Schweizer fragen sich: War Mundart gegenüber ORF-Sehern respektlos?
Was Deutschland und Österreich trennt, ist die gemeinsame Sprache. Diese Bemerkung von Karl Kraus gilt aber nicht für Österreicher und Schweizer. Denn die von rund 4,9 Millionen Deutschschweizern gesprochene Mundart und das österreichische Deutsch haben oft wenig gemein.
Dass die Schweizer Erfolgsläuferin Corinne Suter dies ausgerechnet im ORF unter Beweis stellte, hat nun bei den Nachbarn eine skurrile Debatte ausgelöst. Schließlich war die zweifache WM-Medaillengewinnerin der nach der Damen-Abfahrt am Sonntag sowohl im Zielraum als auch im ORF-WM-Studio auf Schweizerdeutsch Rede und Antwort gestanden. Schweizer Medien fragen nun: Ist das legitim oder respektlos von Suter gegenüber den österreichischen Fernsehzuschauern?
Die Schweizer Boulevardzeitung 20 Minuten hat sogar zwei Linguisten zur Mundart-Causa befragt. "In einem privaten Gespräch hätte sie mit ihrem Gegenüber wohl Hochdeutsch gesprochen", übte die Germanistin Helen Christen Kritik an Suter. "In Mundart können wir uns viel klarer, verständlicher und emotionaler ausdrücken", sprang der Schweizer Dialektspezialist Christian Schmid der Skifahrerin hingegen zur Seite.
"Verkrampfung" bei Hochdeutsch
Dazu muss man wissen: Im Alltag gilt Hochdeutsch vielen Schweizern oft als umständlich und mühevoll. Die Deutschschweizer würden sich dabei "unwohl fühlen, sich verkrampfen und ihren Schweizer Akzent in der Schriftsprache als störend empfinden – vor allem im Gespräch mit Deutschen", beschreibt das Boulevardblatt 20 Minuten ein fast schon körperliches Unbehagen.
Suter selbst, die aus Schweden mit Bronze im Super-G und Silber in der Abfahrt zurückkehrte, wurde in der Schweiz schon zum Thema befragt. Warum sie im österreichischen Fernsehen lieber in ihrem alemannischen Dialekt antworten wollte? "Ich habe vor dem Interview gefragt, ob ich auf Schwyzerdütsch antworten kann und sie fanden es kein großes Problem", erzählte die 24-Jährige aus dem Kanton Schwyz. Sie habe sich auf diese Weise wohler gefühlt. "Ich finde es auch immer etwas speziell, wenn Schweizer Hochdeutsch sprechen, denn es tönt schon etwas künstlich."
ORF-Gastgeber Ernst Hausleitner gab sich schon am Sonntag jedenfalls große Mühe, die Sprachunterschiede zu moderieren. Suter habe ihn gebeten, das Interview auf Schwyzerdütsch geben zu dürfen, und er habe um eine "moderate" Variante ersucht, begann er das Gespräch.
Die Verständlichkeit der Antworten war dann ähnlich wechselhaft wie das Wetter in Åre. "Ich habe versucht, megalocker Ski zu fahren", replizierte die junge Schweizerin auf eine der Fragen beispielsweise leicht verständlich. Angesprochen auf ihren "wilden" Lauf in der Abfahrt und eine frühere bedrohliche Blutvergiftung blieb aber manches im Dunkeln.
"Nahezu politische Diskussion"
Als Hausleitner die große Diskussion in der Schweiz um Suters ORF-Auftritte mitbekam, ritt er am Dienstag auf Instagram sogar zur Verteidigung aus: Er habe ihrem Wunsch, auf Schweizerdeutsch zu sprechen, gerne zugestimmt, "weil ich wollte, dass sich Corinne wohlfühlt". Sie habe das Schweizer Ski-Team "in einer wunderbar sympathischen, herzlichen, offenen Art vertreten" vertreten. Eine "nahezu politische Diskussion" halte er für "überflüssig".
Beim ORF hat es, wie der KURIER erfuhr, keine Rückmeldung wegen Suters Dialekt-Auftritten gegeben, sprich auch keine verärgerte Reaktion. Die Österreicher sehen die Sache unaufgeregter. Es ist wohl nicht nur die Sprache, die Österreicher und Schweizer trennt.
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