Weltmeisterin Venier: Warum sich die "Tante Gucci" mit einer Handtasche beschenkt

Wenn einander gestandene Trainer in den Armen liegen und heulen; wenn die Präsidentin mit den Worten ringt und ihren Tränen freien Lauf lässt. Wenn zwei Stunden nach dem Rennen die Tribünen noch immer gerammelt voll sind und viele inbrünstig und mit feuchten Augen die österreichische Hymne singen ...

Dann, ja dann kann man in etwa erahnen, welchen Glanz die Goldmedaille von Stephanie Venier im Super-G haben muss. „Jeder sagt mir, ich hätte die gesamte Ski-Nation erlöst“, erzählt die Weltmeisterin aus Oberperfuss im Tiroler Inntal.
Der Begriff Erlösung ist jetzt vielleicht ein bisschen gar hoch gegriffen, aber zumindest die Erleichterung und die Ekstase sind allerorts spürbar nach dem kitschig-schönen Start in die Heim-Weltmeisterschaft.

1.447 Tage ohne Gold
So viel kann für das Gastgeber-Team in Saalbach-Hinterglemm nun gar nicht mehr schiefgehen, jetzt, wo Österreich bei dieser Weltmeisterschaft schon mehr Goldmedaillen gewonnen hat als 2023 in Courchevel-Meribel, als es im Medaillenspiegel nur zu Platz acht gereicht hatte. Nach exakt 1.447 Tagen (Katharina Liensberger im Slalom) stellt der ÖSV wieder eine Weltmeisterin.
Verantwortlich für diesen Bilderbuchstart ist eine Frau, die den größten Erfolg ihrer Laufbahn beinahe verpasst hätte. Nicht nur einmal hatte Stephanie Venier mit dem Gedanken gespielt, alles hinzuschmeißen und dem Rennläuferinnen-Leben Adieu zu sagen. „Es ist kein Geheimnis, dass ich schon ans Aufhören gedacht habe“, sagt die 31-Jährige. „Hinterherfahren ist ja nicht lustig.“
In der Karriere der Abfahrerin war es lange Zeit steil bergauf gegangen. Als die Tirolerin 2017 im Alter von 23 Jahren WM-Silber in der Abfahrt gewann, schien ein neuer rot-weiß-roter Alpinstern aufgegangen zu sein. Doch so rasant sollte es mit der Speedläuferin nicht weiter gehen.
In den Saisonen 2020/’21 und 2021/’22 schaffte es Venier gerade noch einmal in die Top Ten, die Olympischen Spiele 2022 in Peking erlebte sie nur als Zuschauerin.
Wertvoller Ratgeber
Erst vor zwei Jahren kam Stephanie Venier wieder in Schwung, und diese Entwicklung fällt zeitlich zusammen mit dem Partner, den sie an ihrer Seite hat. Christian Walder, selbst ein Speedläufer mit Weltcup-Erfahrung, begleitet die Tirolerin zu vielen Rennen und ist Ratgeber und Seelentröster in einem.
„Er gibt mir Tipps, wie ich gewisse Passagen zu fahren habe“, sagt Venier. „Da ist er die Person, der ich, neben meinen Trainern natürlich, am meisten vertraue. Ich geb’ ihn nicht mehr her.“
Christian Walder war natürlich auch am Donnerstag dabei, als Venier unruhig und hippelig am Start stand. „Bei meiner Silbermedaille 2017 hatte ich noch den jugendlichen Leichtsinn. Jetzt bin ich reifer, aber scheinbar nervöser als damals. Ich habe so schlecht geschlafen und gefühlt keine Minute ein Auge zugebracht.“

Tante Gucci
Dafür präsentierte sich Venier dann auf dem Super-G-Kurs hellwach und schnappte Topfavoritin Federica Brignone (ITA), die nach ihrer Fahrt schon siegessicher gejubelt hatte, noch überraschend die Goldmedaille weg. Es war ein geschichtsträchtiger Sieg: Die 31-Jährige ist nun die älteste Super-G-Weltmeisterin.
Allzu lange und oft wird sich Stephanie Venier auch nicht mehr über die Abfahrtspisten stürzen. Die Tirolerin ist ein Familienmensch, das Karriereende rückt immer näher. „Ewig werde ich nicht mehr fahren“, sagte sie dieser Tage erst der Kleinen Zeitung.
Für den größten Triumph ihrer Karriere wird sich Tante Gucci, wie Venier wegen ihres Faibles für Handtaschen auch genannt wird, vermutlich mit einer neuen Luxustasche belohnen. „Ich verbinde Handtaschen mit verschiedenen Ereignissen“, sagte sie.
Cheftrainer Roland Assinger verbindet die Goldmedaille mit etwas anderem. „Das ist gut für das Team und Österreich.“
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