Ein Ski-Krimi mit einem Happy-End: Fenninger vs. Maze
Da lag sie nun im weichen Frühjahrsschnee von Méribel und brauchte erst einmal Zeit für sich.
Anna Fenninger hatte an diesem 22. März 2015 gerade den letzten Riesenslalom der Saison gewonnen, Anna Fenninger hatte die Nerven behalten in diesen anstrengenden Tagen beim Weltcup-Finale in Frankreich. Wenig später bekam die damals 25-jährige Salzburgerin zum zweiten Mal in Serie die große Kristallkugel für den Gesamtweltcup überreicht. Und dazu noch die kleinen für Kombination und Riesenslalom.
Es war das bislang letzte Mal im alpinen Skiweltcup, dass die Österreicherinnen sich über drei Kugeln bei einem Weltcup-Finale freuen konnten. 2016 gewann Eva-Maria Brem die Disziplinwertung im Riesenslalom, 2019 war Nicole Schmidhofer in der Abfahrt erfolgreich. Heuer gab es nicht einmal den Sieg in der Teamwertung, wie schon 2017 jubelten die Italienerinnen. Man muss weit zurückgehen, um ein Jahr zu finden, in dem Österreich davor nicht die besten Frauen hatte. Bis 1998, als die Deutschen die Nase vorn hatte.
Doch wie war das damals in diesem verrückten Winter, 2015/’16, als erst im letzten Rennen die Entscheidung fiel?
Geringe Hoffnungen
Anna Fenninger, inzwischen längst mit dem früheren Snowboarder Manuel Veith verheiratet und somit als Veith unterwegs, hatte eine beeindruckende Aufholjagd hingelegt. 370 Punkte betrug der Rückstand der Salzburgerin auf die im Gesamtweltcup führende Slowenin Tina Maze nach dem Nachtslalom von Flachau am 13. Jänner.
Und es schien, als hätten sich auch die Elemente gegen Anna Fenninger verschworen, das geplante folgende Speed-Wochenende in Bad Kleinkirchheim musste abgesagt werden. Sturm, Schnee, Regen, nicht zum ersten, aber auch nicht zum letzten Mal. Inzwischen ist die Kärntner Skistation nicht mehr im Weltcupkalender, an der Strecke wird im heurigen Frühjahr eine Rodelbahn für den Ganzjahresbetrieb errichtet.
Start frei
Mit dem zweiten Platz im Super-G von Cortina d'Ampezzo begann die Aufholjagd. Zweite in Abfahrt und Super-G in St. Moritz, Gold im WM-Super-G von Beaver Creek, Silber in der Abfahrt, Gold im Riesenslalom, da war er nun, dieser Zustand, den Sportler mit „Flow“ umschreiben.
Mit drei Siegen im Weltcup brauste Anna Fenninger Richtung Spitze (Riesenslalom in Maribor, Kombination und Super-G in Bansko), nur noch 44 Punkte fehlten auf Tina Maze. „Im Moment ist sie einfach unschlagbar“, lobte Lindsey Vonn, „wenn man so einen guten Rhythmus wie sie hat, geht alles ganz einfach.“ Und was sagte Fenninger, die Jägerin? „Ich bin froh, dass es im Moment so gut läuft. Ich mache eigentlich nur das, was ich gerne mache: schnell Ski fahren. Es ist schön, so auf der Welle zu schwimmen.“
Daran änderte auch Garmisch-Partenkirchen nichts: Zweite in der Abfahrt (Rückstand 24 Punkte), Dritte im Super-G hinter Tina Maze (44 Punkte). Und dann ging es nach Schweden.
Am Limit
Der Nacht-Riesenslalom von Åre sollte sich als vorentscheidend im Kampf um den Gesamtweltcup herausstellen. Tina Maze, längst physisch wie psychisch am Limit, patzte im zweiten Lauf und fiel vom sechsten auf den 20. Platz zurück, während Anna Fenninger auch im 13. Rennen en suite in die Top Ten düste und – noch viel wichtiger – als Siegerin gefeiert wurde. 45 Punkte Vorsprung nach 44 Punkten Rückstand.
Und als wäre das nicht genug, ließ sich die Salzburgerin auch noch den Start im Slalom am Tag nach diesem Freitag, dem 13. März, offen – und verzichtete schließlich, um schon zum Finale nach Frankreich zu reisen.
Abermals eine richtige Entscheidung, wie sich zeigen sollte. Tina Maze quälte sich mit Magenschmerzen auf Platz 16, näherte sich zwar wieder bis auf 30 Punkte, doch ihren Kräften leistete die 31-jährige Slowenin keinen guten Dienst.
Über dem Limit
Doch auch bei Anna Fenninger ging es turbulent zu. Beim Einfahren vor dem zweiten Training für die letzte Abfahrt der Saison übersah sie bei schlechten Lichtverhältnissen eine Bodenwelle. „Ich bin schnell drüber, weit aufgestiegen und im Flachen gelandet.“
Sie spürte einen stechenden Schmerz im linken Knie, „meinem schwachen Knie, das schon seit Jahren an der Patellaspitze empfindlich ist.“ Auf das Training verzichtete sie, nicht aber auf das Rennen: „Das ist nur leicht verstaucht.“ Doch mehr als Platz acht sollte es im ersten der vier Bewerbe beim Weltcup-Finale in Méribel nicht werden. Tina Maze wurde Vierte und verkürzte den Rückstand im Duell der beiden Doppelweltmeisterinnen auf zwölf Punkte.
