Bernhard Russi erklärt, was den neuen Super-G-Weltmeister ausmacht, wer an schweren Stürzen schuld ist und warum sich die Österreicher keine Sorgen machen müssen.
Bernhard Russi (76) gehört einem erlauchten Kreis an. Der Schweizer war in der Abfahrt sowohl Weltmeister (1970) als auch Olympiasieger (1972).
KURIER: Wenn Sie aus allen Ski-Legenden einen idealen Läufer formen könnten: Wie würde der aussehen?
Bernhard Russi: Ich würde die Mischung aus Franz Klammer, Jean-Claude Killy und Marco Odermatt nehmen. Und ich erkläre auch wieso: Killy hatte dieses Charisma und Filmstar-mäßige, der Franz war auf seine Art unnachahmlich, und Marco Odermatt ist einfach der komplette Skifahrer.
Seine Intuition. Diese Fähigkeit, sich an schwierige Verhältnisse anzupassen und während der Fahrt die richtigen Lösungen zu finden. Das liegt daran, dass Odermatt sich in Ruhe als Skifahrer entwickelt hat und relativ spät zum Rennfahrer geworden ist. Man merkt, dass er viel frei gefahren ist. Er zehrt heute davon, dass er das Skifahren spielerisch erlernt hat.
Hat er noch andere außergewöhnliche Eigenschaften?
Er ist auch athletisch auf dem Höhepunkt, da trifft Professionalität auf Konsequenz. Und dann kommt noch ein dritter Punkt dazu: Obwohl er ein Überflieger ist und den Sport prägt, ist er auf dem Boden geblieben. Wir sagen: Er ist ein urchiger Mensch und ein Naturbursche, der das Leben auch genießen kann.
Es fällt auf, wie sehr sich Odermatt bei Erfolgen seiner Kollegen mitfreut.
Er ist ein echter Kumpeltyp und er braucht die Teamkollegen alle. Aber er kann auch sehr konsequent sein. Nur hat er irgendeine Tugend, dass er es mitteilen kann, ohne jemand zu beleidigen.
Was macht das, wenn plötzlich die größten Konkurrenten mit Von Allmen und Monney aus dem eigenen Team kommen?
Ich glaube nicht, dass sich viel ändert. Aber natürlich: Wenn dich dein Zimmerkollege bei der Weltmeisterschaft vom Podest stößt, dann ist der Abend nicht so lustig. Andererseits ist es gut, wenn der Zimmerkollege auf Augenhöhe kommt, weil das auch ein positiver Antrieb für Odermatt sein kann und er für sich Dinge entwickelt und findet, die er sonst nicht gesucht hätte. Er macht das gut.
Odermatt ist es auch heuer nicht gelungen, auf der Streif zu gewinnen, der Abfahrtssieg ist sein letztes großes Ziel. Ist das vielleicht für seine Motivation gar kein Nachteil?
Ich glaube, er hätte diesen Abfahrtssieg in Kitzbühel lieber schon in der Tasche. Vor allem, weil man nicht jedes Jahr die Voraussetzungen hat, um auf der Streif zu gewinnen. Natürlich ist ein Kitzbühel-Sieg ein ganz wichtiger Punkt. Am Ende der Karriere zählen aber nicht die Dinge, die du nicht gewonnen hast, sondern jene Erfolge, die du gefeiert hast. Die Kunst des Abfahrers ist allerdings genau diese, dass er in gewissen Momenten intuitiv das Richtige macht und vielleicht auch einmal zurücknimmt. Sonst kommst du nicht durch die Karriere, wie es der Odermatt auch gezeigt hat.
Aus der Distanz: Wie beurteilen Sie die Lage der Skination Österreich?
Das Wellental ist im Spitzensport etwas Normales. Wir hatten ja auch Weltmeisterschaften, von denen die Herren keine Medaille nach Hause gebracht haben. Aber ich könnte mir vorstellen, dass man jetzt in Österreich über gewisse Themen nachdenken darf.
Was meinen Sie konkret?
Es ist immer ein großes Geschenk, wenn du als Nation Leute wie Klammer, Maier oder Hirscher hast. Da brauchst du dann nicht die geballte Ladung einer Mannschaft, diese Stars und Sieger überstrahlen das. Womöglich überstrahlen sie aber auch, ob hinten etwas nachkommt, oder nicht.
Diesbezüglich ist die Schweiz dem ÖSV weit voraus.
In der Schweiz wurde seit zehn Jahren eine Superarbeit geleistet. Personalpolitik, Trainerausbildung Nachwuchsförderung – da wurde ein roter Faden eingelegt, deshalb kamen sukzessive die Erfolge. Und auf einmal haben große Unternehmen in der Schweiz erkannt, dass das wirtschaftlich interessant ist.
Machen Sie sich Sorgen um die Skination Österreich?
Überhaupt nicht. Österreich hat genug natürliche Talente, da kann es auch passieren, dass jemand von einem Jahr auf das andere allen davonfährt. Ihr werdet demnächst wieder einen Odermatt haben. Den könnt ihr zwar nicht züchten, aber der ist schon vorhanden. Der ist schon auf der Welt, der ist schon im System drinnen. Das kann zwar nicht von heute auf morgen gehen, aber von heute auf übermorgen. Ich hoffe, dass es geschieht.
Themenwechsel: Die Geschichte von WM-Abfahrten oder Olympia ist reich an Athleten, die dort ihr erstes Rennen gewinnen. Warum ist das so?
Der Russi hat übrigens auch sein erstes Rennen bei der Weltmeisterschaft 1970 gewonnen. Ich würde mich hüten, all diese Leute als Zufallssieger zu bezeichnen. Der Vorteil ist: Man kann sich im Schatten vorbereiten, für den Favoriten ist eine WM kein Rennen wie jedes andere. Du willst als Favorit an diesem Tag nicht verlieren. Viele wollen es mit der Brechstange erzwingen. Und gerade die Abfahrt ist eine hochsensible Angelegenheit. Sie ist anfällig auf vieles: Wetter, Umwelt, Startnummer, von daher kommen vom Umfeld einige Zufälle dazu.
Im Ski-Weltcup wird gerade wieder eine Sicherheitsdebatte geführt. Bringen Maßnahmen etwas, oder sind die Stürze und Verletzungen Teil des Sports?
Wenn man die Abfahrt haben will, dann muss man es wohl akzeptieren. Da kann man jetzt eingreifen, wie man will. Die Hauptproblematik ist ja die: Wenn irgendwas passiert, wird als Allererstes gefragt: Wer ist schuld? Und die erste Antwort lautet meistens: Sicher nicht der Fahrer.
Sehen Sie das anders?
Selbst der beste und mutigste Fahrer macht ab und an einen kritischen Fehler. Klar, man kann natürlich vieles überdenken, aber am Schluss ist für mich die Eigenverantwortung das Wichtigste. Und dann stellt sich für mich noch eine Frage: Was nützen mir alle Informationen und Studien von Wissenschaftern, wenn schlussendlich die Hauptakteure das nicht akzeptieren. Wenn zum Beispiel eine Airbag-Verpflichtung rausgeht und die entscheidenden Spieler das nicht akzeptieren und nicht umsetzen wollen, wo kommen wir dann hin?
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