Thomas Muster: "Müssen froh sein, dass wir noch leben"
Die Bilder waren nicht nur in Österreich zu sehen. Thomas Muster schuftet im Rollstuhl sitzend, drischt auf Bälle ein, kämpft eisern um eine Rückkehr. „Aufgegeben wird nur ein Brief.“ Das hatte ihm schon sein Vater mit auf den Weg gegeben.
Ein Satz, der wie geschaffen schien für seinen berühmten Sohn. Und dem in diesen Frühling- und Sommertagen des Jahres 1989 noch mehr Bedeutung zukam.
Die Vorgeschichte: Am Abend des 31. März wurde der Steirer unfreiwillig zu einem Teil österreichischer Sportgeschichte. Ein Betrunkener in einem Pontiac fuhr den damals aufstrebenden Leibnitzer just vor dem Finale von Key Biscayne, das er gegen Ivan Lendl bestreiten hätte sollen, nieder, die Seiten- und Kreuzbänder seines linken Knies waren gerissen. Das stellte sich aber erst später heraus. Muster stand sogar auf, versicherte seinem damaligen Freund und Manager Ronnie Leitgeb, ebenfalls beim Unfall anwesend, dass es bis zum Final-Sonntag schon wieder passen würde.
Begleitet wurde das Geschehen von zahlreichen Fotografen und Journalisten. Sie hatten ihre Skandalgeschichte. Muster hatte wieder die Titelseiten. Stunden zuvor hatte sich Muster nach einem Fünf-Satz-Sieg gegen den Franzosen Yannick Noah den erstmaligen Einzug in die Top Ten gesichert.
Alles anders. Stattdessen titelte der KURIER am 2. April mit dem Muster-Zitat: „Wir müssen froh, sein, dass wir noch leben.“ Am Tag nach dem Unfall war endgültig klar: Lendl wurde kampflos Turniersieger, Muster nach der Heimkehr operiert.
Karriere-Ende? Und das mit 21 Jahren? Nein, solche Gedanken gab es beim Kämpferherz nie. „Weil mir damals die Tragweite der Verletzung nicht so bewusst war. Damals ging es um die Existenz, da war es harte Arbeit. Vielleicht hat mir diese auch geholfen, später Nummer eins zu werden.“
Aggressionsabbau
Die Kraft, die er damals aufbauen konnte, habe ihm immer geholfen. Das harte Training im Rollstuhl diente dazu, das Gefühl mit dem Ball nicht zu verlieren. Aber noch viel mehr „als Aggressionsbewältigung“.
Was dann in der Karriere des Thomas Muster noch folgte, glich einem Märchen, einer Geschichte, die kein Dramatiker besser hätte verfassen können.
Denn nicht einmal ein halbes Jahr verging, und Muster kehrte zurück. Ausgerechnet gegen Ivan Lendl. Im Wiener Dusika-Stadion spielten die Beiden eine Exhibition, der damalige Weltranglisten-Erste gewann zwar 6:3, 7:5, aber Österreichs Nummer eins präsentierte sich vor enthusiastischem Publikum bereits überraschend stark. „Ich will mir selbst etwas beweisen, ich hoffe das Knie hält“, sagte Muster vor dem Auftritt dem damaligen ORF-Moderator Gerhard Zimmer.
Es hielt. Bald kehrte er wieder auf die ATP-Tour zurück und spielte um Punkte. Und im Jänner 1990 holte Muster in Adelaide seinen sechsten Turniersieg. Im selben Jahr setzte er dort fort, wo er durch einen Auto-Rowdy unterbrochen wurde. In Monte Carlo unterlag er im Endspiel noch Andrej Tschesnokow, im Endspiel von Rom schlug er den Russen dann.
Aufstieg
Das Muster-Jahr war aber freilich 1995, als er, inzwischen 28 Jahre alt, zwischen Februar und Juli 40 Spiele auf Sand gewann, unter anderem auch das French-Open-Finale. 1996 war er insgesamt sechs Wochen die Nummer eins der Welt.
Und, weil Karrieren oft Hollywood-Stil haben (und Musters Karriere ist filmreif), schloss sich auch in Key Biscayne noch ein Kreis. Ausgerechnet dort, wo er acht Jahre zuvor seine bitterste Stunde erlebt hat, feierte der Leibnitzer 1997 seinen letzten von 44 Turniersiegen.
Im Finale besiegte Muster den Spanier Sergi Bruguera, der damals seinen Zenit auch schon überschritten hatte. Es war sein letzter Auftritt dort, er spielte dort nie wieder. Musste er auch nicht. Er hatte ohnehin seinen Frieden mit dem Ort bei Miami gemacht.
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