Super-G: Warum Ski-Gold an eine Snowboarderin ging

Eine "wüde Henn'" ist Ester Ledecka, sagt ihr Ausrüster Atomic.
Snowboard-Ass Ester Ledecka düpiert die alpine Ski-Elite und sorgt für die ganz große Sensation der Winterspiele von PyeongChang.

Gut 26 Minuten lang bahnte sich an diesem Samstag in Jeongseon eine Sensation an: Vier Jahre nach Gold im Olympia-Super-G von Rosa Chutor führte Anna Veith nach zwei Jahren voller Schmerzen und Kraftakte, und es schien eine unglaubliche Belohnung für die 28-Jährige in Griffweite: Gold.

Dann kam Ester Ledecka.

Was die 22-jährige Tschechin da aufführte, das war keine Sensation mehr. Für so etwas gibt es nicht einmal ein Wort in der deutschen Sprache. Vielleicht sollte man es mit Zoink probieren, oder mit Krawonk. Ester Ledecka holte eine Hundertstelsekunde vor Anna Veith Gold.


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Klar, im Dezember hatte sie im Abfahrtstraining von Lake Louise einmal die Bestzeit markiert. Klar, sie hatte im Jänner bei schwierigen Bedingungen in Bad Kleinkirchheim ansehnliche Resultate gezeigt. Aber Gold? Im olympischen Super-G?

Für die zweifache Snowboard-Weltmeisterin???

Nach ihrem Krawonk stand Ester Ledecka einfach nur im Zielraum und schaute. Regungslos. Sekunde um Sekunde. Sie verzog keine Miene. "Ich dachte, das sei ein Fehler, als ich auf die Anzeigetafel geschaut habe und wollte einfach mal abwarten, bis die Zeit korrigiert ist", erklärte Ester Ledecka später. "Aber alle im Stadion haben geschrien, und dann war mir klar, dass es kein Fehler ist".

Die große Show

Ihr Krawonk hat Ledeckas Zeitplan gehörig durcheinandergewirbelt. Geplant war, dass sie nach dem Super-G drei Läufe auf dem Snowboard fährt. Nun saß sie bei der Pressekonferenz und bestätigte, was Christian Höflehner, der Rennchef ihres Ausrüsters Atomic, sagte: "Sie ist eine lustige, aufgeweckte, sympathische, nette, g’scheite, wüde Henn’. Und es ist unfassbar, was sie aufführt."

Und sie ist wohl die einzige bei diesen Spielen, die ihren Sponsor präsentieren darf – Coca Cola ist Olympia-Geldgeber, und wie sie da auf der Position der Führenden stand, da gönnte sich die Tschechin einige Schlucke aus der roten Flasche.

Szenenwechsel. Pressekonferenz. Ob sie denn nicht, bitteschön, die mächtige Skibrille ablegen könne? "Ich kann sie nicht runternehmen, ich hab’ kein Make-up oben, denn ich war ja nicht darauf vorbereitet, dass ich zur Siegerehrung muss."

Super-G: Warum Ski-Gold an eine Snowboarderin ging
TOPSHOT - Czech Republic's Ester Ledecka keeps her goggles on during a press conference after winning the Women's Super-G at the Jeongseon Alpine Center during the Pyeongchang 2018 Winter Olympic Games in Pyeongchang on February 17, 2018. / AFP PHOTO / Luke PHILLIPS

Ob sie Talent hat? "Nein, das glaube ich nicht. Ich fahr’ einfach den Berg runter und versuche, Spaß zu haben."

Ob sie wirklich auf alten Skiern aus dem Fundus von Mikaela Shiffrin unterwegs war? "Ich weiß nicht, mit welchen Skiern ich fahre, ich hoffe, es sind meine. Ich suche immer aus den Skiern von anderen Mädchen aus den letzten Jahren aus, denn es ist nicht leicht, gute Skier zu haben, wenn du nicht so viele Rennen fährst."

Ob sie bei den Sommerspielen 2020 in Japan im Windsurfen antritt? "Ja, warum eigentlich nicht?"

So ging es hin und her, es wurde gelacht und gefeixt, aber "eigentlich würde ich jetzt lieber Snowboard fahren. Also nichts gegen euch, ihr seid super, aber ich würde jetzt trotzdem lieber noch meine drei Läufe fahren."

Das große Ziel

Schließlich will Ester Ledecka hier in Südkorea noch Einzigartigeres schaffen und auch auf einem Brett gewinnen. "Der ursprüngliche Plan war, dass ich jetzt aufs Board wechsle, denn am Donnerstag steht die Qualifikation für den Parallel-Riesenslalom auf dem Programm. Mein Trainer wird jetzt ein bisschen drängen." Prinzipiell würde sich ja beides ausgehen: Am Mittwoch ist die Damen-Abfahrt, erst am Samstag ist die Entscheidung im Parallel-Riesenslalom in Bokwang. Doch auf der Startliste für das erste Abfahrtstraining am Sonntag fehlte ihr Name.

Die Unterschiede zwischen beiden Sportarten sind gar nicht so groß: "Es geht den Berg runter. Das ist die Wahrheit." Wahr ist aber auch: Ihr Großvater Jan Klapac wurde mit der CSSR 1972 Eishockey-Weltmeister und holte zwei Olympia-Medaillen. Und ihre Mutter war Eiskunstläuferin, ihr Vater ist Musiker. Ein paar Anlagen wurden ihr also mitgegeben.

Die Vielseitige war schon vor ihrem Coup vom 17. Februar höchst respektiert. "Ester ist eine unglaubliche Athletin", sagt Claudia Riegler, die letzte Weltmeisterin im Parallel-Riesentorlauf, die nicht Ledecka hieß. "Ich habe höchsten Respekt vor dieser Leistung! Ein Mörderprogramm, was sie da abliefert, ich hab’ mich unglaublich gefreut für sie. Auch wenns mir ein bissl leidgetan hat für die Anna wegen der einen Hundertstelsekunde, aber auch ihre Leistung war einfach nur grandios."

Und Benjamin Karl, selbst ein (Ex-)Weltmeister seines Fachs, findet es "einfach nur sensationell für unseren Sport. Es gibt viele Parallelen: Ester betreibt beide Sportarten seit Kindesbeinen, und bei Snowboardrennen ist es schon oft passiert, dass sie im Zielraum abschnallt, sich feiern lässt – und dann mit den Skiern an den Füßen den Berg wieder rauffährt." Aber ein Hexenwerk sieht der Niederösterreicher keineswegs: "Wenn man den Carvingschwung auf dem Snowboard beherrscht, dann ist es auch im Skifahren einfach. Es kommt ja auf das Gleiche an."

"Ein bissl muss man die ganze Ausbildung wohl überdenken", sinniert Christian Höflehner, der früher selbst (Technik-)Trainer beim ÖSV war. "Es gibt offensichtlich auch andere Wege zum Erfolg als den sturen in der Gasse. Ich sage nicht, dass das die Lösung für alles ist – aber es ist eine Überlegung wert."

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