Schlierenzauer ist Tourneesieger
Tournee-Sieger sehen gewöhnlich anders aus. Sie zucken nicht ratlos mit den Achseln, sie blicken nicht fragend in die Menge, und sie gestikulieren normal auch nicht so hektisch herum. So ausgelassen und übermütig Gregor Schlierenzauer in Innsbruck noch seine Halbzeitführung gefeiert hatte, so dezent hielt sich der Tiroler diesmal beim Tournee-Finale in Bischofshofen zurück.
Weil er nicht wusste, was diese Weite wert ist, vor allem aber weil Anders Jacobsen, sein norwegischer Herausforderer im Kampf um den Gesamtsieg, noch nachlegen konnte. "Zu spät am Absprung, das war nicht optimal", haderte der Tiroler deshalb noch unmittelbar nach seinem Sprung.
Leader
Was Schlierenzauer zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte: Dass dieser in seinen Augen so suboptimale Sprung ihm dem zweiten Tourneesieg noch einen Schritt näher gebracht hatte.
Denn im strömenden Regen von Bischofshofen konnte Anders Jacobsen (131,5 Meter) dem Österreicher nicht das Wasser reichen: Gregor Schlierenzauer baute mit seiner Halbzeitführung seinen Vorsprung in der Gesamtwertung sogar noch um 0,8 Punkte auf 11,5 Zähler aus.
Druck
"Ich hab’ zwar oben die genaue Weite nicht gehört, aber nach dem Jubel der Leute war mir klar: Der muss weit gesprungen sein", berichtete Schlierenzauer, der auf die Kampfansage des Norwegers auf seine Art reagierte.
Cool. Souverän. Im Stile eines Überfliegers und Seriensiegers. Schlierenzauer konterte mit einem Flug auf 137,5 Meter – das genügte, um Anders Jacobsen auf Distanz zu halten. Mehr noch: Mit diesem Sprung feierte der Stubaier auch noch seinen zweiten Tagessieg bei dieser Tournee, seinen neunten insgesamt.
Edeldiamant
Sein Widersacher Anders Jacobsen nahm die Niederlage gelassen hin: "Gegen Gregor zu verlieren, ist kein Problem. Er ist der Beste. Für mich war diese Tournee wie ein Märchen."
Wie ein Märchen liest sich auch die beeindruckende Erfolgsgeschichte von Gregor Schlierenzauer. Und es ist wohl nur eine Frage von Tagen, bis der Tiroler abermals Geschichte schreibt, bis er wieder einen Feiertag erlebt und sein Siegerlächeln aufsetzen kann. Zwei Erfolge noch, dann hat er Matti Nykänen (46 Siege) als Nummer eins abgelöst. "Wenn ich das in meinem Alter erreiche, dann ist das der absolute Wahnsinn."
Stefan Kraft stand im Auslauf der Paul-Außerleitner-Schanze von Bischofshofen und schüttelte nur mehr den Kopf. Was da alles auf ihn einprasselte, das überforderte den 19-Jährigen sichtlich. "Ich kann es nicht glauben", stammelte Kraft, "das ist alles nicht zu fassen."
Bereits am Bergisel hatte Stefan Kraft als 23. die ersten Weltcuppunkte seines Lebens gesammelt, auf seiner Trainingsschanze in Bischofshofen schoss der 19-jährige Lokalmatador nun vollends den Vogel ab: Dritter Platz beim erst dritten Weltcup-Einsatz. "Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Mir muss jemand die Zähne einschlagen, damit ich aufhöre zu lachen", sagte Kraft.
Man of the Day
Der Salzburger sorgte mit seinem unerwarteten Kraft-Akt für ein versöhnliches Tournee-Ende. "Das ist sehr wohltuend", strahlte auch Cheftrainer Alexander Pointner, "die Mannschaft ist ruhig geblieben. Man hat auch gesehen, dass unsere Nachwuchsarbeit stimmt."
Als Belohnung für seinen dritten Platz erhielt Senkrechtstarter Stefan Kraft nicht nur 2000 Euro Zusatzpreisgeld (Man of the Day), er bekommt auch einen Startplatz für die nächsten Weltcup-Bewerbe in Polen. Schon am Mittwoch heben die Adler in Wisla abermals ab.
