4800 Kilometer reine Kopfsache

Weiter, immer weiter: Wer zu viel schläft, verliert beim Race across America – doch wer nicht auf seinen Körper hört, der verliert ebenso.
Rekordhalter Christoph Strasser bereitet sich auf die Titelverteidigung vor.

Knapp acht Tage auf dem Rad, der Hintern wundgesessen, die Füße aufgedunsen, der Körper am Limit, der Kopf nahe am Nirwana – und das macht Spaß? "Am Anfang war es ein cooles Abenteuer", sagt Christoph Strasser. "Dann wurde es zur Leidenschaft. Und inzwischen ist es einfach mein Job."

Es, das ist das Race across America, 4800 Kilometer lang, ohne Pause. Ohne vorgegebene Pause jedenfalls, denn schlafen muss der Mensch – doch wer zu lange schläft, der hat schon verloren bei dieser Tortur von der Westküste an die Ostküste der USA. "Die körperliche Müdigkeit kriegst du mit den kurzen Schlafphasen sowieso nicht weg, das dauert Tage. Aber das Hirn braucht Erholung, damit du dich weiter konzentrieren kannst", weiß Strasser. Denn auf den Straßen der USA gibt es ziemlich viele Hindernisse: Reifenteile und Autowracks, Schlaglöcher und Radkappen, Rehe und Gürteltiere.

Weniger ist mehr

Am 10. Juni geht es wieder los, Christoph Strasser ist seit letztem Jahr der Rekordhalter mit sieben Tagen, 22 Stunden und elf Minuten. Durchschnittstempo: 25,297 Stundenkilometer. Heuer bestreitet er seinen Saisonhöhepunkt ohne Vorbereitungsrennen, der geplante Zweier-Bewerb in Slowenien fiel einer Schulterverletzung seines Partners zum Opfer. "Es kann sein, dass es besser so ist", sagt der 31-jährige Obersteirer und verweist auf den dreifachen RAAM-Sieger Wolfgang Fasching: "Er war immer dann am besten, wenn er wenig trainiert hatte."

Seit Dienstag ist Strasser in Kalifornien, ebenso sein Betreuerteam. Elf Menschen kümmern sich um ihn, verteilt auf zwei Minivans und ein Wohnmobil. Strasser kündigt ihnen über Funk die Pausen immer mit 15 Minuten Vorlaufzeit an. "Das ist dann fast wie ein Boxenstopp in der Formel 1", jeder Handgriff sitzt: Während er sich erleichtert, wird das Rad gewartet, der Akku für das Funkgerät getauscht, ihm werden neue Handschuhe angezogen, und, und, und – "alles zusammen dauert eine Minute."

Anders als Kollegen bei Tour de France oder anderen "normalen" Bewerben sind die Extremradler keine Im-Sattel-Pinkler, "sonst würden sich Keime im Schritt bilden", und das würde das Sitzen noch schmerzhafter machen, als es ohnehin schon ist.

Die große Chance

Christoph Strasser könnte natürlich auch gemütlich sein Studium der Umwelttechnik an der Montan-Uni Leoben vorantreiben – aber dann hat er sich irgendwann gedacht, "die Chance kriegst du vielleicht nie wieder" und wurde Profisportler. "Darüber bin ich rückblickend sehr froh." Die Erfolge von Wolfgang Fasching hatten ihn inspiriert, und auf dem Rad war er immer schon gern. "Angefangen hat’s mit Radlfahren unter Sternen. Dann wollte ich wissen, wie mein Körper auf zwölf oder 24 Stunden im Sattel reagiert, was im Kopf passiert – und jetzt ist es die Frage, an welchen Schrauben ich noch drehen kann, um besser zu werden."

Am Donnerstag fand er einige – im Windkanal seines Ausrüsters Specialized in San Francisco. Kleinigkeiten wie eine andere Anordnung des Trinkflaschenhalters am Rad sollen den Spezialisten zufolge bis zu zweieinhalb Stunden Zeitersparnis bringen. "Damit hätte ich das 2012er-Rennen auch gewonnen", staunte Strasser. Damals war er Zweiter, 1:50 Stunden hinter dem Schweizer Reto Schoch.

Reich wird er mit diesem Job freilich nie werden, das weiß auch Strasser. Aber er kann sich sein Leben über Sponsoren und Vorträge finanzieren. Und überhaupt: "Besser so als in einem Superjob mit Magengeschwüren."

Wer 4800 Kilometer und knapp 52.000 Meter Höhendifferenz zurücklegen will, der sollte vorsorgen. Das tut denn auch Christoph Strasser. Sein Gepäck:

Fünf Sättel, darunter ein weicher Damen-Sattel zum Wechseln;

fünf Paar Schuhe, auch in Übergröße für geschwollene Füße;

drei Räder, je eines für Berg- und Zeitfahren sowie ein Ersatzrad;

ein Kilo Sitzcreme;

20 Kilogramm Trinkpulver;

20 Trinkflaschen;

50 Liter Flüssignahrung;

20 Ersatzschläuche;

zehn Ersatzreifen;

zehn Radhosen;

zehn Trikots;

fünf Wüstentrikots aus speziellem Stoff;

drei Kühlwesten;

zwei Winterjacken;

fünf Regenjacken;

sowie Zusatzscheinwerfer, Lautsprecher, Musikanlage und Satellitentelefone für die Begleitfahrzeuge.

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