Paralympics: Vier besondere Schicksale

Paralympics: Vier besondere Schicksale
Österreichs Team holte 13 Medaillen. London sah außergewöhnliche Leistungen und Persönlichkeiten.

Der Londoner Olympiapark hat seine Pflicht erfüllt, nach der Abschlusszeremonie der Paralympics kehrt wieder der Alltag ein in der britischen Hauptstadt. Was bleibt, ist die Erinnerung an zwei grandiose Sportfeste innerhalb von sieben Wochen, die viele Momente des Jubels, aber auch der Tristesse gebracht haben.

Schlag nach bei den österreichischen Delegationen: 70 Sportler blieben ohne Olympia-Medaille, 32 paralympische Sportler feierten hingegen 13-mal. Leichtathlet Günther Matzinger holte Gold über 400 und 800 Meter inklusive Weltrekord, zudem siegte Pepo Puch im Dressurreiten, Walter Ablinger im Handbike – unterm Strich kamen 13 Medaillen zusammen, vier aus Gold, drei aus Silber, sechs aus Bronze.

Vor allem für Günther Matzinger gingen die Spiele mit einer Gänsehaut zu Ende, er trug bei der Abschlussfeier die österreichische Fahne. "Wahnsinn, wie die Spiele für mich gelaufen sind. Jetzt auch noch die Fahne zu tragen, ist das Schönste, das mir in meinem Leben passiert ist."

Neben diesem rot-weiß-roten Märchen in London gab es auch die anderen Geschichten, jene, die es wenn überhaupt zu Randnotizen geschafft haben, die aber einen zweiten Blick absolut wert sind. Der KURIER holt vier der 4200 Athleten der 14. Paralympischen Spiele vor den Vorhang.

Sebastian Rodriguez Veloso

Paralympics: Vier besondere Schicksale

Sebastian Rodriguez Veloso ist ein spanischer Schwimmer – und was für einer: Mit zwei Mal Silber und einmal Bronze in London hat er seine paralympische Bilanz auf 15 Medaillen ausgebaut - darunter allein acht aus Gold von den Spielen in Sydney (2000/5) und Athen (2004/3). Dabei dürfte es den Schwimmer Sebastian Rodriguez Veloso eigentlich gar nicht geben – denn der Spanier ist 1985 zu 84 Jahren Haft verurteilt worden: Der heute 55-Jährige war an einer Reihe von linksextremistisch motivierten Bombenanschlägen beteiligt und ermordete einen Geschäftsmann.

Nach fünf Jahren hinter Gittern begann Rodriguez Veloso einen Hungerstreik und hielt 432 Tage durch. Doch um welchen Preis: Mehrere Organe versagten, seitdem ist er von der Hüfte abwärts gelähmt. Als er 1996 vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, fuhr er im Rollstuhl in die Freiheit. Und er begann zu schwimmen.

Offiziell begnadigt wurde Rodriguez Veloso erst im Jahr 2007. Da hatte er sein zweites Leben schon achtfach vergoldet.

Ilke Wyludda

Paralympics: Vier besondere Schicksale

Die deutsche Diskuswurf-Olympiasiegerin der Spiele von Atlanta 1996 verlor vor knapp zwei Jahren durch eine bakterielle Infektion den Großteil ihres rechten Beins. Bei ihren ersten Paralympics kam die inzwischen 43-jährige Anästhesistin in ihrer einstigen Spezialdisziplin auf Platz neun. 29,57 Meter weit warf sie die Scheibe, persönliche Bestleistung. Zum Vergleich: Ihr noch heute gültiger Juniorinnen-Weltrekord aus dem Jahr 1988 liegt bei 74,40 Metern.

Glücklich war sie dennoch. Weil sie endlich den Rummel um ihre Person, um die erste Olympiasiegerin, die bei Paralympics startet, hinter sich hatte. "Das war schon ziemlich belastend." Weil sie die "einmalige Stimmung" genießen konnte.

Und weil sie am Samstag noch in ihrer stärkeren Disziplin Kugelstoßen antrat. 10,23 Meter, Platz fünf mit einer persönlichen Bestleistung. "Wenn alles gut läuft, bin ich 2016 in Rio de Janeiro wieder dabei."

Paralympics: Medaillenspiegel nach allen 503 Entscheidungen

Gold Silber Bronze Summe
1. China 95 71 65 231
2. Russland 35 38 28 101
3. Großbritannien 34 43 43 120
4. Australien 32 23 30 85
5. Ukraine 32 23 28 83
6. USA 31 29 38 98
7. Brasilien 21 14 8 43
8. Deutschland 18 26 22 66
9. Polen 14 13 9 36
10. Niederlande 10 10 19 39
weiter:
30. Österreich 4 3 6 13

Alessandro Zanardi

Paralympics: Vier besondere Schicksale

Der Rausch der Geschwindigkeit hat den Italiener Zeit seines Lebens begleitet. Und er hat ihn in seine zweite Karriere gestoßen. Brutal. Denn ein Unfall bei einem Champ-Car-Rennen auf dem Lausitzring kostete den 41-fachen Formel-1-Piloten 2001 beide Beine, sieben Mal musste er reanimiert werden. Jetzt, 45-jährig, fuhr er mit dem Handbike im paralympischen Einzelzeitfahren. Und siegte. Mit 27 Sekunden Vorsprung auf den Zweiten, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 38,66 Stundenkilometern.

Im Straßenrennen wurde er ebenfalls Erster, und in der Teamstaffel Zweiter – und er konnte sich vor Gratulanten kaum retten. "Ich glaube, ich habe zu vielen Leuten meine Telefonnummer gegeben", sagte er, nachdem er nach dem ersten Erfolg 909 SMS erhalten hatte.

Es wird wieder ruhiger werden um Alessandro Zanardi. Denn er hat schon vor den Paralympics erklärt, seine neue, zweite Karriere nach London wieder zu beenden. Was kommt? Jetzt muss er erst einmal seine Frau Daniela eine Woche lang bei "Frauensachen wie Shopping" begleiten, das hat er ihr versprochen.

Martine Wright

Paralympics: Vier besondere Schicksale

Es war der Tag, nachdem Großbritannien die Olympischen Spiele 2012 erhalten hatte. Und damit auch die Paralympics. Martine Wright hatte am Vorabend wie Zehntausende Briten auch den Zuschlag gefeiert, und sie schwang sich in die U-Bahn an diesem 7. Juni 2005, um zur Arbeit zu gelangen. Sie las Zeitung.

Dann flog ihr der Waggon um die Ohren.

Martine Wright war Opfer einer jener Bomben geworden, die damals die britische Hauptstadt erschütterten und 52 Menschen töteten. Doch die 39-jährige Mutter hatte Glück – sie verlor zwar beide Beine, sie behielt aber ihr Leben.

Die Psychologin bekam eine zweite Karriere: Während der Reha erfuhr sie von Sitzvolleyball. Schließlich wurde sie Teil des ersten paralympischen Damen-Sitzvolleyball-Teams der Geschichte.

Mehr zum Thema

  • Hauptartikel

  • Hintergrund

Kommentare