Daniel Tschofenig dominierte im vergangenen Winter das Skispringen und gewann den Gesamtweltcup un die Vierschanzentournee
Der Gesamtweltcupsieger erklärt, warum Selbstzweifel für einen Sportler wichtig sind, weshalb er seinen Perfektionismus abgelegt hat und wie das neue Leben als Star ist.
Daniel Tschofenig, 23, hat sich die Bodenhaftung bewahrt. Der Überflieger des letzten Winters lebt noch immer in Innsbruck in einer WG mit seinem Skispringerkollegen Niklas Bachlinger, in der Kraftkammer des Landessportheims trainiert der Skisprungstar oft Seite an Seite mit jüngeren Athleten und steht dem Nachwuchs mit Rat und Tat zur Seite.
Vor einer Woche absolvierte der Weltcup-Gesamtsieger und Gewinner der Vierschanzentournee seine ersten Sprünge seit dem erfolgreichen Winter.
KURIER:Wie leicht bzw. schwer fällt nach einer so grandiosen Saison der Start in die Vorbereitung?
Daniel Tschofenig: Ich bin zum Glück in kein Loch gefallen. Man hört ja doch immer wieder von Athleten, die nach einer erfolgreichen Saison eine gewisse Leere verspüren oder gar in ein Loch fallen. Gleich wieder die große Motivation zu finden, ist dann aber schon wieder ein anderes Thema.
Warum das?
Vor der letzten Saison habe ich gewusst, dass ich den nächsten Schritt als Skispringer machen muss. Ich hatte mir zum Ziel gesetzt, dass ich endlich einmal ein Springen gewinne. Jetzt ist die Situation eine andere: Ich bin dort angelangt, wo ich immer hinwollte. Für mich war’s sehr wichtig, dass ich nach der Saison einen Monat nicht da war und so einen Abstand finden konnte.
Sie waren in den USA und bei Ihrer Freundin in Kanada.
Und diese Distanz hat mir gutgetan. Ich wohne in Innsbruck und sehe jeden Tag den Bergisel, da kommst du gedanklich nie ganz weg vom Skispringen. In Nordamerika siehst du weit und breit keine Schanze, die Leute kennen dich nicht, das ist wirklich angenehm. Nach der Saison hatte ich längere Zeit keine Lust aufs Skispringen. Im Winter ist so viel passiert, es war eine sehr intensive Zeit.
Hatten Sie während der letzten Saison überhaupt die Gelegenheit, Ihre Erfolge zu realisieren und richtig zu genießen?
Dafür war praktisch keine Zeit. Du bist während der Saison in einem Radl, es geht Wettkampf auf Wettkampf. Jetzt kommen die Erinnerungen daher, wenn ich mir zum Beispiel Videos ansehe. Ich habe erst mit dem Abstand kapiert, was passiert ist und was ich geleistet habe.
Was verspüren Sie dabei: Genugtuung? Stolz? Freude?
Es erfüllt mich vor allem mit Stolz. Als Skispringer stehen für mich der Gesamtweltcup und die Tournee über allem. WM- oder Olympiagold kann man irgendwie gewinnen. Dazu reichen, blöd gesagt, ein guter Tag und ein bisschen Windglück. Bei der Tournee und dem Gesamtweltcup geht sich das so nicht aus. Am meisten freut mich die Art und Weise, wie ich es über die ganze Saison durchgezogen habe. Ich hatte keinen echten Leistungseinbruch.
Sie haben acht Saisonspringen gewonnen, ein 15. Rang war Ihre schlechteste Platzierung.
Der erste Weltcupsieg hat mich extrem gefreut, aber mir war auch schnell klar: Wenn ich jetzt nichts mehr gewinnen sollte und es der einzige Sieg bleibt, dann redet jeder vom One-Hit-Wonder. Und das wollte ich natürlich nicht sein.
Sie galten immer schon als hochbegabt. Was war denn ausschlaggebend für die Leistungsexplosion?
Viele meinen, dass ich reifer geworden wäre. Ich selbst kann es nicht an einem Punkt festmachen. So blöd es vielleicht klingt: Aber die Verletzung im letzten Sommer war sicher kein Nachteil.
Das müssen Sie jetzt aber erklären.
Durch die Verletzung habe ich eine ganz andere Blickweise auf den Sport bekommen. Ich war zweieinhalb Monate aus dem Skispringen draußen, das hat vieles relativiert. Ich bin mit weniger Erwartungen in die Saison gegangen und war viel gelassener. Der erste Sieg hat mich richtig beflügelt.
