Es ist gar nicht so einfach, Monsieur für ein Interview zu bekommen. Denn Luc Alphand ist ein Hansdampf in allen Gassen: ein Selfie hier, ein Autogramm dort, ein paar nette Worte da – der 54-jährige Franzose hat alle Hände voll zu tun und schließlich doch Zeit. Und so verläuft auch das Gespräch mit dem letzten Speedspezialisten, der den Gesamtweltcup nur mit Punkten in zwei Disziplinen gewonnen hat, turbulent.
KURIER: Kann sich so eine Geschichte wie Ihre jemals wiederholen, nur mit Abfahrt und Super-G die große Kristallkugel zu holen?
Luc Alphand: Ich glaube nicht. Zumal meine Zielsetzung damals ja eine ganz andere war.
Nämlich?
Eigentlich wollte ich 1996/’97 nur die Abfahrtskugel gewinnen und dann auch noch jene für den Super-G mit meinem damals neuen italienischen Trainer Mauro Cornaz. Ich hatte Glück: Ich war exzellent in beiden Disziplinen, und die Form meiner norwegischen Hauptrivalen Lasse Kjus und Kjetil André Aamodt war nicht die beste.
Ohne Glück kann man die große Kugel nicht gewinnen?
Ich bin stolz, die Dynastie der Abfahrer zu repräsentieren. Schauen wir auf den letzten Winter: Da hat Dominik Paris so viel gewonnen, aber dann steht da auf der Technik-Seite einer wie Marcel Hirscher, ein unglaubliches Genie, was Technik, Physis und vor allem die Analyse angeht. Wie er sich auf alle Situationen einstellen konnte, unglaublich. Das ist ja das Problem von Alexis Pinturault: Er täuscht sich oft bei der Analyse. Nehmen wir das Wochenende von Beaver Creek: Im Super-G war er Vierter, das ist super. Und dann landet er im Riesenslalom auf Platz 17. Das ist nicht so sehr ein Problem der Nerven, sondern eines der Adaption auf die Bedingungen, glaube ich.
Du darfst nicht zu überlegen anfangen und an die Kugel denken. Es ist doch so: Wenn einer zu gewinnen anfängt, wird’s interessant. Dominik Paris hat im letzten Winter zu spät damit angefangen, da war Beat Feuz schon weit weg, und außerdem ist Feuz immer wieder aufs Podest gefahren. Vincent Kriechmayr fährt sehr gut, es gibt in diesem Winter drei Kombinationen, vielleicht gelingt ihm auch etwas in den Parallelrennen. Es wird dennoch schwierig gegen Alexis Pinturault und Henrik Kristoffersen. Das Problem bei Alexis: Wenn du die große Kugel willst, dürfen deine Leistungen nicht so im Jo-jo-Stil daherkommen wie bei ihm in Beaver Creek und Levi.
1997 haben Sie mit dem Skifahren aufgehört und ein Jahr später schon die Klasse T1 bei der Rallye Dakar gewonnen. 2006 waren Sie mit Gilles Piccard sogar Gesamtsieger. 2020 wird der Bewerb nun von Südamerika nach Saudi-Arabien verlegt. Eine gute Entscheidung?
Für den Rallyesport: ja. Die Etappen, die Umgebung, die Sonderprüfungen werden ganz anders sein als in den letzten Jahren. Mehr Platz, mehr Sand, und es wird wieder viel mehr auf die Navigation ankommen wie früher in Afrika. Es wird lange Etappen geben, Übernachtungen in Biwaks und nicht in Hotels. Es geht zurück zu den Wurzeln. Das Terrain ist perfekt, der Rest diskutabel.
Sie meinen die Politik.
Ja. Politisch ist die Situation sehr kompliziert, das ist klar. Aber ich glaube, dass sich das Land öffnen will. Dafür sprechen die jüngsten Entwicklungen: Frauen dürfen alleine in Cafés, in denen sich Männer befinden. Sie dürfen die gleichen Eingänge nutzen. Das hat es noch nie gegeben.
Der Sport hat inzwischen viele heikle Veranstaltungen. Siehe Olympia in China.
Es gibt ja auch praktisch keine Kandidaten mehr. Nehmen wir die Winterspiele 2022: Da war neben China noch Almaty im Rennen. Ich wäre sogar für die Kasachen gewesen, denn das ist eine wunderschöne Region, die man entwickeln kann. Und ich liebe es, Länder neu zu entdecken. Die Abfahrtspiste in China ist halt mitten in der Wüste... Oh, ’allo! Was tun?
Alphand springt auf, um den ehemaligen Slalomspezialisten Sébastien Amiez zu begrüßen (WM-Silber 1997, Olympia-Silber 2002). „Was tun, was tun?“ Alphand sagt oft „Was tun“, wenn er seine früheren Kollegen trifft. Und er lacht.
