Selbstversuch Bobfahren
Die Worte sollen beruhigen. Doch beruhigen sie wirklich? "Sie müssen ja nicht, aber eigentlich kann nichts passieren."
Eigentlich.
11.21 Uhr. Wir befinden uns im Restaurant am Start der Olympia-Bobbahn in St. Moritz. Ein frühes Mittagessen. Henkersmahlzeit. Der Schweizer Uhrenhersteller Omega hat in den feinen Wintersportort eingeladen, um den neuen Monobob-Bewerb zu promoten (siehe Abschnitt unten). Ich "darf" einmal eine Fahrt im Viererbob ausprobieren. Ins Plaudern gekommen ist Erich Schärer, der Bob-Olympiasieger von 1980. Der heute 68-jährige Schweizer ist 19 Jahre lang Bob gefahren. 19 Mal ist er gestürzt. "Nur" ein paar Wochen musste er im Spital verbringen.
11.32 Uhr. Bahnbesichtigung. Wir schreiten den Weg entlang der Natur-Eisbahn ab. "Hier ist ein Österreicher aus der Bahn geflogen", erzählt Schärer. "Dabei hat er sein Bein verloren." Hundert Meter weiter in der Horse-Shoe-Kurve bleibt er wieder stehen, zeigt in Richtung eines Baumes: "Dort oben ist einmal ein Bob gehangen. Und die Fahrer sind irgendwo dort unten im Wald gelegen."
11.49 Uhr. Letzte Anweisungen im Restaurant am Start. "Einsteigen, hinsetzen, anhalten, genießen". Mehr brauche ich nicht zu tun - und passieren, kann "eigentlich" nichts. Okay, das hatten wir schon. An der Wand hängen Fotos von mehr als 100 Jahren Bob-Geschichte in St. Moritz. Auf jedem zweiten Foto sieht man Menschen stürzen.
11.57 Uhr. Gleich ist unser Bob an der Reihe. Ich sitze drinnen. Ganz vorne der Steuermann, vor mir eine Dame, ebenfalls ein Gast. Hinter dem schweren Gefährt steht der Bremser. Gebremst wird aber prinzipiell erst im Ziel.
12.01 Uhr. Wir stehen. Ruhe kehrt ein. Der Fahrer schüttelt mir die Hand und gratuliert. Wozu eigentlich? Ich war im wahrsten Sinne des Wortes nur Passagier.
Doch das soll sich heute noch ändern.
14.08 Uhr. Wieder sitze ich in einem Bob. Diesmal alleine. Omega hat einen Monobob zur Verfügung gestellt. "Ausnahmsweise" darf ich den vom sogenannten "Damenstart" ausprobieren. Die Anweisungen: "Im Kurveneingang leicht einlenken, dann die Seile locker halten, im Kurvenausgang wieder leicht einlenken." Wenn man keine groben Fehler macht, kann eigentlich nichts passieren. Schon wieder: "wenn" und "eigentlich".
14.12. Uhr. Ich bin ein Held.
15.000 Kubikmeter Schnee; 7000 Kubikmeter Wasser; drei Wochen Schufterei. Das sind die Zutaten für die größte Schneeskulptur der Welt – die Bobbahn in St. Moritz. 14 Arbeiter aus Südtirol reisen Jahr für Jahr im November an und modellieren das 1722 Meter lange Gebilde mit den 14 Kurven an den Hang. Irgendwann, wenn die März-Sonne auf den Hang brennt, wird die Bahn dem Verfall preisgegeben. Spätestens im Juni ist auch der letzte Batzen Schnee geschmolzen.
Die älteste Bobbahn der Welt wurde 1904 erstmals aus den Schneemassen geformt; 1924 und 1948 war sie Schauplatz olympischer Entscheidungen; heute ist sie die letzte übrig gebliebene Natureispiste der Welt. Und zugleich ist sie Sinnbild für Tradition und Verschwendung im noblen Schweizer Wintersportort, wo Geld noch immer keine Rolle zu spielen scheint.
Günstiger Einstieg
Hierher hat der Schweizer Uhrenhersteller Omega geladen und alle Kosten übernommen, um seinen "Omega-Monobob"-Bewerb zu promoten. Der Formel-1-Rennstall Sauber war maßgeblich an der Entwicklung der baugleichen Einer-Bobs beteiligt, sowohl Bobs als auch Kufen werden vor dem Rennen unter den Teilnehmern ausgelost, über Sieg oder Niederlage entscheidet einzig das Fahrkönnen der Piloten. Jungen Athleten soll der günstige Einstieg in den sonst so teuren Bobsport ermöglicht werden.
"Eine Saison im Zweierbob kostet rund 300.000 Euro", sagt Erich Schärer. "Wer kann sich das leisten?" Der 68-Jährige schüttelt den Kopf. 8000-mal fuhr er die Bahn in St. Moritz mit dem Bob hinunter, bei Olympia 1980 in Lake Placid holte er Gold für die Schweiz im Zweierbob, dazu kommen drei weitere olympische Medaillen und acht WM-Titel. Vor vier Jahren hatte Schärer die Vision, mit Monobobs eine Plattform für den Nachwuchs zu schaffen. Im Uhrenhersteller fand er einen Unterstützer.
In St. Moritz gehen 22 junge Sportler aus acht Nationen in den letzten von drei Läufen dieser Saison, die Kosten wurden für die meisten von ihnen übernommen. Unter anderem für Robin Neukom aus Liechtenstein, der im Trainingsanzug den 130 Kilogramm schweren Bob anschiebt, oder für Jessica Victoria, eine Gewichtheberin aus Brasilien. Im Fitnesscenter des Hotels macht sie mit 150 Kilogramm auf den Schultern Kniebeugen, Männer verlassen beschämt den Raum. Im Rennen der Mädchen belegt sie Rang fünf, verloren hat sie nur bei der Wahl der Schuhe; bei der Siegerehrung zittert sie bei minus zehn Grad in Ballerinas ohne Socken.
Das erste Mal Schnee
Eine Woche lang durfte sie vor dem Bewerb am Sonntag trainieren. Am Renntag schiebt sie den 130 Kilogramm leichten Bob behutsam in die Bahn, springt hinein, touchiert gleich die Bande – ein Mal, zwei Mal, drei Mal, immer wieder. Durchgeschüttelt und mit 16 Sekunden Rückstand auf die Siegerin fährt sie durchs Ziel. Stolz und voller Euphorie. Bei den Jugendspielen in Lillehammer 2016 wird Monobob erstmals olympisch sein. Vielleicht mit Shomoy McNaughton an den Steuerseilen. Ihr Ziel, ein Traum: "Gold!"
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