Wie ein Österreicher den polnischen Skisprung-Stars zu WM-Gold verhalf

Thomas Thurnbichler erlebt seine erste Saison als Cheftrainer der Polen.
Kann man Adam Malysz einen Wunsch abschlagen? Ziemt sich das in Skisprungkreisen? Diese Frage stellte sich Thomas Thurnbichler vor knapp einem Jahr. Er war damals gerade 32, angesehener und ambitionierter Assistenztrainer beim ÖSV und hatte sich mit Sportdirektor Mario Stecher per Handschlag bereits auf eine Vertragsverlängerung verständigt.
Und dann stand plötzlich Adam Malysz vor ihm, einst der berühmteste fliegende Schnauzbart der Welt und mittlerweile Präsident des polnischen Skiverbandes und unterbreitete Thomas Thurnbichler ein Angebot, das er einfach nicht ausschlagen konnte.
"Wie oft kriegst du schon die Chance, Cheftrainer in Polen zu werden“, sinniert der Tiroler, "für mich war es der richtige Schritt. Als Trainer und als Mensch.“

Neustart
Im skisprungverrückten Polen fliegen sie jedenfalls auf den jungen Trainer. Nach einem ernüchternden Olympia-Winter, in dem der beste polnische Springer im Weltcup nur auf Platz 14 zu finden war, ist es Thurnbichler in kürzester Zeit gelungen, das Team in andere Sphären zu heben. Dawid Kubacki gewann fünf Saisonspringen und ist im Gesamtweltcup an zweiter Stelle, Piotr Zyla sprang auf der Normalschanze in Planica zu WM-Gold und verzückte mit seiner erfolgreichen Titelverteidigung die ganze Nation.
Diese Höhenflüge sind alles andere als selbstverständlich. Thurnbichler hat es in Polen mit Athleten zu tun, die teilweise um einiges älter sind als er, Weltmeister Piotr Zyla hat etwa bereits 36 Jahre auf dem Buckel. Trotzdem ortete der junge Fluglotse aus Tirol nie ein Autoritätsproblem.
"Der Vorteil war: Alle haben gewusst, dass sich nach dem letzten Winter etwas ändern muss. Deswegen war es gar nicht so schwierig, alte Bewegungsmuster aufzubrechen und eine neue Philosophie des Skispringens einzuführen", sagt Thurnbichler. "Heute sieht man, dass Leute wie Dawid Kubacki oder Piotr Zyla anders springen."
Abgesehen davon war dem Tiroler ja in Skisprungkreisen ein gewisser Ruf vorausgeeilt. Thurnbichler gilt seit Jahren als größte heimische Traineraktie, und es wäre ein Fehler, ihn voreilig nur auf seine Lebensjahre zu reduzieren.
Hype
Thurnbichler hat sich über die Jahre einen großen Erfahrungsschatz als Trainer angeeignet, seit er seine Skisprung-Karriere vorzeitig beendet hatte. In den Hochzeiten der ÖSV-Superadler waren etliche Talente auf der Strecke geblieben, Thurnbichler hat zwei Siege im Kontinentalcup zu Buche stehen. "Für meine Trainerkarriere war es sicher ein Vorteil, dass ich als Springer nicht durchgestartet bin", sagt Thomas Thurnbichler heute. "So habe ich eine fundierte Ausbildung machen können."

Der 33-Jährige war also gut vorbereitet und gerüstet für sein erstes Amt als Cheftrainer. Nur mit einem hatte Thomas Thurnbichler nicht gerechnet: Mit der Skisprung-Hysterie in Polen. "Mir war nicht klar, dass Skispringen so einen Stellenwert hat und dass so ein Interesse ist. Was ein österreichischer Trainer an Medienarbeit bei der Tournee leisten muss, das mach’ ich das gesamte Jahr über."
Das Erbe von Anton Innauer ist quer über den Globus verteilt. Als langjähriger Sportdirektor der ÖSV-Springer war der Vorarlberger seinerzeit nicht nur der Übervater der österreichischen Superadler rund um Thomas Morgenstern, Gregor Schlierenzauer & Co., er formte und prägte auch eine Generation von Trainern, die seither den anderen Nationen auf die Sprünge geholfen hat.
Alexander Stöckl etwa geht mittlerweile bereits als halber Norweger durch. Der 49-jährige Tiroler hatte sich als Coach im Skigymnasium Stams einen Namen gemacht und bekleidet seit 2011 das Amt des norwegischen Cheftrainers. In diesem langen Zeitraum haben Stöckls Springer sämtliche Trophäen gewonnen, die es in diesem Sport zu gewinnen gibt.
Auch in Deutschland setzt man seit einer halben Ewigkeit ausschließlich auf österreichisches Trainer-Know-how. Der Tiroler Stefan Horngacher löste im Jahr 2019 den Vorarlberger Werner Schuster ab, der zuvor eine Erfolgsära geprägt hatte.
Auch die deutschen Kombinierer vertrauen auf die Expertise made in Austria: Heinz Kuttin, der nach seiner Tätigkeit als ÖSV-Cheftrainer in China Entwicklungshilfe geleistet hat, ist seit 2020 im Amt.
Der Vorarlberger Richard Schallert, einst beim ÖSV Assistent von Toni Innauer, fungiert als Coach und Berater des japanischen Starspringers Ryoyu Kobayashi.
Der Kärntner Janko Zwitter wiederum kümmert sich um das kleine kanadische Frauen-Team, das 2022 in Peking überraschend die Bronzemedaille im Mixed-Teambewerb bejubeln durfte.
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