Vor Olympia: "Die Kluft geht immer mehr auf"
Jubelmeldungen kommen aus Rio de Janeiro. 152 Tage vor Beginn der Olympischen Sommerspiele sind die Wettkampfstätten so gut wie fertig. Sogar die U-Bahn, die vom Zentrum zum Olympiapark führen soll, wird rechtzeitig in Betrieb genommen. Höchstwahrscheinlich. Die 16 Kilometer lange Metrolinie ist für die Stadt das wichtigste Infrastrukturprojekt der Spiele.
Doch abseits der offiziellen Jubelmeldungen gibt es kritische Töne. Teile der Bevölkerung leisten Widerstand, sie wehren sich gegen Zwangsräumungen, Gewalt und Verschwendung von Steuergeld. Sprachrohr der Unterdrückten und Vertriebenen ist Julia Bustamente Silva, Menschenrechtsaktivistin vom Institut für alternative Politik aus Rio, derzeit auf Wien-Besuch. Sie kämpft vor allem gegen die gewaltvolle Räumung von Armensiedlungen wie die "Vila Autodromo", einer Favela am Rande des Olympia-Parks. Die Nähe dieser Siedlungen zu den Sportstätten störe die Immobilien-Spekulanten, die in einer aufgewerteten Region der Stadt Grundstücke zur kommerziellen Nutzung wollen, zum eigenen Mehrwert.
Gewalt von oben
"Mehr als 60.000 Menschen wurden schon umgesiedelt, zumeist gegen ihren Willen", sagt Bustamente. "Noch immer finden jeden Tag Zwangsumsiedelungen statt." Die Gewalt der Obrigkeit sei dabei nicht nur psychologischer Natur, sie ist auch handgreiflich. "Die Gewalt ist im ganzen Bundesstaat spürbar. Hier gibt es die meisten Tötungen durch die Polizei. Man spricht von einer pro Tag."
"Olympische Spiele dürfen der lokalen Bevölkerung nicht schaden", sagt Bustamente. Doch für die Armen wird wenig bleiben. "Das Geld, das in die Spiele gesteckt wird, fehlt in anderen Bereichen, vor allem im Sozialsystem." Kurios: Es gibt in Brasilien mehr leer stehende Immobilien als Menschen, die eine Wohnung suchen. Allerdings sind diese Immobilien für Arme nicht leistbar. Im Schnitt sind die Preise für Wohnraum in Rio von 2012 bis 2015 um 29,4% gestiegen. In Gebieten wie der Favela Vidigal betrug die Steigerung gar 481%.
Schmutzwasser
Ein eigenes Bild vom Olympia-Schauplatz Rio gemacht hat sich Kanutin Ana Lehaci, die mit Partnerin Viktoria Schwarz wohl in Rio antreten wird. Sie hat sich beim Testevent 2015 die Favelas angeschaut und sagt: "Was rundum abrennt, ist extrem traurig. Eigentlich sollten sich die Menschen doch auf die Spiele freuen." Verabsäumt wurde vieles. Etwa die Säuberung des Reviers der Segler und der Kanuten. "Meine Partnerin sitzt im Boot hinter mir und bekommt von mir das Wasser ins Gesicht gespritzt. Sie muss extrem aufpassen und vorher Medikamente schlucken, damit sie nicht krank wird."
Auch Andreas Hanakamp setzt sich für die Sache der Menschen in Rio ein. Der 49-Jährige nahm zwei Mal in der Starboot-Klasse an Olympischen Spielen teil (1996, 2004). "Olympische Spiele sind das Größte, was man sich als Sportler vorstellen kann. Man muss dafür alles investieren. Doch der Preis dafür ist für andere sehr hoch. Unser Traum ist der Albtraum der anderen", sagt er. Und stellt die Frage: "Ist Olympia zur Bespaßung im Fernsehen geworden oder steckt noch mehr dahinter?‘"
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