Mythos Wimbledon: Erdbeeren mit Aufschlag

Warum das Tennisturnier in London so fasziniert.

Eine Walze. Eine einfache Rasenwalze war verantwortlich für das größte und prestigeträchtigste Tennisturnier. 1877 wurde eine Rechnung über 10 Pfund ausgestellt, weil eine dieser erneuert werden musste. So kam der All England Lawn Tennis and Croquet Club auf die Idee, ein Turnier auszutragen, das Eintrittsgeld wurde für die Walze aufgebracht.

Mythos Wimbledon: Erdbeeren mit Aufschlag
epa03281965 A spectator eats strawberries prior to matches for the Wimbledon Championships at the All England Lawn Tennis Club, in London, Britain, 26 June 2012. EPA/ANDY RAIN
Geschichte. Mittlerweile ist Wimbledon längst das Mekka des Tennissports. Versüßt durch 28.000 Kilogramm Erdbeeren, die in den zwei Turnierwochen vernascht werden. Wie so vieles hier ist auch „strawberry & cream“ Kult. Jede „Wimbledon-Erdbeere“ darf nur zwischen zwölf und 13 Gramm wiegen. Zehn Erdbeeren kosten rund 3 Euro.

Neben Erdbeeren mit Schlag werden von den Athleten auf dem Rasen knallharte Aufschläge serviert. Auf einem Rasen. „Auf diesem Belag wird nur drei, vier Wochen im Jahr gespielt, das ist einzigartig“, sagt der österreichische Trainer Günter Bresnik.“ Und in Wimbledon wird sogar die Rasenlänge vorgeschrieben, exakt 8 Millimeter muss diese betragen.

Mythos Wimbledon: Erdbeeren mit Aufschlag
epa03283555 Britain's Prince Charles and Camilla the Duchess of Cornwall in the Royal Box on Centre Court to watch Roger Federer of Switzerland take on Fabio Fognini of Italy in their second round match for the Wimbledon Championships at the All England Lawn Tennis Club, in London, Britain, 27 June 2012. EPA/JONATHAN BRADY
Auf den ersten Blick lässt sich die Faszination nicht wirklich leicht erklären: Das englische Juni-Wetter sorgt für verlässliche Regenschauer, sollte zwischendurch doch gespielt werden, dauern die Ballwechsel nicht sehr lange. Warum auch. Auf dem schnellen Untergrund suchen die Spieler den Punkt genauso rasch, wie das Publikum das Rampenlicht. Einmal gesehen werden und das am besten in der Nähe von Royal Members. Dafür bucht man gerne eineinhalb Jahre im Voraus, dafür zahlt man bis zu 3000 Pfund (umgerechnet 3500 Euro).

Unheile Welt

Tennis-Hooligans wird man hier nicht finden. Das Temperament der Zuschauer hält sich ebenso in Grenzen, wie Gefühlsausbrüche der Spieler. Als John McEnroe anfangs der 80er-Jahre erstmals sein „Fuck you“ zum Besten gab, drohte die feine, heile Welt zu kippen. So etwas hatte man hier inmitten von London zuvor noch nie erlebt.

Für Thomas Muster , der sich in Paris wohler gefühlt hat, ist das Tennisturnier in Wimbledon vergleichbar mit einem „elitären Golfklub. Früher spielte man hier mit weißen Hosen und weißem Blazer. In Wimbledon wird eben fast alles auf Tradition aufgebaut.“ Noch müssen 90 Prozent des Outfits weiß sein. Das ist Gesetz. Sonst droht die Disqualifikation. Eine Regel, die beispielsweise Paradiesvogel Andre Agassi jahrelang einen weiten Bogen um Wimbledon machen ließ.

Mythos Wimbledon: Erdbeeren mit Aufschlag
Fans try to keep dry on Centre Court during a spell of rain at the Wimbledon tennis championships in London June 26, 2012. REUTERS/Stefan Wermuth (BRITAIN - Tags: SPORT TENNIS)
Wimbledon hat auch eigene Gesetze. „Holy Sunday“ heißt der Sonntag, der die erste von der zweiten Turnierwoche trennt und der nur in Not(sprich Regen-)fällen als Spieltermin missbraucht wird. Dazu gibt es eine Gesetztenliste, die von Herrschaften aufgestellt wird, die die Weltrangliste höchstens als Anleitung benutzen.

Und auch das gibt es nur in Wimbledon: Die Sieger verneigen sich vor der Royal Box und dürfen einen Knicks machen. Der siebenfache Titelträger Roger Federer wurde sogar von Queen Elizabeth zum Dinner eingeladen. Soweit hat es Jürgen Melzer noch nicht gebracht, auch wenn er dreifacher Wimbledon-Sieger ist (Junioren, Doppel, Mixed). Am Montag wartet zum Auftakt im Einzel der Italiener Fabio Fognini auf den Niederösterreicher.

Zum Knicks vor der Royal Box ist es noch ein sehr weiter Weg.

Was man über Wimbledon wissen muss:

Freilich, es ist nicht schwer, in Wimbledon aufzufallen. Jede Gefühlsregung unter Spielern ist schon ein Aufstand.

Die schönsten Aufreger auf dem feinen Rasen:

Mixed-Doppel. US-Jeff Tarango ist heute noch eine Legende in Wimbledon. 1995 schimpfte der Amerikaner Schiedsrichter Bruno Rebeuh: „Du bist die korrupteste Sau im Tennis!“ Nicht genug, es mischte sich auch Gattin Benedicte ein und verpasste Mr. Rebeuh eine Ohrfeige.

Green, green grass of home. Martina Hingis war auf andere Art verschnupft: Die Schweizerin wurde 2007 positiv auf Kokain getestet, erst Monate später machte sie den Vorfall offiziell. Im November darauf trat sie zurück – mit 27 Jahren.

Bekiffte Teilnehmer, Teil 2. Einen Mitarbeiter der BBC erwischte es vor 2007. Er wurde mit fünf Gramm Cannabis ertappt. Pikant: Der 24-Jährige war für die Bedienung des „Hawk Eye“, des TV-Beweises, zuständig. BBC-Chef Barnes tobte: „Wie kann ein Bekiffter dieser anspruchsvollen Aufgabe nachgehen?“

Legende. Jeder Tennisfan kennt diesen Aufschrei: „You can’t be serious!“ Richtig, Urheber war John McEnroe, Adressat war in einem Erstrundenspiel 1981 der Schiedsrichter. Weil es so schön war, rief es der Amerikaner noch ein paar Mal und setzte am Ende ein „Du bist ein inkompetenter Idiot, eine Beleidigung für die Welt!“ nach. McEnroe blieb sich treu, spielte zwar jedes Jahr in Wimbledon, pfiff aber beständig auf das Champions Dinner und ging stets lieber mit Freunden aus.

Heimatlos. Greg Rusedski war ursprünglich Kanadier und wurde im Laufe seiner Karriere Brite. Die Herzen der Wimbledon-Fans gewann er nie. „Er hat Schande über das britische Tennis gebracht“, schimpfte die Daily Mail über Rusedski. Warum? Er wurde 2003 etwas ausfällig, rief unter anderem das Wort „Wichser“.

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