Der Gefallene hat wieder Rückhalt
Es war eine flüchtige Begegnung auf dem Flughafen von Helsinki. Gregor Schlierenzauer, damals Shootingstar auf dem Springerhimmel, erkannte Matti Nykänen, den erfolgreichsten Skispringer der Geschichte. Die Bemühungen des jungen Österreichers, ein Autogramm zu bekommen, gestalteten sich schwierig, denn Nykänen sei damals „ziemlich rauschig“ gewesen. Er habe kaum mit halbwegs ruhiger Hand seinen Namen auf einen Zettel schreiben können.
Vielleicht rührt aus dieser Begegnung auch die Tatsache, dass Schlierenzauer für Nykänen nicht sonderlich viel Sympathie aufbringen kann. Er sagt über den Finnen, der nach seiner Laufbahn die Kontrolle über sein Leben verlor: „Er ist auf dem Papier der mit den meisten Siegen in unserem Sport. Doch er macht auch so viele Negativschlagzeilen. Es wär’ gescheit, wenn ein anderer mit dem Rekord in Verbindung gebracht wird.“
Am Mittwoch kann er den Namen Schlierenzauer mit dem Rekord in Verbindung bringen, kann im polnischen Wisla (20.30 Uhr, live in ORF eins und Eurosport) den 46. Sieg im Weltcup holen. So oft hat Nykänen zwischen 1981 und 1989 gewonnen.
Der Finne kann sich an die Begegnung nicht mehr erinnern, sagt aber: „Natürlich ist mir der Rekord wichtig, aber die Olympiamedaillen und WM-Titel sind mir wichtiger. Der Rekord ist ein Bonus. Gregor ist ein großartiger Springer – deshalb wäre es völlig okay, wenn er sich den Rekord holt. Ich würde mich für ihn freuen, anstatt traurig zu sein.“
Matti Nykänen feiert dieses Jahr seinen 50. Geburtstag. Und er scheint wieder in die Spur gefunden zu haben. 62 Kilo habe er, so sagt er. Bei 1,77 Metern Größe ist das ein ideales Fluggewicht. Matti Nykänen ist nicht mehr aufgedunsen, 20 Kilo habe er in den letzten zwei Jahren abgenommen.
Das Scheitern
Doch sein hageres Gesicht spricht Bände und lässt erahnen, was er seinem Körper und seiner Seele angetan hat. Schon aus seiner aktiven Zeit gibt es mehr als nur eine Alkoholanekdote. Nach seinem Karriereende wurden diese zu tragischen Geschichten über das Scheitern eines Sportidols.
1984 gewann er erstmals Olympiagold, vier Jahre später feierte er mit Siegen im Team, von der Normal- und von der Großschanze den ganz großen Triumph. Er wurde Einzel-Weltmeister, gewann vier Mal den Gesamtweltcup und holte 46 Einzelsiege im Weltcup – mehr als jeder andere Springer bisher.
Aber er konnte all seine Erfolge nicht genießen. Er stand sich selbst im Weg. „Grüße aus der Hölle“ heißt sein Buch, das er mit dem Journalisten Egon Theiner geschrieben hat. „Ich glaube, die Hölle ist nicht so schlimm wie mein Leben jahrelang war. Die Hölle muss ein besserer Ort sein“, sagte er im Dezember in einem Interview mit der deutschen Tageszeitung Die Welt. Er erklärte, dass er nach Ende der Karriere in ein psychisches Loch gefallen sei. „Ich habe später getrunken, weil ich nichts anderes zu tun hatte, weil ich vergessen wollte.“
Dem Suff verfallen, versuchte er sich als Stripper und Sänger. 2004 wurde ihm und seiner Frau vorgeworfen, im Rausch einen Freund niedergestochen zu haben. Die Folge: 13 Monate Haft, im September 2005 kam er aus dem Gefängnis. Nur 103 Stunden später geriet er wieder in U-Haft, weil er seiner damaligen Frau Mervi im Vollrausch eine blutige Kopfwunde zugefügt haben soll. Vor drei Jahren flüchtete Mervi mit Schnittwunden zu Freunden, Nykänen wurde im August 2010 zu 16 Monaten Haft verdonnert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Nykänen hat inzwischen seine Susanna kennengelernt. Und es scheint, dass er die Hölle hinter sich gelassen hat.
In seiner Heimatstadt Jyväskylä, 270 Kilometer nördlich von Helsinki, ist eine Schanze nach ihm benannt. Die hat er diesen Sommer bezwungen, nun trainiert er für die Senioren-WM.
Der Rückhalt
Seit mehr als zwei Jahren kennt er nun Susanna Ruotsalainen, sie hat ihm Halt gegeben, sie hat ihn einen Sinn im Leben finden lassen. „Sie ist die Erste, der ich wirklich vertraue“, sagt er. Nykänen war drei Mal verheiratet, aber er würde es mit Susanna gerne versuchen. Aber: „Ich möchte nüchtern heiraten – bei der letzten Hochzeit war ich das nicht.“
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