Synchronschwimmende Männer: Giorgio allein im Pool
Ein Frauensport? Zumindest am Foro Italico in Rom waren sich alle einig, dass es das nicht ist. Als der Lokalmatador Giorgio Minisini ins Wasser sprang, konnten sich die Zuschauer und Zuschauerinnen kaum noch auf den Plätzen halten. Unter lautem Jubel begann der 26-Jährige am vergangenen Freitag etwas, das historisches Gewicht hat.
Erstmals sollten bei einem internationalen Großereignis männliche Synchronschwimmer das Becken für sich alleine haben. Die beiden Kategorien Technik und Freie Kür wurden bei dieser EM erstmals auch in Männer-Einzelbewerben bewertet. Minisini setzte sich in beiden Einzelbewerben – und mit Partnerin Lucrezia Ruggiero auch zweimal im Duett – durch.
"Historischer Moment"
„Es war so wichtig, hier zu sein“, zieht Minisini das Fazit aus den fünf Tagen, die die Synchronschwimm-Familie hier im Pietrangeli-Becken verbracht hat. „Es war wichtig, dass die Punkterichter endlich Männer schwimmen sehen.“ Ein „historischer Moment“, wie er betont. Der erste zu sein, der diesen Bewerb gewinnen konnte, fühle sich „magisch“ an. „Dass das auch noch vor meiner Haustür stattfindet, war unglaublich.“
Mit 15 Jahren hatte sich Giorgio Minisini für das Synchronschwimmen entschieden. Damals, 2011, gab es noch keine Möglichkeit für Männer, an einem internationalen Großevent teilzunehmen. Das änderte sich erst 2015, als bei der WM im russischen Kasan erstmals das gemischte Duett zugelassen war. „Dieser Sport ist nur für Frauen“, hatte der damalige russische Sportminister Vitali Mutko kritisiert.
Und tatsächlich: Vom Olympischen Comité wird Synchronschwimmen als Frauensportart eingestuft. Doch die Diskussionen, ob Männer bei olympischen Synchronschwimm-Bewerben zugelassen werden sollen, sind in vollem Gange. 2024 in Paris werden allerdings aller Voraussicht nach ausschließlich Frauen zu sehen sein.
"Nicht leicht für Männer"
„Natürlich haben einige Menschen Vorurteile“, sagte Minisini damals, als das Mixed-Duett weltmeisterlich wurde. „Aber ich mache das, was ich am besten kann“, fügte er selbstbewusst hinzu.
Selbstbewusstsein ist das Um und Auf für Athleten wie ihn. „Es ist nicht leicht für einen Mann, sich als Synchronschwimmer zu bezeichnen“, mutmaßt Marie Kavaklioglu vom technischen Komitee der Synchronschwimmer im europäischen Schwimmverband im KURIER-Gespräch. Sie vergleicht mit Sportarten wie Ballett und Eiskunstlauf. „Weil viele Menschen falsche und veraltete Vorstellungen haben.“
Bei der EM in Rom waren insgesamt nur vier Männer im Einzel am Start. „Es braucht Zeit“, sagt Kavaklioglu. Viele seien heuer noch zu jung für die EM gewesen. In Österreich gibt es derzeit keine Männer, die in dem Sport Wettkämpfe bestreiten, sagt die Trainerin der Alexandri-Schwestern, Albena Mladenova zur APA. Kavaklioglu hofft auf die Jungen: „Ich glaube, dass jüngere Generationen offener sind. Sie drängen Männer nicht in eine Ecke, weil sie bestimmte Sportarten machen.“
Männersport
Synchronschwimmen (damals „Reigenschwimmen“) galt bis Ende des 19. Jahrhunderts als Männersportart. Ab 1907 waren Frauen zugelassen.
Frauensport
In den 1950er Jahren mutierte das Synchronschwimmen zur Frauensportart. Das blieb jahrzehntelang so. 1984 wurde es olympisch – bis heute sind bei Olympia nur Frauen zugelassen.
Durchbruch
Erstmals wurden Männer 2015 bei der WM im russischen Kasan für das Mixed Duett zugelassen.
Einzel-Premiere
Bei der Europameisterschaft in Rom fand am 13. August 2022 die Premiere statt: Erstmals bei großen internationalen Titelkämpfen wurden hier Medaillen in Einzel-Wettbewerben eigens für Männer vergeben.
In die Herzen der Fans
Giorgio Minisini räumt Tag für Tag Vorurteile aus dem Weg. In den vergangenen Tagen war er höchst präsent in den italienischen Medien, auch am Foro Italico fiel er immer wieder auf. Mit Perücke in den italienischen Farben, bunten Kleidern, verrückten Sonnenbrillen. Immer für einen Spaß zu haben.
Bei der Gala-Vorstellung gewann er endgültig die Herzen der Zuschauer, als er eine entzückende Show mit der Athletin Arianna Sacripante zeigte, die mit dem Down-Syndrom lebt. Die Partnerin fürs Leben hat der Römer offenbar auch schon gefunden: Privat ist er mit Kollegin Enrica Piccoli liiert.
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