Schwerer Unfall überschattet Hamilton-Sieg
Feiern wollte niemand. Die Formel 1 stand unter Schock. Der Franzose Jules Bianchi verunglückte acht Runden vor dem Ende des Grand Prix von Japan schwer. Er erlitt Kopfverletzungen, wurde in das wenige Kilometer entfernte Mie-Krankenhaus gebracht und notoperiert. Sein Zustand wurde von seinem Vater als „sehr ernst“ bezeichnet.
Was war geschehen?
Sauber-Pilot Adrian Sutil rutschte im starken Regen mit Aquaplaning von der Strecke. Als das Auto von einem Bergungsfahrzeug abgeschleppt werden sollte, verlor auch Bianchi die Kontrolle über sein Auto. Unter gelber Flagge krachte er mit dem Marussia gegen den tonnenschweren Bagger.
Abbruch
Das Rennen wurde abgebrochen, der 25-Jährige wurde vermutlich aus medizinischen Gründen (andere Quellen nannten das Wetter als Grund) gleich mit einem Krankenwagen in das Spital gebracht und nicht mit dem Rettungshubschrauber. „Jules ist in einem schlimmen Zustand“, sagte Vater Philippe Bianchi drei Stunden nach dem Unfall dem TV-Sender France 3. Er sprach von einem „schweren Kopftrauma. „Es wird 24 Stunden dauern, bis wir mehr wissen.“
In einer Mitteilung des Weltverbandes FIA hieß es am Nachmittag: „Die Aufnahmen des Computer-Tomografen (CT) zeigen, dass er schwere Kopfverletzungen erlitten hat. Er wird derzeit operiert und danach intensivmedizinisch betreut.“ Am Abend kam leichte Entwarnung. Nach der OP soll Bianchi geatmet haben.
Schlimm war die Ungewissheit nach dem Rennen nicht nur für die Angehörigen. Wie ernst die Situation war, zeigte sich auch an der Reaktion des Rennsiegers. Lewis Hamilton drehte sich von der TV-Kamera weg und bekreuzigte sich. Betroffen war er auch nach der Siegerehrung: „Wir machen uns alle große Sorgen. Wir alle beten für ihn.“ Nico Rosberg, der Zweiter geworden war, sprach von einer „sehr, sehr ernsten“ Situation. „Meine Gedanken sind bei ihm.“ Der Dritte, Sebastian Vettel, wünschte dem Franzosen nur „das Allerbeste“. Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff sagte nach dem Doppelsieg für sein Team: „Der Sport ist in diesem Moment völlig unwichtig.“
Augenzeuge Adrian Sutil, der vor Bianchi von der Strecke gerutscht war, sah den Unfall aus der Nähe: „Ich denke, die Situation ist kritisch.“ Details zum Unglück wollte er aus Respekt keine erzählen.
Enorm war die Anteilnahme in den Online-Plattformen, auf Twitter trudelten innerhalb weniger Stunden Tausende Genesungswünsche ein. Erschreckend waren aber auch die Fotos, die unmittelbar nach dem Crash im Internet auftauchten. Sie zeigten das völlig zerstörte Heck des Marussia, das sich etwas unter das Bergefahrzeug geschoben hatte. Bianchi verlor kurz nach dem Aufprall das Bewusstsein und wurde vom Rennarzt rasch aus seinem Auto geborgen.
Im Fernsehen war die Szene nicht zu sehen. FIA-Rennleiter Charlie Whiting dürfte die bewegten Bilder vom Unfall aber auf seinen Monitoren im Kontrollzentrum verfolgt haben und bereits geahnt haben, dass die Lage ernst ist. Die Fahrer hat er gebeten, bei der Siegerehrung die Zeremonie ruhig über sich ergehen zu lassen.
Jules Bianchi, 1989 in Nizza geboren, absolviert seine zweite Saison in der Formel 1, Japan war der 34. Grand Prix in seiner Karriere. Mit dem langsamen Marussia kam er dabei einmal in die Punktränge: Heuer belegte er in Monte Carlo den neunten Platz.
Formel 1 unter Schock nach Bianchi-Unfall
Endstand | |||
1. | Lewis Hamilton (GBR) | Mercedes | 01:51:43,021 |
2. | Nico Rosberg (GER) | Mercedes | +09,180 |
3. | Sebastian Vettel (GER) | Red Bull | +29,122 |
4. | Daniel Ricciardo (AUS) | Red Bull | +38,818 |
5. | Jenson Button (GBR) | McLaren | +01:07,550 |
6. | Valtteri Bottas (FIN) | Williams | +01:53,773 |
7. | Felipe Massa (BRA) | Williams | +01:55,126 |
8. | Nico Hülkenberg (GER) | Force India | +01:55,948 |
9. | Jean-Eric Vergne (FRA) | Toro Rosso | +02:07,638 |
10. | Sergio Perez (MEX) | Force India | +1 Runde |
11. | Daniil Kwjat (RUS) | Toro Rosso | +1 Runde |
12. | Kimi Räikkönen (FIN) | Ferrari | +1 Runde |
13. | Esteban Gutierrez (MEX) | Sauber | +1 Runde |
14. | Kevin Magnussen (DEN) | McLaren | +1 Runde |
15. | Romain Grosjean (FRA) | Lotus | +1 Runde |
16. | Pastor Maldonado (VEN) | Lotus | +1 Runde |
17. | Marcus Ericsson (SWE) | Caterham | +1 Runde |
18. | Max Chilton (GBR) | Marussia | +1 Runde |
19. | Kamui Kobayashi (JPN) | Caterham | +1 Runde |
20. | Jules Bianchi (FRA) | Marussia | +3 Runden |
21. | Adrian Sutil (GER) | Sauber | +4 Runden |
Wie durch ein Wunder ..."
Oft, viel zu oft, verwendeten wir Journalisten in den vergangenen 20 Jahren diesen Satzteil.
"Wie durch ein Wunder" überstand Robert Kubica 2007 einen Crash in Montreal, bei dem nur noch die Überlebenszelle des Autos übergeblieben war.
"Wie durch ein Wunder" gelang Felipe Massa ein Comeback nach seinem Unfall 2009 in Budapest, als ihn ein Eisenstück am Helm getroffen hatte.
"Wie durch ein Wunder" stieg Mark Webber 2010 nach einem Highspeed-Überschlag in Valencia unverletzt aus dem Auto.
"Wie durch ein Wunder" gab es 20 Jahre lang in der Formel 1 keinen fatalen Unfall mehr.
Die Sicherheitsvorkehrungen wurden seit dem tragischen Tod von Ayrton Senna 1994 enorm erhöht, doch die Gefahr fuhr immer mit. Vielleicht haben wir vergessen, dass Wunder nicht alltäglich sind. Wer in seinem Job einen Helm aufsetzen muss, hat einen gefährlichen Job zu erledigen. Doch nach so vielen Jahren ohne ernsthaften Unfall wurde dieses Thema in der Formel 1 oft verdrängt.
"Motorsport ist gefährlich", sagte am Sonntag Niki Lauda, der 1976 einen Unfall "wie durch ein Wunder" knapp überlebt hatte. "Wenn wir uns daran gewöhnen, dass nichts passiert, sind wir natürlich alle überrascht, wenn dann doch etwas ist."
Vielleicht hat die Formel 1 die vergangenen 20 Jahre lang einfach nur verdammt viel Glück gehabt. Glück, auf das man sich nicht verlassen darf. Glück, das Jules Bianchi jetzt dringend braucht.
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