihnen dringend eine Perspektive bieten.
Ihre Perspektive war immer die Musik. War es also ein Glück, dass Sie mit 15 vom Gymnasium geflogen sind, weil Sie eine Wand mit Graffiti beschmiert haben?
Na ja, das Gymnasium war sehr altehrwürdig und konservativ, das war schon einmal grundsätzlich wider meine Natur. Dort ist es fast militärisch zugegangen, während ich ein Freigeist war. Da merkt man, wie wichtig Schule für die Prägung ist. Nach dem Wechsel auf die Gesamtschule habe ich nichts mehr beschmiert. Die Lehrer dort waren jung, wir hatten Spaß und ich habe noch zwei Jahre gemacht.
Und dann wurden Sie einfach so Popstar ...
Nebenbei gab’s die Musik schon immer, aber plötzlich ist sie durch einen Plattenvertrag akut geworden. Ich durfte mit der Schule ein Jahr pausieren und hatte die Option zurückzukehren, falls es nicht geklappt hätte. Aber dann ist es mit der Boyband tierisch durch die Decke gegangen.
Irgendwie passt dieses Boyband-Ding gar nicht zu Ihnen.
Das dachte ich damals ehrlich gesagt auch. Ich habe zu dieser Zeit für 50 Mark auf Partys gesungen und dadurch über einen Freund die Produzenten von „The Boyz“ kennengelernt. Aber da ich die anderen Jungs mitaussuchen durfte, war das für mich okay. Wir haben einen Musikwettbewerb gemacht in Berlin, und dann ging es los.
Haben Sie damals ein Gespür dafür gekriegt, was ein Hit wird und was nicht?
Wenn man das wüsste ... Als ich Jahre später „Lieder“ geschrieben habe, war mir klar, dass das ein spezielles Lied ist und es funktionieren wird (der Text besteht nur aus Lied- und Künstlerzitaten). Aber bei „Ist da jemand“ (Tawils aktueller Hit) ging es um ein Gefühl und ich wusste nicht, ob andere Leute ähnlich empfinden. (Anm.: Tawil besingt in seinem Lied „Ist da jemand“ das Thema Scheidung und spricht auch mit der freizeit darüber – eine jender Passagen, die vom Management letztlich gestrichen wurde).
Adel Tawil beim Gespräch mit Barbara Reiter in Krems
In Ihrem Leben hat es neben vielen Höhen auch immer wieder Tiefen gegeben. Nach dem Ende von „The Boyz“ haben Ihnen Drogen und Schulden zu Schaffen gemacht. Gehört das bei Künstlern dazu?
Das war auch so ein Punkt. Es ging um die Perspektive als Jugendlicher. Ich war sehr jung sehr erfolgreich. Aber nach vier Jahren war abrupt Schluss, weil wir uns untereinander nicht mehr einig waren und mit den Managern und Produzenten schon gar nicht. Da habe ich gemerkt, dass ich nicht so viel Geld verdient habe, dass es für den Rest des Lebens reicht. Dann war die abgebrochene Schule. Ich war vier Jahre älter und wusste nicht, was ich machen sollte. Eine Lehre oder zurück auf die Schulbank? Wenn man jahrelang von kreischenden Teenies umgeben ist, denkt man, dass es immer so weiter geht.
Dann haben Sie Ihren Kummer ertränkt.
Das war eine Phase, in der ich anfällig war. Ich war viel unterwegs, habe viel getrunken und nach Bestätigung gesucht. „Kennt mich noch jemand? Ich bin’s doch, Kane von ‚The Boyz‘!“ Auf der anderen Seite war ich so klar, dass ich mein letztes Geld in ein Tonstudio investiert habe. Ich habe unter der Woche megaviel gearbeitet und jeden Job angenommen. Wenn jemand ein Lied für eine Geburtstagsparty aufnehmen wollte, konnte er zu mir kommen. Die Medien haben damals oft geschrieben, dass mich meine Exfrau gerettet hätte. Aber das war völlig überzogen. Unter der Woche habe ich meine Arbeit gemacht und am Wochenende dann eben Bestätigung gesucht.
Das brauchen Sie heute nach Ihrer musikalischen Erfolgsgeschichte wohl nicht mehr. Vor Ihrer Solo-Karriere sind Sie mit „Ich + Ich“ durchgestartet. Wäre ein Comeback denkbar?
Ich weiß nicht, ob Annette das nochmal machen würde. Irgendwann will man sich auch einmal zur Ruhe setzen.
Das zweite „Ich“ von „Ich + Ich“ war Annette Humpe, die 28 Jahre älter ist als Sie. Ungewöhnlich.
Genau wie meine Mama ...
Wo sind Sie einander begegnet?
Annette hat zu der Zeit in Hamburg gelebt und kam nach Berlin, um neue Musik zu machen und neue Leute kennenzulernen. Jemand hat sie zu mir ins Tonstudio mitgebracht und ich dachte mir bei der ersten Begegnung: „Wow, eine interessante Frau.“
Was hat Sie fasziniert?
Ihr Art. Sie ist sehr straight, eine starke Persönlichkeit, aber gleichzeitig auch liebevoll. Sie hatte auch einen großen Erfahrungsschatz – es hat irgendwie gepasst. Es ist wie mit der Liebe. Jemanden zu finden, mit dem man musikalisch so harmoniert ... wir haben gemerkt, das connected irgendwie.
Warum sind Sie seit 2012 solo unterwegs?
Na ja, eher aus der Not heraus. Ich habe „Ich + Ich“ schon sehr geliebt. Wir waren so unglaublich erfolgreich und konnten es selber gar nicht glauben. Aber nach dem dritten Album hat uns die Idee für ein weiteres Projekt gefehlt, die zündende Vision. Nachdem wir kein Album mehr gemacht haben, hat die Plattenfirma gefragt: „Was ist mit dir?“ Alleine zu arbeiten ist auch spannend, aber ich vermisse „Ich + Ich“ immer wieder mal, nach wie vor. Annette vermisse ich nicht, weil ich sie zum Glück oft sehe.
