Vincenzo Nibalis Ritterschlag

Allein auf weiter Flur: Nibalis Antritten konnte in Frankreich niemand etwas entgegensetzen.
Der Sizilianer lernte bereits früh nicht aufzugeben und an Zielen festzuhalten.

Er ist 29 Jahre alt, trägt seit geraumer Zeit das gelbe Trikot der Tour de France und wird der "Hai von Messina" genannt. Vincenzo Nibali steht in Frankreich unmittelbar vor dem größten Erfolg seiner Karriere. Schon vor dem Start der diesjährigen Tour de France zählte Nibali neben Vorjahressieger Christopher Froome und Alberto Contador zu den Topfavoriten. Nachdem Froome und Contador nach schweren Stürzen verletzungsbedingt die Segel streichen mussten, war der Weg für den Italiener frei. Die anderen Kontrahenten hielt Nibali in eindrucksvoller Manier in Schach und geriet nicht annähernd ins Wanken. Da der Sizilianer ein ausgezeichneter Zeitfahrer ist und bei der letzten Etappe das unbschriebene Gesetz gilt, den Gesamtführenden nicht mehr zu attackieren, wird Vincenzo Nibali Sonntagabend endgültig als Tour-de-France-Sieger 2014 feststehen.

Der Ätna als Ziel

Klein Vincenzo begann früh mit dem Radsport. Bereits in seiner Kindheit radelte er seinem Vater auf den unweit seines Heimatorts gelegenen Ätna hinterher. Nachdem ihn am Anstieg allerdings die Kräfte verließen, soll er sein Fahrrad des Öfteren mit einem Seil am Wagen seiner Mutter festgebunden haben, um mit etwas Hilfe auf den Gipfel zu gelangen - an Umkehren, oder gar Aufgeben war also damals schon nicht zu denken. Das Erreichen seiner Träume und sein unbändiger Willen zeichnen ihn auch heute noch aus.

Nicht anders ist es zu verstehen, dass er damals als 16-Jähriger sein geliebtes Messina verließ um in der großen Radsport-Welt Fuß zu fassen. "Ich habe alles hinter mir gelassen. Familie, Freunde, mein ganzes Leben", erzählte er einst in einem Interview. Seinen ersten großen Erfolg feierte der Italiener im Alter von 18 Jahren bei den Welmeisterschaften der Junioren 2002 im Zeitfahren, als er den dritten Platz belegte. Im Jahr 2005 durfte sich Nibali erstmals Radprofi nennen - das italienische Radsportteam Fassa Bortolo nahm den damals 21-jährigen Sizilianer unter Vertrag.

Schon damals bestach Nibali durch seine Angriffslust, die ihm rasch den Spitznamen "Hai von Messina" einbrachte. Seinen aggressiven Fahrstil konnte er aber nicht immer zu seinem Vorteil nutzen. Vor allem in seinen ersten Profi-Jahren brachte sich Nibali oft durch "Harakiri-Aktionen" in den Bergen um die Früchte seiner Arbeit, trudelte oft mit minutenlangem Rückstand über die Ziellinie und bezahlte viel Lehrgeld - Lehrgeld, das sich später bezahlt machen sollte.

Der Hai und die Akribie

Von 2006 bis 2012 fuhr Nibali für den italienischen Rennstall Liquigas, der mittlerweile in Cannondale umbenannt wurde. Dort gelang ihm 2010 auch seiner erster Gesamtsieg bei einer der drei großen Landes-Rundfahrten. Vincenzo Nibali kürte sich zum Sieger der Vuelta a Espana. Nach seinem Wechsel zum Astana Pro Team 2013 durfte sich der Italiener auch Giro-d'Italia-Sieger nennen. Somit fehlte ihm nur noch eine Rundfahrt zum Ritterschlag - die Tour de France. Nachdem Nibali bei der Tour 2012 den dritten Gesamtplatz belegte, überließ er diesmal nichts dem Zufall.

Akribisch bereitete er sich auf die Königsrundfahrt des Radsports vor. Mehrstündige Trainingsfahrten in den Dolomiten - hinter einem Motorrad, dass sekündlich das Tempo verschärft und wieder verringert, um die Attacken von Chris Froome zu simulieren. Und immer dann wenn der Sizilianer vor Anstrengung fast schon vom Rad fiel, ging es hinter dem aggressiv attackierenden "Froome-Double" noch einmal berghoch.

Dieses verbissene und harte Training, gepaart mit seinem fahrerischen Können, ließ die Konkurrenz in den letzten Wochen bei der Tour de France reihenweise verzweifeln. Nibali ging bei Attacken seiner Gegner in den Alpen und Pyrenäen spielend mit, auch wenn zwei, drei Fahrer abwechselnd versuchten ihn zu zermürben. Zermürbt wurden schlussendlich nur sie selbst. Der Hai von Messina konterte die Angriffe scheinbar immer zum richtigen Zeitpunkt und gewann nicht weniger als vier Etappen. Nach seinem Sieg auf der schwierigen und bergigen 18. Etappe mit der Ankunft in Hautacam, twitterte Nibali: "Das ist mein Sieg heute. Ich widme ihn meinem Team und euch!"

Ob Froome und Contador bei der Dominanz des Sizilianers hätten mithalten können lässt sich nicht beantworten, ist aber mehr als fraglich - zu abgeklärt agierte Nibali sowohl in den Bergen, als auch auf den schwierigen Pflastersteinpassagen in der "Hölle des Nordens". Nibali war ob des Ausscheidens der beiden Mitfavoriten jedenfalls bitter enttäuscht und hätte sich auf ein Duell mit den Beiden gefreut. "Es ist eine Schande, dass die Tour zwei ihrer Hauptdarsteller verloren hat", meinte der 29-jährige Tour-Dominator.

Rad-Olymp

Wenn Vincenzo Nibali am Sonntagabend vor dem Arc de Triomphe zum Sieger der Tour der France gekürt wird, wird er der erste italienische Tour-Sieger seit dem bereits verstorbenen Marco Pantani 1998 sein. Gleichzeitig steigt er in einen elitären Kreis von Fahrern auf, die sowohl die Vuelta und den Giro d'Italia als auch die Tour de France gewonnen haben. Als sechster Radsportler wird er dann in einem Atemzug mit Jacques Anquetil, Eddy Merckx, Felice Gimondi, Bernard Hinault und Alberto Contador genannt werden können.

Bei all dem Trubel um seine Person vergisst der Italiener nie zu erwähnen, dass es an der Zeit wäre, den Radsport wieder in ein positives Licht zu rücken. Nibali will der neuen Generation eine faire Chance geben und mit der Vergangenheit abschließen: "Es wurden viele Fehler von vielen Fahrern gemacht. Man muss den jungen Fahrern Platz geben, den Radsport zu verändern." Bleibt zu hoffen, dass dies nicht nur leere Worte sind - aber bei Vincenzo Nibali hat man irgendwie ein gutes Gefühl.

Dieses gute Gefühl wird auch er haben. Wenn er, Vincenzo Nibali, der Hai von Messina, als Tour-de-France-Champion 2014 endgültig feststeht. Und im Moment seines Triumphs wird er zurückdenken. An seine Kindheit in Messina, seine Freunde und Familie, die er zurückließ um die große Radsport-Welt zu erobern. Und bestimmt auch an das Seil am Wagen seiner Mutter, dass ihn damals schon lehrte, das Umkehren oder gar Aufgeben keine Option ist.

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