Vielseitigkeit als königliches Vergnügen
Brav in einer Reihe stellen sich die Briten an, wie es sich so gehört. Mehrere hundert Meter lang sind die Schlangen vor jedem Eingangstor zum Gelände. Und das zweieinhalb Stunden, bevor der Bewerb überhaupt beginnt. Schon in der Früh hatte BBC One im Verkehrsüberblick berichtet: "Sie werden heute überall gut vorankommen. Nur beim Reiten werden mehr als 50.000 Fans erwartet."
50.000 Zuschauer beim Reiten? An einem normalen Werktag?? Zu Mittag???
Die Briten sind verrückt nach Pferden, der Reitsport hat auf der Insel eine ähnliche Bedeutung wie das Skifahren in Österreich. Und BBC One hatte recht. 50.000 kamen zum olympischen Vielseitigkeitsbewerb in den Greenwich Park.
Weitläufig
Der royale Park hat eine Fläche von 100 Fußballfeldern, 5728 Meter lang ist die Strecke beim Geländeritt – und gesäumt von Zuschauern. Der ganze Hügel ist voll, alle sind da, vom Neugeborenen bis zum Greis, von Prinz William bis zu Kate Middleton. Eine käseweiße Londonerin schmiert sich mit Sonnencreme ein, eine zerknitterte Oma trinkt ein Pint Bier, ein Bub liegt im saftig-grünen Gras. Union Jack überall. "Das sind meine fünften Olympischen Spielen", sagt der britische Reiter Carl Hester. "Aber so etwas hat es noch nie gegeben. Die Atmosphäre ist unglaublich. Ich musste weinen."
Die Zuschauer weinen nicht, sie warten. Warten gehört zum Geländeritt wie Fish zu Chips. Dann ertönt ein Pfiff, was bedeutet, dass gleich einer kommt. Die Zuschauer kreischen – und dann geht das Warten wieder von vorne los. Wenn die Pause länger dauert, ist einer vom Pferd gefallen. Die Pausen dauern ziemlich oft länger. Auch auf den Österreicher Harald Ambros warten die Zuschauer vergeblich. Der purzelt von O-Felitz und scheidet aus.
Das Spektakel nicht entgehen lassen sich Anne und Katharina. Die 16-jährigen Deutschen verbringen den Urlaub in London. "Wenn man einmal da ist, muss man sich anschauen, wie verrückt die alle sind", sagt Anne. "Das war mir die 50 Pfund wert." Pro Eintrittskarte. Schade finden sie nur, dass man nicht auf die alten Kastanienbäume klettern darf, von dort hätte man einen guten Ausblick. Doch die sind Weltkulturerbe. Wie der gesamte Greenwich Park seit dem Jahr 1997.
Die Veranstaltung ist ein Ritt auf historischem Gelände. Als erster königlicher Park wurde der Greenwich Park 1433 erschlossen; vor 500 Jahren ließ König Henry VIII. hier das erste Reit-Duell veranstalten. Das 1675 gegründete Observatorium ist das älteste Forschungsinstitut in Großbritannien, noch immer ist es ein Zentrum moderner Astronomie. Der Nullmeridian verläuft direkt durch das Hindernis Nr. 14, wo die meisten Fans stehen.
Alle wollen die Reiter sehen, natürlich. Aber bei der Reiterin mit der Startnummer 40 flippen sie komplett aus. Zara Phillips (31) ist die Tochter von Prinzessin Anne und damit die Enkelin der Queen. Die royale Reiterin gab ihr Olympia-Debüt auf "High Kingdom". Ja, ihr Wallach heißt tatsächlich so. Die Kameras klicken, wo sie auftaucht, die Reporter drängen sich um sie. "Es ist ein fantastisches Gefühl, auch ein Teil der olympischen Familie zu sein", diktiert sie in die Aufnahmegeräte, nach einem grandiosen Ritt. Fehlerfrei! God save the Queen.
Im Teambewerb gibt es nach dem abschließenden Springreiten trotzdem nur Silber. Hinter den Deutschen, die ihr erstes Gold bejubeln.
Vielseitigkeit: Die Kombination
Regeln
Vielseitigkeitsreiten wird international als "Eventing" bezeichnet und hieß früher "Military". Der Bewerb besteht aus der Kombination von drei Teilprüfungen: Dressur, Geländeritt und Springen. Das Pferd darf dabei nicht gewechselt werden. Der Geländeritt ist ein Ritt querfeldein, über natürliche und künstliche Hindernisse, die auch berührt werden dürfen, und durch Wasserhindernisse.
Kritik
Der Geländeritt ist der spektakulärste Teil der Vielseitigkeit, aber auch umstritten, da es bereits zu schweren Unfällen und sogar Todesfällen (von Mensch und Tier) gekommen ist.
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