Der Rallye folgte die Etappe Hochsee-Segeln.
Drei Jahre lang. In der ersten Saison, 2011, war unser Boot nicht so toll. Danach sind wir mit der Hydroptère gesegelt (einem 60-Fuß-Trimaran, Anm.), das war ein tolles Boot. Wir haben 40, 50 Knoten erreicht (bis zu 93 km/h Anm.), sind zwar keine Rennen gefahren, aber wir haben 2012 den Rekord für die Pazifik-Südüberquerung versucht – sind aber am fehlenden Wind und Geld gescheitert. Danach habe ich versucht, ein 50-Fuß-Projekt auf die Beine zu stellen, aber wir haben nicht genug Sponsoren gefunden.
Fad ist Ihnen nicht.
Ich habe gar keine Zeit für Langeweile. Ich arbeite für France TV, für Red Bull, Bogner, Mini und andere, ich habe viele Partner, ein Hotel in Serre-Chevalier und Sportgeschäfte ... Ich habe keinen Beruf gelernt, aber ich mache sechs Jobs (lacht).
Und die nächste Generation der Alphands ist auch längst auf der Piste.
Nils ist 23 und hat bei der Junioren-WM 2017 in Åre den Super-G gewonnen. Sam ist 22 und der Talentierteste von allen. Auch Estelle, die ja nach den Differenzen mit dem französischen Verband für Schweden fährt, hat ein Riesenpotenzial. Durch all die Verletzungen, die sie mit ihren 24 Jahren schon hatte, ist es aber schwierig.
Und Sie beraten Ihre Kinder?
Ich war nie Trainer, und daheim reden wir nicht viel über den Skisport. Ich finde, sie müssen ihre Erfahrungen machen und ihr eigenes Leben leben. Hey, was tun?
Claudia Riegler taucht am Tisch auf. Die Wahl-Neuseeländerin aus Salzburg ist mit Antoine Dénériaz (2006 Olympiasieger in der Abfahrt) verheiratet, sie leben mit ihren Burschen nahe Annecy. Riegler ist unter anderem Beraterin des neuseeländischen Riesentalents Alice Robinson und arbeitet neuerdings auch für Atomic, das auf dem französischen Markt wachsen will.
Kommen wir noch zum Skisport und den Verletzungen. Gehören die einfach dazu?
Sie haben alles versucht, die Radien der Skier verändert, die Breite, aber Verletzte hat es immer gegeben. Mit den Riesenslalom-Skiern mit den weiten Radien hatten viele Rückenprobleme. Und die kurzen Radien, wie sie die Herren jetzt wieder haben, gehen auf die Knie. Ich weiß auch keine Lösung. Zumal es ja so ist: Fast jede schwere Verletzung hat andere Ursachen. Und so wird es weiter verletzte Skifahrer geben.
Zur Person: Zu Lande, zu Wasser und auf der Jagd
Luc Alphand, geboren am 6. August 1965 in Briançon, ist in der Skistation Serre-Chevalier aufgewachsen und seit 1992 mit der Schwedin Anna-Karin verheiratet. 1984 kam der Sohn zweier Skilehrer in den alpinen Skiweltcup, von 1995 bis 1997 gewann er stets die kleine Kristallkugel in der Abfahrt, 1997 auch jene im Super-G und dazu den Gesamtweltcup – als erster und einziger Speedspezialist mit nur zwei Disziplinen. Insgesamt erreichte der Franzose zwölf Weltcupsiege (drei davon allein in der Abfahrt von Kitzbühel!) und insgesamt 23 Podestplätze.
Nach seinem Umstieg in die Rallye-Szene gewann Luc Alphand 2006 die Gesamtwertung der Rallye Dakar, er fuhr zudem von 2001 bis 2009 bei den 24 Stunden von Le Mans. Im Juni 2009 landete er nach einem Sturz bei einer Motorrad-Rallye in der Auvergne mit drei gebrochenen Wirbeln im Spital: „Ich hätte im Rollstuhl sitzen können, aber sie haben mich wieder gut hinbekommen.“
Der dreijährige Abstecher zum Hochseesegeln endete ohne große Erfolge.
Im Herbst 2016 kamen Bilder an die Öffentlichkeit, die den leidenschaftlichen Jäger mit erlegten Tieren zeigten. Daraufhin kam es zu einem Shitstorm und sogar Morddrohungen gegen die Familie. Serre-Chevalier nahm die Benennung einer Skipiste und eines Mountainbike-Kurses nach Luc Alphand zurück. Im Frühjahr 2018 übersiedelte die Familie entnervt nach Andorra. Inzwischen hat sich der Sturm der Entrüstung gelegt, Alphand blieb aber in Andorra.
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