Die Ski-Familie
Man nehme einen Liftwart aus einem kleinen Skigebiet bei Brescia und eine Reinigungsfachkraft, sorge dafür, dass die beiden heiraten – und fertig ist die Ski-Familie Fanchini, die am Sonntag ihre Medaillensammlung um eine Silberne aus der Damen-Abfahrt ergänzte.
Dieses Mal war die 26-jährige Nadia an der Reihe; vor acht Jahren in Bormio/Santa Catarina war es die um ein Jahr ältere Schwester Elena, die sich in der Abfahrt versilbern lassen durfte. Mamma Giusi stand im Ziel und jubelte, Mamma Giusi saß bei der Pressekonferenz im Saal und war überglücklich, Mamma Giusi war eine gefragte Frau an diesem Sonntag. Und Mamma Giusi hat noch eine dritte Tochter: Sabrina, 24, auch sie fährt in der Squadra Azzurra Weltcuprennen.
Krankenakte
Allen drei Schwestern gemein sind Erfolge, allen gemein sind aber auch Tiefschläge. Nadia, die nunmehr amtierende Vizeweltmeisterin, die 2009 in Val d’Isère schon Bronze in der Abfahrt geholt hatte, ruinierte sich am 31. Jänner 2010 beim Super-G von St. Moritz beide Knie (jeweils Kreuzbandriss) und fügte damit ihrer Krankenakte das bislang umfangreichste Kapitel hinzu – erst zwei Jahre später kehrte sie in den Skisport zurück.
Zuvor hatte sie schon einen weiteren Kreuzbandriss und eine gebrochene Hand; zudem war ihr eine Zwangspause wegen Herzrhythmusstörungen verordnet worden. Umso größer waren nun die Emotionen. Doch dieses Mal schossen Nadia Fanchini die Tränen der Freude in die Augen, und Mamma Giusi freute sich gerührt mit. „Es war ja erst die vierte Abfahrt seit meinem Comeback“, erklärte Nadia, „das ist ein fantastischer Tag, ein Wunder ist das.“ Denn wie sie das gemacht habe, das, gestand sie, wisse sie selbst nicht.
Giusi und Sandro Fanchini haben ihre bescheidenen Ersparnisse in die Karrieren ihrer Kinder investiert, weit über 100.000 Euro über all die Jahre. „Oft waren wir in finanziellen Schwierigkeiten und wussten nicht ein und aus“, erinnert sich der Herr Papa, der die Kinder im Winter mitnahm zu seinem Arbeitsplatz auf den Montecampione, weil auch seine Frau Geld verdienen musste und keine Zeit hatte, um sie zu betreuen.
Auch Elena hat 2008 schon einen Kreuzbandriss erlitten; Sabrina hat sich den ihren am 26. November vergangenen Jahres in Loveland (USA) geholt. Aber zur kommenden Olympiasaison werden die drei Schwestern wieder am Start stehen. Wenn sie gesund bleiben: Der schmale Grat zwischen Siegespodest und Krankenbett, er wird selten so deutlich aufgezeigt wie bei dieser Ski-Familie aus Montecampione di Artogne bei Bergamo.
Erfolgreiche Geschwister gibt es im Skisport viele: Bernadette und Marlies Schild sowie Elisabeth und den zurückgetretenen Stephan Görgl aus dem aktuellen ÖSV-Team beispielsweise, Maria Höfl-Riesch und ihre verletzte Schwester Susanne Riesch im deutschen – oder auch die Norwegerinnen Nina, Mona und Lene (zurückgetreten) Løseth. In Kroatien haben Janica und Ivica Kostelic dem Skilauf zu einem Boom verholfen, die US-Zwillinge Phil (1984 Olympiasieger im Slalom) und Steve Mahre (1982 Weltmeister im Riesenslalom) sind Legende. Die französischen Schwestern Marielle und Christine Goitschel holten jeweils WM-und Olympia-Gold.
Es war einer dieser Momente, bei denen man nicht weiß, ob man lachen soll, weil die Ganze so absurd ist – oder ob man einfach Mitleid haben soll. Olympia 2010 in Kanada, Damen-Abfahrt in Whistler, Startnummer 20, Marion Rolland stößt sich aus dem Starthaus, taucht an, ein Mal, zwei Mal, drei Mal – und nach drei Sekunden liegt die Französin mit einem gerissenen Kreuzband im Schnee.
Dieser 17. Februar war der bitterste Moment in der Karriere der heute 30-Jährigen; der 10. Februar 2013 war der definitiv schönste in der Karriere des Kraftpakets aus Saint-Martin-d’Hères nahe Grenoble. Gold in der WM-Abfahrt, „noch dazu in dem Ski-Land schlechthin, das ist unglaublich“. Und so feierte sich Marion Rolland durch den Schladminger Abend, und was ihr Ziel war, das stellte sie schon vor der Siegerehrung klar: „Ce soir je me saoule“, zu Deutsch ungefähr „heute Abend hack’ ich mich um“, ließ sie wissen.
Da waren längst die Gratulationen von Marielle Goitschel („ich hab’ vor dem Fernseher geweint“) bei ihr eingegangen. Die heute 77-Jährige war die letzte französische Abfahrtsweltmeisterin. Das war im chilenischen Portillo – vor 47 Jahren.
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