"Für einen Herren-Chef liegt die Latte immer hoch"
Sonnenschein, hohe Plusgrade, Spätsommer-Feeling – es deutet im Moment sehr wenig darauf hin, dass am kommenden Wochenende offiziell der Winter beginnt. Jedenfalls für die Skifahrer, die bereits traditionell auf dem Rettenbach-Gletscher oberhalb von Sölden im Tiroler Ötztal mit zwei Riesentorläufen ihre Weltcupsaison eröffnen.
Auch in dieser Saison rückt Österreich wieder in den Mittelpunkt des Weltcupwinters (siehe Grafik unten).
Auch in dieser Saison lastet auf den österreichischen Skifahrern wieder ein enormer Erfolgsdruck.
Und auch in dieser Saison ist der dreifache Weltcup-Gesamtsieger Marcel Hirscher wieder der große Gejagte.
Nach den Olympischen Spielen in Sotschi bekam der 25-jährige Skistar einen neuen Vorgesetzten. Andreas Puelacher löste Mathias Berthold als ÖSV-Herren-Cheftrainer ab. Der 49-jährige Tiroler ist schon seit einem Vierteljahrhundert als Coach im In- und Ausland in der Ski-Szene aktiv. Vor seiner offiziellen Premiere beim Heimweltcup in Sölden spricht der neue österreichische Herren-Chef im KURIER–Interview über . . .
... das Amt des ÖSV-Herrentrainers. "Das ist sicher einer der prestigeträchtigsten Jobs, den es im Skisport gibt. Aber ich nehme mich deshalb jetzt nicht wichtig. Wichtig ist der Athlet, und nicht der Trainer. Wenn man dieses Angebot erhält, und wenn man es sich vor allem auch zutraut, dann kann man da eigentlich gar nicht nein sagen. Und nach 25 Jahren als Trainer war das auch der Schritt, den ich angestrebt habe."
... die Fähigkeiten, die ein Cheftrainer mitbringen muss. "Man muss ein großes Netzwerk im Skisport haben, weil du nicht nur die Akzeptanz im Inland brauchst, sondern auch vom Ausland. Ich bin es von meiner bisherigen Tätigkeit gewohnt, eine Gruppe zu führen. Als Cheftrainer musst du das noch viel mehr können, weil einige Leute mehr mit mir arbeiten. Früher war mir nur wichtig, wie meine Kerngruppe funktioniert, jetzt muss ich das große Ganze im Augen behalten und schauen, dass alle in diesem Gefüge mit einem roten Faden arbeiten. Ich habe jetzt sicherlich mehr im Büro zu tun, aber für die Arbeit mit den Athleten bleibt auch noch genug Zeit. Wobei eines klar ist: ich will den Trainern nicht in ihre Arbeit hinein pfuschen. "
... seine Zeit in der Schweiz und in Liechtenstein. "Das war sehr lehrreich, vor allem, weil ich so einmal die Möglichkeit hatte, den Österreichischen Skiverband aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Es war interessant einmal von außen zu sehen, was der ÖSV richtig macht, und was vielleicht weniger gut. Und was machen möglicherweise die anderen Nationen besser. Im Ausland lernst du zwangsläufig selbstständiger zu arbeiten, weil es einfach keinen anderen Verband gibt, der so viele Ressourcen zur Verfügung hat wie der ÖSV."
... den Druck für einen österreichischen Cheftrainer. "Die Latte für einen österreichischen Herren-Chef liegt immer hoch. Da ist es völlig egal, wann du einsteigst. Wir haben sehr erfolgreiche Jahre hinter uns und es ist sicher ein Vorteil, dass ich von Mathias Berthold eine funktionierende Mannschaft übernommen habe. Aber natürlich will man sich immer weiterentwickeln. Und wir haben sehr wohl Problemzonen. Man kann und darf sicher nicht alles nur schönreden."
... die Schwachstellen der ÖSV-Herren. "Eine Problemzone ist sicherlich der Slalom. Da stellt sich die Frage: ’was passiert nach diesem Jahr, wenn einige Leute auf Grund vom Alter wegbrechen?’ Im Slalom bleibt von den Top-Leuten wahrscheinlich nur mehr der Marcel Hirscher übrig. Da müssen wir dringend schauen, dass wir Junge nachbringen. Und im Speedbereich hat der Generationswechsel zwar angefangen, aber ganz funktioniert hat er noch nicht. Dafür gewinnen unsere Jungen noch zu wenig. Es wird Zeit, dass Läufer wie ein Matthias Mayer, Max Franz oder ein Otmar Striedinger konstant in die Podestplätze fahren."