Zumindest bleiben Ihnen nach dem Ende von „Ich + Ich“ Fragen wie „Wer von Ihnen beiden ist Ich und wer ist Ich?“ erspart.
Genau so ist es. Ich bin Adel Tawil und das macht auch Spaß. Aber ab und zu denke ich an meine Annette, weil wir doch schöne Zeiten hatten.
Ich habe übrigens nachgesehen: Ihr ganzer Name lautet Adel Salah Mahmoud Eid El-Tawil. Was hat’s mit dem langen Namen auf sich?
Das ist eine Anlehnung an die Pharaonenzeit. Zuerst kommt mein Name, dann der meines Vaters, Großvaters und Urgroßvaters – und der Familienname. In der ägyptischen Kultur heißt es beim Erstgeborenen: ‚Der Thronfolger ist geboren‘. Dann kriegt man diesen adeligen Namen. Ich bin froh, dass ich Adel heiße. Der Name ist für alle gut auszusprechen, das hat mir wirklich geholfen. Adel ist auch ein bekanntes deutsches Wort. Ich bin froh, dass ich nicht Salah heiße, wie mein Vater (Anm.: das ‚h‘ wird ausgesprochen wie das charmante Tiroler ‚ch‘).
Das klingt wie Salat.
Da haben Sie recht. Deshalb freue ich mich, dass ich meinen Namen abbekommen habe.
Man hätte auch Ihrer Mutter im Namen ein Denkmal setzen können. Immerhin hatte sie bei Ihrer Geburt die Hauptarbeit.
Das habe ich noch nie so gesehen. Aber es stimmt, eigentlich müsste man die Namen von Vater, Mutter und Großeltern abwechseln. Die Gesellschaft in Ägypten ist noch sehr männerdominiert.
Wie ist das in Ihrer Familie?
In meiner Familie gibt es das nicht. Nach außen hin steht natürlich der Mann im Vordergrund, aber in Wahrheit sind meine Tanten die Chefs und der Mann hat wenig zu melden. Worauf ich stolz bin, ist, dass meine jüngeren Cousins und Cousinen in Nordafrika alle studieren, selbst wenn sie Kinder haben. Sie heiraten im Gegensatz zu Deutschland und Österreich noch sehr früh, aber wenn die Mutter auf die Uni geht, passt die Nanny auf das Kind auf. Aber meine Familie ist da nicht repräsentativ. Die sind gebildet und das hast du in diesen Ländern nicht immer. Bildung ist der Schlüssel.
Das ist auch die Angst, die Europäer in Bezug auf Flüchtlinge haben. Viele Flüchtlinge brauchen laut Statistik keinen Deutsch-, sondern einen Alphabetisierungskurs.
Absolut, es geht überhaupt um den menschlichen Umgang miteinander. Das wirkliche Problem sind die, die keine Bildung haben. Da muss die Politik echt Weichen stellen. Andererseits wurden all diese Anschläge nicht von Analphabeten durchgeführt. Das hat mich so erschreckt. Tunesien, das Heimatland meiner Mutter, galt immer als locker und liberal. Ich war lange nicht mehr dort, aber es muss so eine schlechte Stimmung sein unter den Jugendlichen, dass die gar keine Perspektive mehr haben und zu solchen Dingen fähig sind. In Frankreich sind das oft Kids aus den Banlieues, in Barcelona waren es Jugendliche, die in Spanien aufgewachsen sind – so wie ich in Berlin aufgewachsen bin. Da muss richtig was schiefgegangen sein.
Dabei sind wir alle „Vom selben Stern“. Lassen Sie uns vor der Realität in die Musik fliehen. Sie kommen mit der neuen Tournee nach Österreich ...
Wir starten in Graz und kommen auch nach Linz und Wien. In Linz war ich schon lange nicht mehr und Wien liebe ich sowieso. Es hat ein eigenes Flair. Ich mag diesen Wiener Schick, der manchmal auch ein bisschen überzogen ist.
Und wenn Sie nach der Tour nachhause kommen: Ist da jemand?
Da ist doch immer jemand, irgendwie. Ich habe ganz viel Liebe in meinem Leben. Das ist das Wichtigste.
Von "Ich + Ich" zu ihm
Adel Tawil, 39, wurde 1978 als ältestes von drei Kindern nordafrikanischer Einwanderer in Berlin geboren. Durch seine musikaffinen Eltern kam er früh mit Musik in Berührung und verließ die Schule, mit einem Plattenvertrag in der Tasche, als er 16 war. Als Mitglied der Band „The Boyz“ feierte er erste Erfolge, bekannt wurde er durch seine Zusammenarbeit mit der Musikerin Annette Humpe und „Ich + Ich“. Das zweite Album des Duos „Vom selben Stern“ ist das erfolgreichste deutsche Popalbum der Gegenwart. Seit 2012 ist Tawil als Künstler solo unterwegs – derzeit auch privat. Nach 13 Jahren hat er sich 2014 von seiner Frau Jasmin Tawil getrennt. 2016 brach er sich bei einem Sprung in einen Pool vier Mal den ersten Halswirbel, wovon er sich zum Glück erholt hat. „Nur abnehmen muss ich ein bisschen.“
Info: Adel Tawil startet die Tour zu seinem neuen Album „So schön anders“ am 27. 10. in Graz, kommt am 28. 10. nach Wien und am 29. 10. nach Linz.
Karten unter: www.oeticket.com oder www.wien-ticket.at
Kommentare