Vorher fragst du dich permanent: Kann ich das überhaupt schaffen? Werde ich jemals ein Springen gewinnen? Und dann hast du endlich die Bestätigung und dir wird klar: Der Einzige, der dir im Weg steht, bist du selbst. Ich habe gemerkt: Es hindert mich eigentlich nichts daran, zu gewinnen. Und die ganzen Fragezeichen, die du davor im Kopf hattest, sind mit einem Schlag weg.
Das heißt, Sie hatten zwischendurch Selbstzweifel?
Definitiv. Ohne Selbstzweifel kommt man im Sport nicht weiter. Wenn du immer sagst, du bist der Beste und du kannst eh alles gewinnen, dann gibt es ja nichts mehr, an dem du arbeiten kannst. Deshalb sind Selbstzweifel wichtig, wenn man besser werden möchte.
Sie sind auch bekannt dafür, sehr selbstkritisch zu sein.
Ich hatte immer eine sehr hohe Erwartungshaltung an mich selbst. Das war nicht immer förderlich und gut. Früher wollte ich alles perfekt machen. Inzwischen fixiere ich mich nicht mehr so drauf. Ich habe festgestellt, dass ich Fehler machen darf. Oft entstehen sogar aus Fehlern neue Dinge und man entwickelt sich weiter. Ich bin heute viel offener für Fehler. Das ist eine Entwicklung, die wohl jeder junge Sportler durchlaufen muss.
Beflügeln die Erfolge nur, oder lastet jetzt auch ein anderer Druck auf Ihnen?
Die Erwartungshaltung der anderen ist mir, ehrlich gesagt, wurscht. Ich mach’s ja in erster Linie für mich. Was ich erreicht habe, kann mir keiner mehr nehmen. Das steht schwarz auf weiß in den Geschichtsbüchern. Natürlich will ich wieder dorthin, wo ich letzten Winter war. Aber Druck mache ich mir deshalb keinen: Ich weiß: Wenn ich meine Topsprünge abrufe, dann gibt es nur wenige, die mit mir mithalten können.
Die größten Konkurrenten kommen ohnehin aus dem eigenen Team. Wie schwierig ist es, wenn es in einer Mannschaft mehrere Alphatiere gibt? Natürlich ist es nicht immer nur ein Vorteil, wenn du so starke Teamkollegen hast. Blöd gesagt: Ohne Stefan Kraft hätten viele in unserer Mannschaft heute bereits mehr Siege. Grundsätzlich nimmt ein starkes Team aber schon viel Druck weg. Ich habe gewusst: Wenn ich die Tournee nicht gewinnen sollte, dann gewinnt sie eben ein anderer Österreicher. Für Stefan Kraft war das in der Vergangenheit sicher schwieriger, weil er hat es oft alleine richten müssen. Mittlerweile haben wir ein so starkes Team, dass keiner von uns sicher sagen kann, ob er bei Olympia überhaupt dabei sein wird.
Sind Sie als Gesamtweltcupsieger und Tourneesieger denn so etwas wie der neue sportliche Leader im ÖSV-Team?
Es gibt keine echte Hierarchie in unserem Team, aber natürlich gibt Stefan Kraft oft die Richtung vor. Er hat die Erfahrung, er hat die Erfolge und ist schon deshalb glaubwürdig. Der weiß schon, wovon er redet, deswegen hören wir auch auf ihn. Ich kann mich heute sicher anders einbringen ins Team und finde mehr Gehör als früher.
Was hat der Erfolg sonst noch mit Ihnen gemacht?
Ich habe mich vor allem als Persönlichkeit sehr weiterentwickelt. Viele sagen ja, dass man aus einer schlechten Saison viel mehr lernt und mitnimmt, als aus einer guten. Das kann ich so nicht bestätigen. Ich habe deutlich mehr gelernt, nicht nur als Skispringer, sondern im Rundherum. Die Arbeit mit den Medien, die öffentliche Wahrnehmung, und, und, und.
Sie sind jetzt ein bekanntes Gesicht.
Ich merke jedenfalls einen deutlichen Unterschied gegenüber dem letzten Jahr. Früher bin ich fast nur angesprochen worden, wenn ich in einem offiziellen Outfit unterwegs war. Jetzt fangen die Leute plötzlich zu reden an, wenn sie mich sehen. Ganz extrem war es nach der Vierschanzentournee: Da hat mich in Innsbruck fast jeder erkannt, daran sieht man den Stellenwert des Wintersports in Österreich. Das war eine neue Erfahrung und daran muss ich mich erst gewöhnen. Es ist aber okay so, es zeigt mir nämlich, dass ich etwas erreicht habe.
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