Im Super-G konnte Anna Fenninger den Spieß wieder umdrehen, als Zweite, 31 Hundertstelsekunden vor Tina Maze. 32 Punkte führte sie nun vor der Slowenin. „Ich bin zwar jetzt vorne, aber ich habe sicher keinen Vorteil. Tina ist im Slalom eine Siegfahrerin, ich bin es nicht.“ Ob sie den Slalom am Samstag fahren würde? „Das wäre möglich“, sagte Anna Fenninger, wissend, dass die Entscheidung über den Gesamtsieg wird wohl erst beim abschließenden Riesentorlauf am Sonntag fallen würde.
Die Wende
Startnummer 25 (die letzte des ersten Durchgangs) und die bei plus sieben Grad und Nieselregen schwer mitgenommene Piste machten das Ansinnen der Führenden im Gesamtweltcup aber zu einem Ding der Unmöglichkeit – mit dem Handicap von 2,06 Sekunden Rückstand auf ihre Rivalin Tina Maze war Fenninger schon bei Halbzeit chancenlos.
„Die Leistungsdichte im Slalom ist sehr hoch, da ist es schon schwierig für mich, mitzuhalten“, wusste die Salzburgerin, die beim Einfahren am Samstagmorgen „extrem unsicher“ war. „Ich hab’ vorher gewusst, dass ich so weit hinten starten würde und dass die Verhältnisse so schwierig sein würden. Dafür bin ich nicht unzufrieden – mein Ziel war es, nicht Letzte zu werden.“
Das hatte sie erreicht, Anna Fenninger wurde Vorletzte – vor der Schweizerin Michelle Gisin. Ein paar Kolleginnen hätten ausfallen müssen, damit die Salzburgerin noch zu Punkten kommt, allein, sie taten ihr diesen Gefallen nicht. So wurde es am Ende der 23. Platz, während Tina Maze mit zwei soliden Fahrten Vierte wurde und damit wieder im Gesamtweltcup führte. 18 Punkte.
Und, Vorteil Maze: „Nach drei Wochen bin ich jetzt wieder gesund und kann skifahren. Nun ist es ein bisschen eine Nervensache, dass die Entscheidung erst im letzten Rennen fällt.“
Die Entscheidung
Und wie sie fiel. Bestzeit im ersten Durchgang, zweitbeste Zeit im zweiten (hinter Eva-Maria Brem), Sieg im letzten Rennen der Saison vor Brem und Tina Maze, Anna Fenninger hatte erreicht, was zu erreichen war. „Anna war heute nicht zu schlagen, sie ist einfach unglaublich gefahren“, lobte Brem. „Anna war am Ende der Saison sehr stark. Ich habe mein Bestes gegeben, aber leider habe ich ein paar Fehler gemacht, und auch mein Körper war nicht immer ganz gesund“, sagte Tina Maze. „Aber mit zwei Mal WM-Gold und einmal Silber war es immer noch eine tolle Saison.“
Und die Gepriesene selbst? Anna Fenninger sank in den nassen Schnee von Méribel und zeigte, wie sehr sie der Stress der letzten Stunden, Tage und Wochen mitgenommen hatte. Später, als sie wieder bei Luft und Kräften war, gestand die Titelverteidigerin: „Es war über Wochen der härteste Kampf, den ich je hatte. Dass ich dem standgehalten habe, bedeutet mir extrem viel. Ich hatte so viele Dinge in meinem Kopf, aber ich wollte die Nervosität nicht siegen lassen“, sagte die 25-Jährige nach „einem der härtesten Kämpfe, die es je im Skisport gegeben hat.“
Epilog
Es sollte nicht ihr letzter bleiben. Im Frühjahr 2015 kochte der Sponsorstreit mit dem ÖSV hoch, schon im Jänner waren Gerüchte um einen etwaigen Nationenwechsel unterwegs. Erst im Juni sollte sich der Wirbel legen.
Am 21. Oktober stürzte Anna Fenninger beim Gletschertraining in Sölden schwer, Kreuz- und Innenband im rechten Knie waren gerissen, ebenso die Patellarsehne. Die Mission dritter Gesamtweltcup in Serie war zu Ende, ehe sie gestartet war.
Am 16. April 2016 heiratete Anna ihren Manuel und hieß fortan Veith, die folgende Saison brachte als Highlight den dritten Rang im Super-G von Cortina und als nächsten Tiefschlag den Abbruch der Saison nach der misslungenen WM in St. Moritz.
Das zweite Comeback verlief besser: Am 17. Dezember 2017, 1.001 Tage nach dem Weltcup-Finale von Méribel, feierte Anna Veith in Val d'Isère ihren nächsten Sieg, und bei den olympischen Winterspielen in Südkorea holte sie Silber im Super-G hinter Wonder Woman Ester Ledecka aus Tschechien.
Doch auch dieses Glück währte nicht lang: Am 12. Jänner 2019 folgte der nächste Kreuzbandriss beim Training in Pozza di Fassa. Die abgelaufene Comeback-Saison 2019/'20 brachte neben einigen Lichtblicken (Siebente und Achte in den Riesenslaloms von Courchevel und Lienz) abermals viele Rückschläge. Doch Aufgeben, das ist für Anna Veith keine Option. Weder im ersten Quartal des Jahres 2015, noch jetzt.
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