Wie das größte Sportspektakel der Welt zum Kinderspiel wird

Tokio begegnet den Olympischen Spielen 2020 gelassen. Das liegt an der Perfektion der Gastgeber. Ein Lokalaugenschein.

Die Japaner fiebern dem sportlichen Großereignis entgegen. Am Flughafen in Tokio empfangen übergroße Fotos der Hauptdarsteller die Ankommenden; Fanartikel sind bereits im Megastore zu erstehen, einem riesigen Zelt, das neben dem 204 Meter hohen Mode Gakuen Cocoon Tower aufgebaut wurde und in dem sich die Fans drängen. Über dem Eingang der Schriftzug: „Rugby World Cup, Japan, 2019“.

Weniger als ein Jahr vor der Eröffnung der Olympischen Sommerspiele 2020 beschäftigt die japanischen Sportfans vor allem die Rugby-Heim-WM (ab 20. September). Und das Weltereignis Olympia? Das lässt die meisten Einwohner der Megastadt vorerst kalt.

Video: So hochmodern werden die Olympischen Spiele

Denn wenn es eine Stadt gibt, die dieses Milliardenprojekt locker und fast nebenbei organisiert und absolviert, dann ist es Tokio. Hier schießen Jahr für Jahr neue Wolkenkratzer in die Höhe, ganze Stadtteile wachsen aus dem Meer. 12,5 Millionen Einwohner zählt die Metropole, im Ballungsraum Tokio-Yokohama leben 35 Millionen.

Japaner lieben Perfektion. Selbstredend liegt man bei den Vorbereitungen nicht nur im Zeitplan, man ist seiner Zeit sogar voraus. „Ich kann mich an keine Gastgeberstadt erinnern, die ein Jahr vor den Spielen bei der Vorbereitung schon so weit war“, sagte IOC-Präsident Thomas Bach unlängst.

43 Veranstaltungsstätten wird es bei den Spielen geben. Die bekannteste davon ist das Nippon Budokan, die legendäre Kampfsporthalle, erbaut für die Spiele 1964, nachempfunden einem buddhistischen Tempel. Hier feiern die Japaner dieser Tage bei der WM nicht nur ihre Judo-Helden, auch Bob Dylan spielte dort 1978 sein Live-Album „At Budokan“ ein. Unter anderem traten auch die Beatles, die Rolling Stones und Prince dort auf.

Acht Sportstätten werden für eine längerfristige Nutzung neu gebaut. Das Olympiastadion von 1964 wurde geschleift, an derselben Stelle steht längst der neue Bau. Dem Olympic Stadium (Eröffnungs- und Schlussfeier, Leichtathletik, Fußball) fehlen nur noch Rasen, Laufbahn und 15.000 der 60.000 Sitzplätze. Betreten der Baustelle? Strengstens verboten! Auch da nehmen es die akribischen Japaner genau.

In der Bay Zone wird das Herz von Olympia schlagen. Hier wird 2020 unter anderem geschwommen, geturnt und gespielt – Tennis, Basketball, Hockey, Volleyball. Dazwischen steht seit 1996 das Tokyo International Exhibition Centre, ein Messezentrum, das aussieht wie vier auf den Kopf gestellte ägyptische Pyramiden, in dem in elf Monaten die Journalisten arbeiten werden.

Video: Die olympischen Sportstätten ein Jahr vor den Spielen

Gearbeitet wird derzeit noch im zukünftigen Athletendorf. Doch es scheint, als wäre es nur noch Feinschliff, der hier erledigt wird, mehr kehren als bohren. Ende des Jahres werden die Häuser bezugsfertig sein. Anders als 2016 in Rio, als österreichische Handwerker letzte Installationsarbeiten erledigen mussten, nachdem die Sportler bereits eingezogen waren. „Wir werden diesmal nichts improvisieren müssen“, sagt Peter Mennel, der Generalsekretär des ÖOC.

In den 21 zwölfstöckigen Häusern werden die 10.500 Athleten und ihre Betreuer wohnen. Die Räume sollen niedrig sein - klein, aber fein. Die Betten sind aus Karton gebaut. Liegequalität: solide. Wiederverwertbarkeit: hervorragend. Nach den Spielen sollen die Wohnungen verkauft werden.

Die Kosten für Olympia sind hoch. 5,6 Milliarden Euro kostet die Durchführung, inklusive Investitionen in die Infrastruktur werden die Spiele 12,6 Milliarden verschlingen. Das würde damit im Bereich von London 2012 liegen. Der Sprecher der Spiele, Masa Takaya, sagt, dass die Budgets genau eingehalten werden. Kritiker behaupten allerdings, dass dabei mit Tricks gearbeitet worden sei. So sollen etwa Ausgaben für Sporthallen als „Investition für die Stadt“ deklariert worden sein – und somit nicht im Olympia-Budget aufscheinen.

Die olympischen Sportstätten:    

Vor dem Olympiastadion in Tokio überquert ein Radfahrer die Straße.

Das Olympiastadion

Das Olympiastadion von 1964 wurde abgerissen. An der selben Stelle wurde das neue Nationalstadion errichtet. Von außen scheint die Anlage schon fertig, innen wird noch gebaut. Hier wird es die Eröffnungsfeier und die Schlussfeier geben, die Leichtathletik-Bewerbe und das Fußball-Finale der Frauen.

