Jackie Stewart: „Habe Freunde sterben gesehen“
Formel-1-Stars hatten Koteletten und lange Haare, rauchten und tranken Alkohol. Die Grid Girls waren offensiv, die Autos klein und zerbrechlich.
Es war im Jahr 1971 als unter Mitwirkung von Roman Polanski beim Grand Prix von Monaco ein mittlerweile fast vergessener Dokumentarfilm gedreht wurde: „Weekend of a Champion“ begleitet Jackie Stewart durch das Rennwochenende. Am Montag ist der mittlerweile 74-Jährige Stargast in Wien, wenn der Film bei der Viennale im Gartenbau-Kino gezeigt wird (20.30 Uhr).
Der Schotte gewann in seiner Karriere 27 Formel-1-Rennen, trat 1973 als dreifacher Weltmeister ab und wurde von Queen Elizabeth II. in den Adelsstand erhoben. Doch eine Leistung Jackie Stewarts steht über allen anderen: Er hat überlebt.
KURIER: Worum geht es in „Weekend of a Champion“?
Sir Jackie Stewart: Mein Freund Roman Polanski filmte mich und meine Frau Helen 1971 in Monaco, 24 Stunden am Tag. Man sieht mich beim Frühstück, beim Gala-Dinner und bei der Siegerehrung – zum Glück habe ich gewonnen. Auch der Film hat damals ein paar Preise gewonnen, aber erst heuer wurde er beim Filmfestival in Cannes gezeigt.
Was bedeutet Ihnen der Film heute?
Der Film erzählt die Geschichte von Glanz und Glamour in der Formel 1. Aber er zeigt auch, wie enorm gefährlich der Sport war. Ohne Reifenstapel, ohne Begrenzungen neben der Strecke. In den Boxen standen die Kanister mit Benzin. Die hätten jeden Moment explodieren können. Innerhalb von fünf Jahren in der Formel 1 war die Chance zu sterben größer, als jene zu überleben.
Ein anderer Formel-1-Film macht derzeit Schlagzeilen: „Rush“ über das Duell Lauda gegen Hunt 1976. Haben Sie den Film gesehen?
Ja, natürlich! Der hat mir sehr gut gefallen. Der Schauspieler, der Niki gespielt hat, sollte den Oscar bekommen. Der war ja noch besser als der echte Niki.
Was ist der größte Unterschied zwischen der Formel 1 zu Ihrer Zeit und der Formel 1 in der Gegenwart?
Die Formel 1 ist größer geworden, es gibt mehr Geld und mehr Rennen. Und sie ist natürlich sicherer. Es ist 19 Jahre und mehr als sechs Monate her, seit wir das letzte Mal einen Grand-Prix-Fahrer in einem Formel-1-Auto verloren haben (Ayrton Senna; Anm.). Die heutige Generation von Fahrern versteht nicht, was das heißt. Damals haben wir innerhalb weniger Monate Jim Clark, Mike Spence, Ludovico Scarfiotti und Jo Schlesser verloren.
Wie sind Sie und Ihre Fahrer-Kollegen damit umgegangen?
Es war schrecklich. Ich habe Freunde sterben gesehen. Wir Fahrer haben einander alle privat sehr gut gekannt, damals hat noch niemand einen eigenen Jet gehabt. Jochen und Jim Clark gehörten zu meinen besten Freunden, Mike Spence war mein Teamkollege. Ebenso grauenhaft war es zu sehen, welches Leid die Eltern, Frauen und Kinder zu ertragen hatten. In keinem Sport gab es mehr Tod, es war eine unfassbare Zeit.
Der Tod als Begleiter ...
Ja. Damals musste man als Fahrer zu den Verunfallten gehen, denn die Streckenposten und Ärzte waren oft weit weg. Dabei habe ich Dinge gesehen, die ein Mensch nicht sehen sollte.
Die Geschichte stimmt, aber ich weiß nicht, warum sie passiert ist. Ich hatte Tränen in den Augen, als ich in das Auto gestiegen bin. Ich war bei Jochen, als er gestorben ist.
Haben Sie den Unfall gesehen?
Nein, aber ich habe ihn sterben gesehen. Es war eine schlimme Erfahrung, mit seiner Frau Nina zum Hospital an der Strecke zu gehen. In Monza stirbt niemand auf der Strecke, denn dann muss das Rennen gestoppt werden. Deshalb haben sie ihn noch abtransportiert und im Spital den Tod festgestellt. Danach haben sie die Leitplanken repariert und ich bin ins Auto gestiegen.
Hatten Sie Todessehnsucht?
Nein. Ich habe das Visier runtergeklappt und bin eine saubere Runde gefahren. Ich bin Zweiter im Qualifying geworden und Zweiter im Rennen – und das in einem March, einem Auto, das nicht wirklich konkurrenzfähig war.
Wurden die Formel-1-Stars durch die Nähe zum Tod mehr verehrt?
Ich glaube, dass die heutigen Helden mit den damaligen zu vergleichen sind: Jim Clark, Jochen Rindt, Mario Andretti oder Jack Brabham waren genauso große Stars, wie es dann Niki oder Schumacher wurden oder wie es heute Vettel, Alonso oder Räikkönen sind. Die Formel 1 war früher auch extrem groß, es waren einmal 375.000 Fans auf dem Nürburgring.
Natürlich. Man hatte zu den Fahrern viel leichter Zugang. Dazu kommt, dass die meisten Fahrerfrauen in den Teams auch mitgearbeitet haben. Viele haben zum Beispiel die Rundenzeiten gestoppt. Heute sitzen die Freundinnen hinten in der Box oder im Motorhome und schauen sich das Rennen im TV an.
Doch die Formel 1 fasziniert Sie noch immer?
Die Formel 1 ist und bleibt der glamouröseste Sport der Welt. Sie reist um die Welt und folgt der Sonne. Und jeder, der selbst Auto fährt, denkt manchmal daran wie es wäre, ein Rennfahrer zu sein.
Wie sehen Sie die heurige Formel-1-Saison?
Interessant. Vettel war außergewöhnlich. Nur die österreichische Hymne habe ich heuer schon sehr oft gehört, die hat Längen.
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