Gregor SCHLIERENZAUER (22 Jahre):
Geb.: 7.1.1990 in Hochrum (T)
Wohnort: Fulpmes (T)
Größe: 1,80 m/65 kg
Familienstand: ledig
Verein: SV Innsbruck-Bergisel
Hobbys: Fotografie, Mode, Design, Kochen, Sport
Homepage: http://www.gregorschlierenzauer.at
Größte Erfolge:
Olympia (1/0/2): Gold 2010 Vancouver Teambewerb
Bronze 2010 Normal- und Großschanze
WM (5/1/0): Gold Einzel 2011 Oslo Großschanze
Gold Team 2007 Sapporo, 2009 Liberec, 2011 Oslo Großschanze
und Normalschanze
Silber Einzel 2009 Liberec Normalschanze
Skiflug-WM (4/1/0): Gold Einzel 2008 Oberstdorf
Gold Team 2008 Oberstdorf, 2010 Planica, 2012 Vikersund
Silber Einzel 2010 Planica
Weltcup: 45 Siege; Gesamtsieger 2008/09, Zweiter 09/10, 11/12
Rekord-Saison 2008/09: 13 Siege (Rekord)/20 Podestplätze;
Junioren-WM: Gold Einzel und Team 2006
Vierschanzen-Tournee: Gesamtsieger 2011/12, 2012/13; 2. 2006/07; 3.
2008/09
- Mit 9 Tagessiegen (Oberstdorf 2006 und 2011, Garmisch 2008, 2010
und 2012, Innsbruck 2010 und 2013, Bischofshofen 2007 und 2013
erfolgreichster Österreicher in Tournee-Geschichte
Es ist nicht gerade der günstigste Zeitpunkt, Sven Hannawald nachzueifern und auf den berühmten Grand Slam loszugehen. Der Deutsche hatte bekanntlich 2001/’02 als erster und einziger Springer alle vier Tourneebewerbe gewonnen und damit Sportgeschichte geschrieben.
Noch im Vorjahr war für eine Wiederholung von Hannawalds Kunststück eine stolze Sonderprämie von einer Million Schweizer Franken ausgelobt worden, bei der aktuellen Tournee bekäme ein Grand-Slam-Sieger hingegen keinen Cent mehr als für den gewöhnlichen Tourneeerfolg, der mit 16.600 Euro – neben dem obligaten Preisgeld – auch nicht übermäßig dotiert ist.
Lohnniveau
Den Superstar wie Gregor Schlierenzauer ist das Lohnniveau der Adler schon lange ein Dorn im Auge. Vor allem seit die FIS vor drei Jahren den Verteilungsschlüssel modifiziert hat und die 60.000 Euro Preisgeld an die ersten 30 Springer ausschüttet und nicht mehr nur an die Top Ten.
"Wir sorgen für die Show und machen Werbung für den Sport und kriegen weniger. Das passt nicht", hatte sich Schlierenzauer schon mehrmals beschwert.
Tour de Ski
FIS-Renndirektor Walter Hofer, ein Landsmann von Schlierenzauer, lässt dieses Argument nur bedingt gelten. "Wir müssen auf alle Athleten schauen. Für Leute, die zwischen Platz 15 und Platz 30 kommen, sind das wichtige Einnahmen", erklärt Hofer, "die Stars haben ohnehin zusätzliche Verdienstmöglichkeiten."
Die Adler blicken derweil ein wenig neidisch auf die Langläufer, die eben bei der Tour de Ski für den Gesamtsieg 75.000 Euro erhalten. Allerdings ist deren Arbeitszeit auch deutlich länger als jene der Skispringer.