... das rot-weiß-rote Slalom-Dilemma. "Ich fürchte, dass im Slalom der Generationswechsel noch länger dauern wird. Erstens weil dort die Konkurrenz so groß ist wie in keiner anderen Disziplin und es dort Nationen gibt, die sich voll auf den Slalom konzentrieren – wie zum Beispiel die Schweden. Und zweitens fehlen uns im Slalom einfach einige Jahrgänge. Hirscher ist Jahrgang 1989, die anderen wie Matt, Raich sind alle um zehn Jahre älter. Es sollte eigentlich nicht passieren, dass man da so ein Loch hat. "
... die Saisonziele. "Ein Ziel muss sein, dass wir unsere Athleten, die in die Top drei fahren, breiter aufstellen können. Und dass damit bei der WM in Vail auch die Medaillenhoffnungen auf mehreren Schultern verteilt sind. Dann wären Topfavoriten wie Marcel Hirscher bei der WM automatisch ein wenig entlastet. Ich möchte jedenfalls in jeder Disziplin mit zwei, drei realistischen Medaillenkandidaten bei der Weltmeisterschaft am Start sein."
... den Saisonstart in Sölden. "Man sollte die Rennen jetzt auch nicht überbewerten, aber klar ist auch: Sölden wird zeigen, wo wir umgehen und wo wir im internationalen Vergleich stehen."
... die ungeliebte Super-Kombi."Es ist sicher ein Problem, diesen Bewerb zu verkaufen. Ich bin sowieso noch eher einer von der alten Schule, der sagt: Abfahrt, Super-G, Riesentorlauf und Slalom – das reicht. Das Problem ist: die Superkombi ist nicht Fisch und nicht Fleisch. "
Schon zum 18. Mal startet der Weltcup-Winter der Alpinen im Tiroler Ötztal. Lediglich 2006 mussten die Gletscherrennen abgesagt werden. Trotz der hohen Temperaturen in Tirol macht sich der Söldener Pistenchef Isidor Grüner keine Sorgen um die Piste und die Austragung der Auftaktrennen. Ein Ausblick auf die WM-Saison.
Neue Rolle Nach zwei Medaillen in Sotschi (Gold im Super-G, Silber im RTL), dem Sieg im Gesamtweltcup, der kleinen Kristallkugel für die Riesentorlauf-Wertung und dem Rücktritt der Slalom-Königin Marlies Schild muss sich Anna Fenninger mit der Rolle der Team-Leaderin anfreunden. "Es ist eine neue Situation mit den ganzen Erfolgen im Rücken. Jeder schaut auf mich, das ist sicher extremer geworden. Ich versuche, mit der Herausforderung zu wachsen, das ist das Ziel, das ich habe", sagt die 25-jährige Salzburgerin.
Neuer Job Auch den deutschen Damen ist nach Olympia die Team-Leaderin abhanden gekommen. Maria Höfl-Riesch bleibt dem Skizirkus aber erhalten: Als TV-Expertin bei ARD.
Neue Strecke Die Abfahrt von Bormio (It) war ein Klassiker und bei den Läufern beliebt wie gefürchtet gleichermaßen. Nach 20 Jahren müssen die Abfahrt einen Bogen um die Stelvio-Piste machen und fremd gehen – sie fahren heuer auf der Damen-Piste in Santa Caterina .
Alte Sorgen Eigentlich wollte Matthias Mayer in Sölden in die erste Saison nach seinem Olympiasieg starten. Ein Innenbandeinriss, den sich der Kärntner beim Training im Pitztal am Mittwoch zugezogen hat, verhinderte dies.
Auch Felix Neureuthers Krankengeschichte ist eine Never-Ending-Story. Der 30-jährige WM-Zweite aus Deutschland wird von einer Entzündung im Lendenwirbel-Bereich gebremst, sagt aber: "Bloß, weil man ein bisserl Rückenweh hat und ein bisserl älter ist, heißt das noch lange nicht, dass ich aufhöre."
Altes Bild Kamera-Horden und Pressekonferenz-Marathon – es wäre nicht der Ski-Auftakt in Sölden, wenn sich nicht auch die Medienvertreter zum jährlichen Tam-Tam einfinden würden. Ob am Start oder nicht, im Zentrum des Mikrofon-Knäuels tummelt sich meist Lindsey Vonn – auch das hat in Sölden Tradition.
Alte Hoffnung Sechs Jahre ist es bereits her, seit in Sölden zuletzt die österreichische Hymne erklang – zu Ehren von Kathrin Zettel. Im Vorjahr musste sich die Niederösterreicherin nur der Schweizerin Lara Gut geschlagen geben. Marcel Hirscher wurde einen Tag später Dritter.
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