Das Olympiastadion Tokio mit seiner markanten Holzkonstruktion und umliegenden Hochhäusern.

Ariake Gymnastics Centre

Die neu errichtete Halle war ursprünglich als temporäres Gebäude geplant. Nun wird sie für mindestens zehn Jahre in der Bay Area stehen. 12.000 Zuschauer werden den Turnern zusehen.

Blick auf die Skyline von Tokio mit der Rainbow Bridge im Hintergrund und einem Tokyo Cruise Schild im Vordergrund.

Odaiba Marine Park

Hier sieht es noch nicht sehr nach Olympia aus. Im Odaiba Marina Park werden die Triathleten starten und die Langstreckenschwimmer ihre Medaillen unter sich ausmachen. Barrieren trennen den Teil der Bucht vom Hafenbecken, um eine gute Wasserqualität zu garantieren. Beim Test-Event der Triathleten war das Wasser zu warm und auch durch Bakterien verunreinigt.

Ein großes, traditionelles japanisches Tor aus Stein und Holz mit einem Mann im Hintergrund.

Nippon Budokan

Die legendäre Kampfsporthalle wurde bereits für die Spiele 1964 errichtet, nun wurde sie leicht renoviert. Die Stimmung im Inneren ist großartig. Nur die engen Zugänge und kleinen Medienbereiche erinnern daran, dass die Halle über ein halbes Jahrhundert alt ist.

Eine Freifläche mit einem Gebäude im Bau und der Skyline einer Stadt im Hintergrund.

Shiokaze Park

In London 2012 lag die Beachvolleyball-Arena mitten in der Stadt, in Rio 2016 an der Copacabana. Auch der Shiokaze Park in Tokio ist an einer attraktiven Stelle direkt am Meer. Die temporäre Anlage einem Park wird aber erst errichtet.

Eine Baustelle in Tokio mit einem Fußgängerampel im Vordergrund.

Ariake Urban Sports Park

Schon jetzt ist die Bahn zu erkennen. Außerdem werden im Araike Urban Sports Park erstmals die Skateboarder um Medaillen kämpfen. Die Anlage steht ganz in der Nähe das Athletendorfes.

Mehrere Gebäude, von denen sich eines im Bau befindet und mit einem Gerüst versehen ist.

Das olympische Dorf

Das Athletendorf ist so gut wie fertiggestellt. In den 21 Häusern werden die Sportler und ihre Betreuer wohnen. Insgesamt gibt es 10.000 Zimmer und 3.800 Apartments, die nach den Spielen verkauft werden. Das Interesse potenzieller Käufer ist sehr hoch.

Ein Mädchen steht in einem Souvenirladen vor Stofftieren der Maskottchen der Olympischen Spiele 2020 in Tokio.

Die Fanshops

In den Einkaufszentren sind bereits erste Fanshops. Am beliebtesten sind die Olympia-Maskottchen Miraitowa und Someity. Mehr als 1.000 Design-Ideen sind für die Maskottchen eingegangen, drei davon kamen in die nähere Auswahl. 200.000 (!) Schulklassen haben sich in einer Abstimmung dann für Miraitowa und Someity entschieden.

Ein humanoider Roboter steht in einem Informationsstand in Aqua City, Odaiba.

Die Roboter

Akkreditierte Personen werden bei Olympia per automatischer Gesichtserkennung erfasst. Und auch am Informationsschalter stehen nicht immer Menschen. So wurde etwa der KURIER in einem Einkaufszentrum von einer Roboter-Dame empfangen. Hat die Kommunikation geklappt? Nein.

Peter Mennel mag diese Diskussionen gar nicht. „Natürlich kostet ein olympisches Dorf viel Geld – aber die Wohnungen werden ja wieder verkauft, und das Geld kommt zurück. Und Investitionen in die Infrastruktur sind doch Investitionen in die Zukunft“, sagt er und bringt Beispiele im Kleinen: „Ohne Ski-WM hätte St. Anton wahrscheinlich keinen ordentlichen Bahnhof, ohne Fußball-EM würde die U2 in Wien vielleicht nicht über das Stadion nach Aspern fahren.“

Menschen drängen sich in einem vollen Zug in Japan.

Dicht gedrängt: Die Öffis in Tokio in der Rush Hour

In Tokio sind alle Sportstätten mit U-, Schnell- und Einschienen-Bahn zu erreichen. Acht Millionen Menschen nutzen täglich die Züge. Bei Olympia dürften es um 650.000 mehr sein. Kein Problem: Man werde einfach die Betriebszeiten ausweiten.

Auf jede Herausforderung eine Antwort. Das ist Japan. Nur gegen die schwüle Sommerhitze kann man nichts machen. Am Donnerstag waren die Mittagstemperaturen um die 30 Grad in Verbindung mit der hohen Luftfeuchtigkeit selbst für Spaziergänger kaum zu ertragen. An manchen Tagen im August kann es noch deutlich heißer werden.

Der Veranstalter bleibt cool. Ventilatoren und Sprühnebel sollen die Beachvolleyballer kühlen, Planen werden Sportlern Schatten spenden, ein spezieller Straßenbelag soll Marathonläufern und Gehern heiße Sohlen ersparen.

Offenlegung: Die Reise nach Tokio wurde vom ÖOC organisiert.

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