Der südafrikanische Rugby-Held, der Geschichte schrieb

Mit einem echten Schlagerspiel startete am Freitag die Rugby-WM, eines der größten Sportereignisse des Jahres. Vor mehr als 80.000 Fans im ausverkauften Stade de France in Paris kämpfte Gastgeber Frankreich den dreifachen Weltmeister Neuseeland 27:13 nieder.
Ebenfalls längst ausverkauft ist die Partie von Mitfavorit Südafrika gegen Schottland am Sonntag in Marseille (17.45/Pro7MAXX, Joyn). Ein Mann könnte diese WM prägen: Siyamthanda „Siya“ Kolisi. Der 32-Jährige spielt als „Flanker“ (Flügelstürmer) für Südafrika, es gibt nichts, das er auf dem Spielfeld nicht kann. In der 132-jährigen Geschichte der „Springboks“ ist er der erste Schwarze Kapitän des Nationalteams.
Im Gegensatz zum Fußball war Rugby in Südafrika die längste Zeit ein Sport der Weißen. Bis 1981 war es schwarzen Athleten sogar verboten, das Trikot der Nationalmannschaft anzuziehen. Mit dem Ende der Apartheid 1994 änderte sich das Bild im Rugby nur langsam.
1995 gewann Südafrika die WM im eigenen Land, Präsident Nelson Mandela übergab den Pokal an ein Team, das sich zwar multikulturell präsentierte, doch mit Chester Williams stand nur ein nicht-weißer Spieler im Kader. Trotzdem war es eines der wichtigsten Sportereignisse in der Geschichte des Landes und wurde durch Clint Eastwoods Film Invictus weltberühmt.
„Ich war damals zu jung, um das mitzukriegen“, sagt Kolisi in einem Video des Verbandes. „Aber Herr Mandela hatte recht, als er davon sprach, welche Kraft der Sport hat, die Menschen zu vereinen.“
Siya Kolisi ist in ärmsten Verhältnissen in Port Elizabeth aufgewachsen. „Ich bin oft mit leerem Magen schlafen gegangen“, erzählt er. „Und wenn Menschen hungrig sind, beginnen sie zu stehlen oder sie gehen einbrechen.“ Kolisi ging zum Rugby, in Südafrika neben Fußball und Cricket der populärste Sport. Er spielte auf geschotterten Plätzen. Dort wurde er entdeckt und erhielt ein Stipendium an einer Privatschule.
Aufstieg bis auf den Gipfel
„Ich bin den ganzen Tag am Platz gesessen, habe der Kampfmannschaft zugeschaut und bin erst in der Dunkelheit nach Hause gekommen“, sagt er. „Finanziell konnte mich mein Umfeld nicht unterstützen, aber es gab mir Liebe und man war immer geduldig mit mir. Mehr braucht man als Kind nicht.“
Kolisi schaffte es tatsächlich bis ganz nach oben. Nach dem WM-Finalsieg 2019 gegen England stemmte er als erster Schwarze Kapitän der WM-Geschichte den WM-Pokal in den Nachthimmel. Danach wurde er vom Magazin New African unter die 100 einflussreichsten Menschen aus Afrika gewählt. Mittlerweile ist er Red-Bull-Sportler. Mit seiner Frau Rachel hat er zwei Kinder und seine zwei deutlich jüngeren Halbgeschwister adoptiert.
Als erster nicht weißer Teamkapitän in Südafrikas Rugby-Team schrieb Siya Kolisi Geschichte. Das sind andere Vorreiter:
Tiger Woods
Am 13. April 1997 stellt der damals 21-jährige Tiger Woods die Golf-Welt auf den Kopf. Mit dem Rekord-Ergebnis von 18 unter Par und dem Rekord-Vorsprung von 12 Schlägen gewinnt er das Masters in Augusta und zeigt der Welt, dass weder Hautfarbe noch Alter entscheidend sind, um einen Golfball im Loch zu versenken.
Fallon Sherrock
Als erste Frau gewinnt die Engländerin 2019 bei der Darts-WM eine Partie. Vor zwei Wochen gelingt ihr vor Kameras ein Neun-Darter.
Bill May
2004 wird der US-Synchronschwimmer nicht zu Olympia zugelassen. Nach zehn Jahren Sport-Pause darf er an der WM 2015 teilnehmen, wo er als erster Mann (mit Christina Jones) Gold holt.
Eva Ganster
Im Februar 1997 springt die damals 18-jährige Tirolerin als erste Frau über eine Skiflugschanze (167 m).
Doug Williams
Schwarze Quarterbacks waren in der NFL einst nicht sehr beliebt. Williams setzt sich durch und gewinnt 1987 den Super Bowl.
Cathy Freeman
Bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney wird Leichtathletin Cathy Freeman zum Star und Liebling der Fans. Sie gehört den Aborigines an, entzündet das olympische Feuer und holt Gold über 400 Meter. Als Botschafterin der Ureinwohner Australiens macht sie ihr Land und die Weltöffentlichkeit auf dessen Situation aufmerksam.
Immer wieder weist der wortgewandte Redner darauf hin, woher er kommt und welchen Weg er hinter sich hat: „Wenn ich ein Trikot anziehe, denke ich daran, für wen ich spiele. Für jene, die hungrig sind, die finanzielle Probleme haben, für jene, die ohne Schuhe in die Schule gehen müssen.“ Immer wieder betont Siya Kolisi, dass er Kinder inspirieren möchte, er will jungen Menschen zeigen, dass es egal ist, woher man komme. Man müsse nur sein Leben leben und um seine Träume kämpfen. Und immer wieder erzählt er seine Geschichte, um zu inspirieren: „Ich bin Siyamthanda Kolisi, ich bin stolz, ein Springbok zu sein. Aber ich bin noch stolzer, Südafrikaner zu sein.“
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