Endstand des Springens in Bischofshofen
1. Gregor Schlierenzauer AUT 133,0/137,5 272,7
2. Anders Jacobsen NOR 131,5/139,0 270,4
3. Stefan Kraft AUT 131,0/131,0 261,3
4. Kamil Stoch POL 131,0/131,5 260,2
5. Anders Bardal NOR 130,0/130,0 257,3
6. Thomas Morgenstern AUT 132,0/127,0 253,7
7. Dimitri Wassiliew RUS 132,0/130,5 252,9
8. Michael Neumayer GER 132,0/128,5 251,5
9. Tom Hilde NOR 126,5/131,0 250,9
10. Maciej Kot POL 132,0/126,0 250,8
11. Jaka Hvala SLO 128,5/127,0 250,4
12. Richard Freitag GER 130,0/125,0 248,1
13. Andreas Kofler AUT 128,5/126,0 247,2
Tournee-Endstand
1. Gregor Schlierenzauer (AUT) 1.100,2 Punkte
2. Anders Jacobsen (NOR) 1.087,2 Punkte
3. Tom Hilde (NOR) 1.029,2 Punkte
4. Kamil Stoch (POL) 1.027,2 Punkte
5. Anders Bardal (NOR) 1.026,8 Punkte
6. Michael Neumayer (GER) 996,7 Punkte
7. Dimitirj Wassiljew (RUS) 994,8 Punkte
8. Peter Prevc (SLO) 989,9 Punkte
9. Andreas Wellinger (GER) 988,7 Punkte
10. Martin Schmitt (GER) 980,8 Punkte
1953: SEPP BRADL (AUT)
1953/54: Olav Björnstad (NOR)
1954/55: Hemmo Silvenoinen (FIN)
1955/56: Nikolai Kamenski (UdSSR)
1956/57: Pentti Uotinen (FIN)
1957/58: Helmut Recknagel (DDR)
1958/59: Helmut Recknagel (DDR)
1959/60: Max Bolkart (GER)
1960/61: Helmut Recknagel (DDR)
1961/62: Eino Kirjonen (FIN)
1962/63: Toralf Engan (NOR)
1963/64: Veikko Kankkonen (FIN)
1964/65: Torgeir Brandtzäg (NOR)
1965/66: Veikko Kankkonen (FIN)
1966/67: Björn Wirkola (NOR)
1967/68: Björn Wirkola (NOR)
1968/69: Björn Wirkola (NOR)
1969/70: Horst Queck (DDR)
1970/71: Jiri Raska (CZE)
1971/72: Ingolf Mork (NOR)
1972/73: Rainer Schmidt (DDR)
1973/74: Hans-Georg Aschenbach (DDR)
1974/75: WILLI PÜRSTL (AUT)
1975/76: Jochen Danneberg (DDR)
1976/77: Jochen Danneberg (DDR)
1977/78: Kari Yliantilla (FIN)
1978/79: Pentti Kokkonen (FIN)
1979/80: HUBERT NEUPER (AUT)
1980/81: HUBERT NEUPER (AUT)
1981/82: Manfred Deckert (DDR)
1982/83: Matti Nykänen (FIN)
1983/84: Jens Weißflog (DDR)
1984/85: Jens Weißflog (DDR)
1985/86: ERNST VETTORI (AUT)
1986/87: ERNST VETTORI (AUT)
1987/88: Matti Nykänen (FIN)
1988/89: Risto Laakonen (FIN)
1989/90: Dieter Thoma (GER)
1990/91: Jens Weißflog (GER)
1991/92: Toni Nieminen (FIN)
1992/93: ANDREAS GOLDBERGER (AUT)
1993/94: Espen Bredesen (NOR)
1994/95: ANDREAS GOLDBERGER (AUT)
1995/96: Jens Weißflog (GER)
1996/97: Primoz Peterka (SLO)
1997/98: Kazuyoshi Funaki (JPN)
1998/99: Janne Ahonen (FIN)
1999/00: ANDREAS WIDHÖLZL (AUT)
2000/01: Adam Malysz (POL)
2001/02: Sven Hannawald (GER)
2002/03: Janne Ahonen (FIN)
2003/04: Sigurd Pettersen (NOR)
2004/05: Janne Ahonen (FIN)
2005/06: Janne Ahonen (FIN) und Jakub Janda (CZE)
2006/07: Anders Jacobsen (NOR)
2007/08: Janne Ahonen (FIN)
2008/09: WOLFGANG LOITZL (AUT)
2009/10: ANDREAS KOFLER (AUT)
2010/11: THOMAS MORGENSTERN (AUT)
2011/12: GREGOR SCHLIERENZAUER (AUT)
2012/13: GREGOR SCHLIERENZAUER (AUT)
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